Frust, Angst und Schmerz: die Alben der Woche
Die Neuerscheinungen der Woche. Unter anderem mit Dead Can Dance, The Gaslight Anthem, James Yorkston und Phillip Boa.
Platte der Woche: James Yorkston – I was a Cat from a Book
Ein rundes halbes Dutzend famoser EPs und LPs, nicht zu vergessen dito Singles, hat James Yorkston bislang auf der Habenseite, Song für Song allerfeinster (Folk-) Stoff, gehüllt in kongeniales Cover-Artwork – wahre Artefakte in Zeiten von Streams, Clouds und anderem Klimbim. Mit I Was A Cat From A Book fügt der Schotte dieser prächtigen Kette eine neue Perle hinzu. Die Songs klingen paradoxerweise komplett aus der Zeit gefallen und gleichzeitig absolut heutig, umgehen dabei aber großräumig ausgelatschtes Freak-Folk-Terrain. Selbigem galt eh nie Yorkstons Passion, viel eher schon dem Britfolk eines Bert Jansch und des Waterson-Carthy-Clans, weniger puristisch indes als vielmehr pastoral angelegt, beizeiten jazzig angeswingt, mitunter im leichtfüßigen Pop-Folk-Modus der frühen Belle & Sebastian dahinschlendernd. Doch aller musikalischen Harmonie, aller Melodienseligkeit, aller vordergründigen Sanftmütigkeit zum Trotz: Die Lyrics sind Diktate des Frusts, der Angst, des Schmerzes, entstanden unter dem Eindruck einer schweren Erkrankung von Yorkstons Tochter – was I Was A Cat From A Book eine Intensität verleiht, eine Intimität auch, die kaum zu ertragen ist. Mehr als ein Album. Eine Katharsis (Peter Felkel).
B
The Black Atlantic – Darkling, I Listen
Phillip Boa & The Voodooclub – Loyalty
Mein Indie ist nicht dein Indie. Der Indie von Phillip Boa zum Beispiel ist rund 25 Jahre alt. In den Achtzigern erkannten einige in ihm, der von der schieren Selbstermächtigung und der Avantgarde kam und zum Pop drängte, sogar einen Erneuerer. Auch wenn der Dortmunder als aufmerksamer Beobachter immer wusste, worüber sich Indie-Rock und -Pop aktuell definiert, so blieb er doch ein Gefangener seines eigenen Systems. Aber wieso „Gefangener“ ? Warum sprechen wir nicht von „Stil“ und „Haltung“, wenn wir von Boa reden? Wohl deshalb, weil Boas Stil und Sound nicht gut altern. (Respekt jedoch für seine Haltung!) Seine Avantgarde, im aktuellen Werk höchstens noch in Spurenelementen vorhanden, klingt für heutige Ohren oft nur umständlich. Sein Pop, der sich in ungezählten klassischen, verlässlich melancholischen Refrains ergießt, hausbacken. Das Hauptproblem Boas ist aber wohl, dass seine Musik so gar nichts Originäres hat. Der Bowie-Fan ist ein durchaus fähiger Konstrukteur, dem auf seinem 17. Album (!) in 28 Jahren wieder drei, vier Refrains gelingen, die in einem nachhallen wie nach einem Abend in der Indie-Disco anno 1989. Mehr kann man wohl auch nicht erwarten. (Oliver Götz)
D
Dead Can Dance – Anastasis
Das fängt ja gut an! „We are the children of the sun, our kingdom will come, sunflowers in our hair …“, singt Brendan Perry im ersten Song auf dem Comeback-Album von Dead Can Dance. Anastasis heißt es pathetisch, ein griechisches Wort, das „Auferstehung“ oder „Wiedergeburt“ bedeutet. Warum, ist klar. Die Veröffentlichung des letzten Studioalbums, Spiritchaser, liegt 16 Jahre zurück, eine große Tournee im Jahr 2005 ließ noch einmal Gerüchte über ein neues Album aufkommen, die Lisa Gerrard allerdings immer wieder dementiert hat. Über dem neuen Album schwebt die anmutige, entrückte Gerrards, die keine Texte singt, sondern die Worte zu Emotionen modelliert. Ihr kann man sich selbst als Nichtfan kaum entziehen, aber diese ambitionierte Musik, die zu viel von allem ist, kann den Hörer fertigmachen … oder lässt ihn andächtig werden. (Sven Niechziol)
G
Gallon Drunk – The Road Gets Darker from Here
Viele wollen nach Berlin. Einige aber auch nach Hamburg. Bombay Bicycle Club zum Beispiel, deren letzte Sessions fanden zum Teil an der Elbe statt. Oder Gallon Drunk. Das neue Album dieser unzerstörbaren Halunken aus London wurde komplett im Clouds-Hill-Studio im Hamburger Stadtteil Rothenburgsort aufgenommen. Schnell versteht man, warum Johnston mal von Nick Cave in die Bad Seeds beordert wurde. Er hört sich wie der Australier in ganz frühen Zeiten an: zügellos, laut und von derbem Gossen-Blues besessen. James Johnston hat einfach von Natur aus ein Feuer, das sich leicht entzünden lässt – in London, in Hamburg oder in jedem beliebigen Haushalt. Gut zu wissen, dass er es nicht löschen und gut damit umgehen kann (Thomas Weiland)
The Gaslight Anthem – Handwritten
The Gaslight Anthem wechseln immer mehr zu einem Genre mit dem merkwürdigen Namen „ Heartland Rock“ über, zu dessen Vertretern auch Bob Seger und natürlich Bruce Springsteen gezählt werden. Das sind sehr große Namen aus den 70er-Jahren, aber The Gaslight Anthem wissen deren Sprache zu sprechen. Sie geben sich geerdet, erzählen Geschichten von der Straße, zeigen stadiontaugliche Rockgesten, tränken ihre Songs in Pathos und verwandeln sie in Hymnen, sie stimmen Balladen an und schalten auf Midtempo um. All das gelingt dem Quartett auf seinem vierten Album zwar ganz mühelos, aber mit so etwas alleine schreibt man noch keine Pop-Geschichte. Dazu bedarf es dann doch einer Reihe charakterstarker Lieder der Art „ The Promised Land“, „ Badlands“ oder „Darkness On The Edge Of Town“, aber es kann ja nicht jeder zum „Boss“ werden. (Sven Niechziol)
R
Redd Kross – Researching the Blues