50 SOLOALBEN: Vom Klassiker zum Geheimtipp
Von Brittany Howard bis Beyoncé: Wir werfen einen Blick auf 50 bemerkenswerte Soloalben.
Stan Ridgway
THE BIG HEAT
1986
Zwei Alben lang war Stan Ridgway Sänger der US-New-Wave-Band Wall Of Voodoo, die wie keine andere klang. Als die Solokarriere zu verlockend wird, muss er sich entscheiden: Weiter New Wave, der Sound der Stunde? Oder eine Rückkehr ins traditionelle Singer/Songwriter-Genre – was sich bei seinen wortreichen Texten über die Randgebiete Amerikas anbietet. Ridgway entscheidet sich: nicht. Man kann diese Stücke sowohl als Bubblegum-Synthie-Pop als auch als Americana hören, die Keyboards sind nicht leiser als Mandoline und Mundharmonika – aber auch nicht lauter. Eine seltsame Mischung, und kaum glaubt man, sie gerafft zu haben, kommt der sieben Minuten lange Hit „Camouflage“, eine Anti-Krieg-Folk-Erzählung mit Billo-Keyboards zum Farmhouse-Foxtrott-Beat. Albern? Ja, aber auch genial: Einen solchen Song gibt’s nur einmal. (André Boße)
Nick Heyward
NORTH OF A MIRACLE
1983
Jahrelang hatten die Freunde Nick Heyward und Les Nemes in verschiedenen Konstellationen versucht, Fuß im Musikgeschäft zu fassen. Als der Erfolg dann 1982 endlich mit dem Debütalbum von Haircut One Hundred, PELICAN WEST, kam, zerbrachen sie daran. Heyward war nach einem Jahr voller Erfolgsdruck ausgebrannt und wurde aus der Band geworfen. Umso erstaunlicher, wie fröhlich sein Solodebüt NORTH OF A MIRACLE im Jahr darauf ausfiel. Schon der Opener „When It Started To Begin“ nimmt den Sonnenschein-Sound von The Beautiful South oder The Boo Radleys um fünf Jahre vorweg. Schwungvolle, bläserstarke Mischung aus zeitgenössischem New Wave und Prä-Britpop, die Heyward zurück in die britischen Top Ten brachte, während seine alte Band nach einem weiteren, erfolglosen Album zerbrach. (Stephan Rehm Rozanes)
Manuel Göttsching
E2-E4
1982
Mit seinen Outlets Ash Ra Tempel und Ashra bewegte sich der Berliner Manuel Göttsching immer weiter vom Krautrock hin zur Elektronik. Seine 1976er Platte NEW AGE OF EARTH gilt als eins der einflussreichsten Ambient-Alben der Geschichte. Nicht minder bedeutsam ist der Proto-House von E2-E4, benannt nach einer – das Artwork legt es nahe – populären Eröffnung einer Schachpartie. Die Platte besteht aus einem durchgehenden, in neun Abschnitte unterteilten Track; zwei Akkorde und ein Aufnahme-Take genügten Göttsching. Während das Werk zunächst monoton wirkt, entwickelt es sich doch ständig weiter, unterliegt permanenter Variation. 2006 wollte James Murphy vom LCD Soundsystem mit seiner Auftragsarbeit für Nike, „45:33“, Gött-schings Pioniertat Tribut zollen, doch dieser zeigte sich unbeeindruckt. (Stephan Rehm Rozanes)
Rio Reiser
RIO I.
