Anton Corbijn über Joy Division


Erst wollte er nicht, doch er kam den Geistern der Vergangenheit nicht aus: Der bekannteste "Rockfotograf" unserer Zeit widmet sich in seinem bereits mehrfach ausgezeichneten Spielfilmdebüt den Leiden des Ian Curtis.

Sie haben in Ihrem ersten Spielfilm heftige Themen geschultert: Selbstmord, Epilepsie, Depression. War die Arbeit für Sie selbst eine schmerzhafte Erfahrung?

Ein paar Szenen gingen mir tatsächlich an die Nieren. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass man beim Drehen automatisch einen gesunden Abstand besitzt. Filmemachen ist in erster Linie eine praktische Angelegenheit, so dass man nur in den seltensten Fällen emotional berührt wird. Emotion kommt ins Spiel, wenn man mit Schauspielern an Szenen arbeitet, in denen sie diese extremen Situationen durchmachen. Sam Riley beiden epileptischen Anfällen zuzusehen, hat mich sehr mitgenommen. Ich hätte am liebsten die Kamera angehalten, um ihm zu helfen. Nach einer Epilepsie-Szene hatte er Blessuren an der Stirn, weil er sich mit dem Gesicht am Teppich verbrannt hatte.

Sie hatten „Contra! zunächst abgelehnt, weil Sie für Ihr Regiedebüt explizit nach einem Stoff gesucht hatten, in dem es nicht um Musik geht.

Ich werde immer noch als „Rockfotograf“ bezeichnet. Und ich hatte Bedenken, dass man diese Schublade wieder aufmachen würde, wenn ich derjenige wäre, der das Leben von Ian Curtis verfilmt. Dann hätte man gleich wieder von einem Musikfilm gesprochen. Aber Joy Division sind ein zu wichtiger Teil meines Lebens, als dass ich ihn ignorieren könnte. Der Film sollte mir helfen, mit diesem Teil meiner Vergangenheit abzuschließen. „Control“ ist kein Musikfilm, er behandelt universale Aspekte. Es ist eine Liebesgeschichte, erzählt von einem Jungen, der seine Träume verwirklichen will und sich mit Albträumen konfrontiert sieht.

Es gibt allerdings nicht viele Filme, in denen die Konzertszenen so glaubwürdig und wahrhaftig sind wie in „Control“.

Ich habe lange darüber nachgedacht. Wir haben diese Szenen mit mehreren Kameras gedreht, unter anderem mit einer Handkamera, was entscheidend war. Ich habe bei Musikfilmen oft den Eindruck, dass sie nicht die richtigen Bilder finden, die das transportieren, was man beim Hören seiner Lieblingsmusik verspürt. Mein Anliegen war es, dass der Zuschauer von „Control“ in derselben intensiven Weise berührt wird, wie er von der Musik von Joy Division berührt wird.

Sie haben in Schwarzweiß gedreht. Es ist ein Schwarzweiß, wie man das noch nie gesehen hat, mit sehr grellen weißen Flächen und einem Schwarz, von dem Ian Curtis allmählich förmlich verschluckt wird.

Das war meine Absicht. Gegen Ende des Films gibt es eine Szene, die das unmissverständlich verdeutlicht: Ian kommt aus dem Schwarz, Debbie aus dem Licht. Ich hatte einen sehr guten Kameramann, Martin Ruhe, ein Deutscher, mit dem ich bereits bei Clips für Coldplay und Grönemeyer zusammengearbeitet hatte. Wir hatten uns darauf geeinigt, unserem Film eine poetische Qualität zu verleihen. Ian war ein Poet. Es wäre ein Fehler gewesen, wenn der Film ausgesehen hätte wie ein moderner Werbespot. Die Entscheidung für Schwarzweiß war zwingend: Sämtliche Artworks von Joy Division, alle Fotos waren Schwarzweiß. Das England der späten 70er-Jahre war ein sehr tristes Land.

Dennoch haben Sie sich damals entschieden, die Niederlande zu verlassen und sich in dem tristen Großbritannien niederzulassen.

Das hing für mich mit der Intensität zusammen, mit der in England Musik gemacht wurde. Sie entsprach der Intensität, die ich mit meiner Fotografie verband. Immer wenn ich in England Aufträge hatte, hatten die Bilder eine Qualität, die meine Aufnahmen in Holland vermissen ließen. Die Tristesse des Landes kam meiner Arbeit entgegen. Und als junger Mann hatte ich einen Hang zu Schwermut und Depression. Aber jetzt, 28 Jahre, nachdem ich wegen Joy Division nach England gezogen bin, kehre ich nach Holland zurück – nachdem ich einen Film über Joy Division gemacht habe.

