Na dann Prost!
OK, trinken können wir alle. Auch mal einen guten Wein, klar. Aber wenn wir dann unsere Gefühle auf Englisch artikulieren wollen, wird es heikel, findet Harriet Köhler.
Schon klar, dass das jetzt keine besonders hehre Erkenntnis ist, aber neulich ist mir mal wieder aufgefallen, wie schwierig das manchmal ist. Also, das mit den Gefühlen und wie man einen Ausdruck findet dafür. Ich meine jetzt nicht so Kram wie „Ich liebe dich“ und so sagen, das kann ich nämlich. Easy. Was ich meine, sind Sinneseindrücke. Also das, was man in bestimmten Momenten tatsächlich empfindet.
Und das kam so: Wir hatten Gäste, zwei pensionierte Professoren aus Südafrika, die inzwischen international erfolgreiche Krimis schreiben und nebenbei ein Leben führen, bei dem jeder, der mehr als zwei Kreditkarten besitzt, sofort blass wird vor Neid. Wenn es ihnen auf dem Golfplatz zu warm wird, machen sie Flugsafaris oder gehen ihrer Vorliebe für italienische Opern, Feinkost und rare Rotweine nach. Einer der beiden besitzt ein Haus direkt auf den Klippen über dem Indischen Ozean, deshalb gebe ich zu, dass ich nicht völlig frei von Hintergedanken war, als ich den beiden feinsten Winzersekt und eine Vorspeise mit Hummer servierte, wofür ich mich sofort schämte, als mir klar wurde, wie unfassbar nett die beiden waren. Nett und entspannt. Sie hatten sogar Rotwein mitgebracht. Extra aus Südafrika! Drei Flaschen! Und natürlich nicht irgendwas. Zum Beispiel war ein 1974er Pinotage aus Stellenbosch dabei, falls das jemandem etwas sagt. (Na gut, auch ich musste erst mal Tante Google fragen.)
Nach dem Sekt gingen wir über zu Riesling, schließlich kamen wir bei den mitgebrachten Weinen an. Bei den ersten beiden Flaschen langte es noch, ausgiebig zu schnüffeln und anerkennend „hmmm“ zu machen. Aber dann lag da dieser 74er Pinotage im Glas, und der war wirklich …
„This wine, it’s so … so … „
Okay, mein Englisch ist nicht so besonders. Ich war mit 15 mal mit einem Briten zusammen, seitdem geht es bergab. Das ist auch der wahre Grund, warum ich bis heute nicht die „The Wire“-DVDs geguckt habe, die ich vor zwei Jahren zum Geburtstag bekommen habe.
„It’s so … so …“
Ich fuchtelte in der Luft herum, als wollte ich sie melken.
„It’s so …“
Die Südafrikaner starrten mich gespannt an.
Es war schrecklich. Ich wollte den Wein loben, und zwar am liebsten, indem das Erlebnis, ihn zu schmecken, direkt in eine ebenso erlesene Formulierung fließen ließ. Aber mal ehrlich: Wem gelingt das schon? Ich meine, wenn jemand versucht, eine schmackhafte Pizza zu beschreiben, sagt er „knusprig“ und „schön dünn“. Ein gutes Steak ist „superzart“ und „saftig“, ein Thriller „spannend“, ein Roman „berührend“ (Charlotte Link) oder „schockierend“ (Charlotte Roche). Man kann das immer so weiter führen. Eintopf ist „deftig“ oder „fade“, und Lena Meyer-Landrut „so herrlich natürlich“. Okay, natürlich gibt es auch Leute, die so tun, als kennten sie sich ein bisschen besser aus, Kritiker zum Beispiel, die greifen dann gern zu Wie-Vergleichen, bei denen die Hauptsache ist, dass sie möglichst originell sind: „Ein Buch wie ein Atomtest“ (Christian Y. Schmidt), „… Gemälde“ (Zoë Jenny), „… fetter Joint“ (Thomas Pynchon), „… Gemälde“ (Jürgen Becker), „… Titanic-Film“ (Nicholas Sparks), „… Revolver“ (Irene Dische) „… erratischer Block“ (Navid Kermani) „… Johnny-Cash-Song“ (Robert Olmstead), „…Supermarkt“ (E. L. Doctorow), „…Freilichtmuseum“ (Ken Follett), „… Gemälde“ (Jana Voosen). Geht natürlich auch mit Musik: „Ein Album wie ein Wahlprogramm“ (Brother Ali), „… Raumschiff“ (The Irrepressibles), „… Wurzelstrang“ (Gang Gang Dance), „… Film für die Kamera im Kopf“ (Calexico), „… Nachmittag im Wartezimmer eines befreundeten Arztes“ (Junior Boys).
Ich meine, sorry? Ein Roman wie ein erratischer Block? Und wer ist eigentlich Brother Ali? Zugegeben, auch ich habe die Beatles mal mit einem alten Lieblingspyjama verglichen, man schlüpft rein und fühlt sich sofort wohl, aber trotzdem!
Na ja, zurück zum Wein. Vermutlich hätte ich versuchen können, was von Beerennote oder Lakritzaromen oder getoastetem Holz zu brabbeln. Aber ehrlich gesagt, hatte ich da bereits jede Menge Dellen in der Krone und hätte das nicht mal mehr auf Deutsch hingekriegt. Immerhin waren wir bei Flasche number five.
„I want to marry this wine“, brachte ich schließlich lallend hervor und sah die Südafrikaner triumphierend an.
Die lächelten höflich, prosteten mir zu und begannen, über etwas anderes zu reden, während ich aufsprang und so tat, als müsse ich dringend mal eben was in der Küche nachsehen.
Harriet Köhler
Die Schriftstellerin Harriet Köhler hat gerade ihren Roman „Und dann diese Stille“ bei Kiepenheuer & Witsch veröffentlicht. Bekannt wurde sie mit ihrem Debüt-Werk „Ostersonntag“.
In der nächsten Ausgabe schreibt an dieser Stelle: Ariadne von Schirach