1986
Kapitalismus, du Sauhund. Als Ton Steine Scherben 1985 hinschmeißen, ist die Band hoch verschuldet. Sich doch an die Industrie zu verkaufen? Kommt nicht in die Tüte. Ein Jahr später haut Rio Reiser seine erste Soloplatte raus, beim Major CBS, mit aufgemotzten Versionen einiger Scherben-Songs – und ist innerhalb weniger Wochen schuldenfrei. Danke an den „König von Deutschland“, den „Junimond“ und „Alles Lüge“. Was Ton Steine Scherben zuletzt auf den Senkel gegangen war: Die Linken hatten ihre Musik durchgenudelt, es kam aber nichts dabei rum. Mit RIO I. läuft die Musik von Reiser in den lukrativen Jukeboxen der Republik. Co-Produzentin ist Annette Humpe, die ein Gespür für deutschen Pop und Rock besitzt, der viele Nerven trifft. Rio Reiser ist nun ein Name für „Larry’s Party Rock“, haut dazu mit „Für immer und dich“ eine unfassbar gute Soul-Ballade raus. (André Boße)
Grant Hart
INTOLERANCE
1989
Hüsker Dü stehen vor dem Durchbruch, als Bob Mould ihn hocken lässt. Dafür, dass Grant Hart nicht nur die Trennungswunden verarbeiten muss, sondern auch noch den finanziellen Absturz und seine Drogensucht, die ihn schließlich zugrunde richten wird, klingt INTO-LERANCE erstaunlich gut gelaunt, wie befreit. Hart schreibt ansteckende Hits wie „Twenty-Five Forty-One“, in dem er die euphorische Anfangszeit von Hüsker Dü rekapituliert, das epische „The Main“ oder das soulige „All Of My Senses“, experimentiert mit Elektronik, alles klingt nach Aufbruch. Aber der führt zu nichts, einer der begnadetsten Songwriter aller Zeiten steht sich bis zu seinem Tod 2017 selbst im Wege. Eine Geschichte, deren ganze Tragik auf INTOLERANCE schon deutlich in den melancholischen Zwischentönen zu hören ist. (Thomas Winkler)
George Michael
LISTEN WITHOUT PREJUDICE VOL. 1
1990
Mit FAITH hatte George Michael den Kaugummi-Pop von Wham! veredelt, der Sex wurde nun nicht mehr vor einem Bluescreen simuliert, sondern gelebt. Kommerziell war die LP ein gigantischer Erfolg, umso erstaunlicher die Wendung: LISTEN WITHOUT PREJUDICE VOL. 1 ist eine Platte in Moll. „Freedom! ’90“ und das groovige „Soul Free“ bleiben die Ausnahme, die anderen Songs platzieren sich dort, wo Pop, Soul und Folk zusammenfließen. Edle Stücke wie „Praying For Time“ und „Cowboys And Angels“ werden von der strengen Sophisticated-Pop-Gemeinde der Prefab-Sprout-Ultras verehrt. Eine Art Partneralbum ist die traurigste (und beste) Pet-Shop-Boys-LP BEHAVIOUR, die nur wenige Wochen später erscheint – und ebenfalls als Verarbeitung der AIDS-Dekade gehört werden kann. Volume 2 gab’s übrigens nie. (André Boße)
Annie Lennox
DIVA
1992
Nachdem sie mit den Eurythmics zwar zehn Jahre als genderbending Globalpopstar im Rampenlicht der größten Bühnen, hinter den Kulissen aber in zweiter Reihe hinter Dave Stewart stand, bewies sie mit ihrem Solo-Einstand, dass sie es auch ohne den Multiinstrumentalisten, Haupt-Songwriter und Produzenten schafft. Und wie! Acht der zehn Songs auf DIVA schrieb Lennox selbst, darunter sämtliche fünf Singles wie die Radioklassiker „Why“ und „Walking On Broken Glass“. Mit Vierfach-Platin im UK und Doppelplatin in den USA stand die Platte der ihrer alten Band in nichts nach. Bedauerlich wie verwunderlich ist es, dass Lennox sich danach rar machte und sich trotz ihres großen Kompositionstalents auf Coverversionen, wie etwa auch überraschend vom Ash-Song „Shining Light“, spezialisierte. (Stephan Rehm Rozanes)
Björk
DEBUT
1993
Die Sugarcubes waren schon auch eine geile Band, doch war das stimmliche Gerangel von Björk und ihrem penetranten Mitsänger Einar Örn Benediktsson auf Albumlänge schwer zu ertragen. Als sich die Band trennt, geht Björk nach London, dockt an die Electronica- und TripHop-Szene um Nellee Hooper an. Erstes Resultat ist „Human Behaviour“, dessen organischer Minimalismus auch das Album DEBUT prägt. Schon Wahnsinn, diese Mischung aus kühler Elektronik und Intimität, die mal pumpt („Violently Happy“, „Big Time Sensuality“), mal fliegt („Come To Me“) – und mit „Venus As A Boy“ einen magischen Pop-Moment erschafft, dessen Qualität man immer dann zu schätzen weiß, wenn man den Song zufällig im Radio hört. Das Wiederauflegen des gesamten Albums zeigt: DEBUT hat von seiner Frische mal gar nichts verloren. (André Boße)
John Frusciante
NIANDRA LADES AND USUALLY JUST A T-SHIRT
1994
Dass es bei den Chili Peppers intern nicht immer ganz so sonnig und kalifornisch zuging, das konnte man wissen, wenn man die Klatschspalten las, aber hören konnte man das erst, als Gitarrist John Frusciante die Band zum ersten Mal verlassen hatte und 1994 sein Solodebüt herausbrachte. Die erste Hälfte war noch vor dem Ausstieg entstanden, und aus dem räudigen, hingerotzten, so fragilen wie brutalen, improvisierten Bewusstseinsstrom spricht die ganze Verzweiflung des Scheiterns an einem Leben, das nur noch aus schalem Ruhm und dem Druck des Erfolgs bestand. Die Leere, die Frusciante mit Drogen füllte, ist immer greifbar in den Zwischenräumen, die entstehen, wenn die funky Riffs sich auflösen wie unter Säure und brennende Spuren auf der Seele hinterlassen. (Thomas Winkler)