Rockende Einweckgummis! Noch mehr Verschollenes aus den Tiefenschichten.


Da kommt natürlich einiges zu Tage, wenn man mal archäologischerweise anfängt sich hineinzugraben in die Katakomben des Rock-einige der spektakulärsten Fundstücke haben wir hier groß ausgestellt. Wo beginnt Mythos? Wo endet Realität? Speziell im fansensiblen Bereich der „lost albums“ tun sich Falltüren auf. Myriaden von „verschollenen Alben“ finden sich in den Tiefenschichten -und oft fällt die Unterscheidung schwer. Die einen sind längst nicht mehr so sehr verschollen -wie etwa Bob Dylan &The Bands basement tapes von Endeder6oer, die nach sechs Jahren Legendenbildung und Bootleggerei im Juni 1975 von Columbia veröffentlicht wurden. Oder Captain Beefhearts Sachtain puller, das, 1976 aufgenommen, aus rechtlichten Verwicklungen nicht erscheinen konnte und 1978 für die Veröffentlichung auf dem Combi-Albums Hi NY BEAST (bat chain puller) neu eingespielt wurde.

In anderen Fällen gibt es gar nicht wirklich ein Album zur Legende. Eines der meistzitierten sagenumwobenen „lost albums“ ist sicherlich Pink Floyds household objects. Und in der Tat, das würde man ja gern mal hören: Wie sich die vom Millionenerfolg von dark side of the moon überrollte frischgebackene Mega-Band auf Initiative des sich als Sozialist begreifenden Roger Waters zurückzog, um ein dem Mainstream trotzendes, kompromisslos experimentelles Album aufzunehmen, auf dem ausschließlich auf Haushaltsgegenständen musiziert wird! Die Stadien bebten schon vor Vorfreude-doch dann stellte die Band mit dem ihr eigenen britischen Pragmatismus nach wenigen Tagen Gedaddel mit Einweckgummis und Nudelsieben und drei (nie an die Öffentlichkeit gelangten) Tracks fest, dass das, was sie da veranstalteten, im klassischen Sinne „bollocks“ war- und ging stattdessen Golf spielen. Wohl besser so. Ein Album, das hätte verloren gehen können, gab es also nie. Genau so wenig wie bei David Bowie, der nach seinem nostalgischen …hours 2000 mit der Arbeit an einem Werk namens toy begann, das vor allem Neuaufnahmen sehr früher Bowie-Songs enthalten sollte-und von dem man dann nie wieder etwas hörte (aber Bowie ist uns ja auch noch die vier „fehlenden“ Teile der „Diaries Of Nathan Adler“ schuldig).

Dann gibt es mysteriöse Fälle von fertigen Platten, die nie erschienen -aber eben doch‘. Bruce Springsteen etwa hatte Ende 1979 ein neues Album im Kasten-das kurz knackige the ties that bind wäre mit zehn tendenziell flotteren Songs Springsteens bis dato kürzeste und leichtfüßigste Platte gewesen. Aber sie erschien nie-zumindest nicht in dieser Form. Denn siehe, es überkam den Boss die Ahnung, er habe doch mehr zu sagen und so wuchs the ties that bind an zu dem, was dann 1980 als Doppelalbum the River erschien. Eingetütet war 1986 auch peace, das dritte Album von The Cult – als der Band dämmerte, dass es doch irgendwie lasch klang. Rick Rubin, an den man sich zwecks Aufpeppung gewandt hatte, überredete die Band, das gesamte Ding für viel Geld neu aufzunehmen, die neue Version erschien als electric und wurde ein Hit. Von der Laschheit des Originals kann man sich seit 2000 auf dem Boxset rare cult überzeugen. Mutmaßlich ebenso wenig Schaden hat die Welt erlitten durch die Nichtveröffentlichung von Reportage, für das Duran Duran 2006 14Songs fertig hatten. Doch dann kam es zum Zerwürfnis mit Gitarrist Andy Taylor, der die Band -wie schon einmal in den 8oern-im Streit verließ und die Veröffentlichung per Anwalt untersagte; offenbar fand die Plattenfirma auch ganz gut, dass die Band die Platte in den Giftschrank legte und stattdessen mit Timbaland &Co. das red carpet massacre anrichtete.

Schwere Bedenken der Plattenfirma steckten auch hinterder Entscheidung, modernism: a new decade, das sechste -und dann auch letzte -Album von Paul Wellers 8os-Band The Style Council, das 1989 schon fix und fertig, mit Cover und allem, vorlag-sogar Promos waren schon rausgeschickt -doch nicht rauszubringen. Erst 1998 bekamen Fans auf dem Boxset THE COMPLETE ADVENTURES OF THE STYLE COUNCIL zu hören, was ihnen damals entgangen war- und durften sich fragen, ob sie wirklich so heiß gewesen wären auf die damalige Hinwendung der Erz-Popband zu House. Definitiv gern gehört hätte man hingegen the buck room von den Acidhouse-Anarchisten The KLF, das Anfang der 90er als „electro turbo metal“(JimmyCauty)-Komplementäralbum zu the white room (1989) angekündigt war, aber nie vollendet wurde. Bis Anfang 1992 arbeitete die „Band“ zusammen mit den Grindcore-Wahnsinnsknaben Extreme Noise Terror an dem Album, das laut KLF-Kopf Bill Drummond „very very dense, very very hardcore“ werden sollte, als plötzlich die Aufnahmen abgebrochen wurden-ohne Angabe von Gründen, nach denen man bei The KLF ja ohnehin nie fragen sollte.