Wie wurden Sie damals auf Joy Division aufmerksam?

Wir haben viel von der Musik gehört, die damals auf den Markt kam. Die späten 70er-Jahre waren aufregend. Sex Pistols, Clash, Magazine! Und dann kam Joy Division. Ich und ein Freund, wir teilten die Platteneinkäufe auf und hörten die Musik dann gemeinsam bei mir zu Hause. Er war es, der auf Joy Division abfuhr. Nach und nach sprang seine Begeisterung auf mich über. Ich liebte die Musik, ihre eigentümliche Qualität, die Plattencover. Es war Musik, die den Zeitgeist perfekt spiegelte. Ich konnte die Texte nicht verstehen, weil mein Englisch sehr schlecht war. Aber man spürte einfach, dass es um lebensentscheidende Dinge ging. Vor Kurzem habe ich ein Zitat von Tony Wilson (Gründer des Factory-Labels – Anm.d. Red.) gelesen, das ich nur unterschreiben kann: „Die Attitüde von Punk war ‚Fuck you!‘ die Attitüde von Postpunk war „I’m fucked!‘.“ Punk war für uns sehr wichtig. U2 wurden von den Clash motiviert. Joy Division von den Pistols. Und mich motivierte die Attitüde des Punk. Man lernte, während man es einfach machte. Schnapp dir deine Kameras und sieh zu, was du damit anstellen kannst Joy Division waren die Band, die den 80er-Jahren die Tür öffnete, weil sie alles hinter sich ließ, was Punk davor gewesen war.

Stimmt. Sie klangen ungemein modern. Das war sicher auch ihrem Produzenten Martin Hannett geschuldet, der wirklich unfassbar gut war. Im Film sieht man das bei „She’s Lost Control“, wenn wir von der Studio- zur Liveversion überblenden. Der Unterschied im Sound ist gewaltig – auch wenn es sich nicht um die richtigen Joy-Division-Tracks handelt, sondern um Einspielungen der Filmband.

Ein toller Effekt, den Sie mehrfach verwenden: das Überblenden von Musik …

Das bettet die Musik besser in die Geschehnisse ein. Bei „She’s Lost Control“ erzählen wir im Grunde eine kleine Geschichte. Ich mache das noch einmal bei Bowies Musik, wo ich von Ians Zimmer in den Konzertsaal blende. Aber so war das: Man lag zu Hause und träumte zur Musik. Bei Konzerten war das eine andere Sache.

Sie haben Ian Curtis und Joy Division zweimal fotografiert. Was sind Ihre persönlichen Erinnerungen an ihn?

Ein netter Kerl. Etwas schüchtern, aber immer freundlich und zuvorkommend. Ich habe ihn aber wirklich nur sehr kurz getroffen. Und mein Englisch war so schlecht, dass ich mich auch nicht mit ihm unterhalten konnte. Mehr über ihn habe ich erst viel später erfahren, durch Recherchen. Und da kommt er nicht unbedingt gut weg. Seine weniger angenehmen Seiten habe ich im Film nicht ausgespart. Nur wird er von Sam Riley so gut gespielt, dass man bis zum Schluss Sympathien für ihn hat.

Dennoch: Wenn man Ihre Darstellung mit der in 24 Hour Party People vergleicht, oder auch mit Debbie Curtis ‚Biografie „Aus der Ferne“, fällt auf, dass Sie ihn liebenswerter zeichnen.

Mir ist klar, dass mein Film einen anderen Ton anschlägt. Aber ich zeige schon, dass er ein Mensch war, der sich in seine Welt zurückgezogen und seine Frau systematisch aus seinem Leben ausgeschlossen hat.

Sie haben den Titel „Control“ auch gewählt, weil er Curtis‘ Bedürfnis nach totaler Kontrolle widerspiegelt. Wie steht es da bei Ihnen?

Meine Fotos entstehen eigentlich sehr spontan. Meine Inspiration beziehe ich aus der Unvollkommenheit. Aber natürlich geht es mir wie allen Künstlern: Ich will meine Kunst beschützen. Wenn ich sehe, dass meine Fotos in schlechter Qualität oder unscharf abgedruckt sind, dann macht mich das wütend. Ians Wesen war es aber, auch außerhalb seiner Kunst kontrollsüchtig zu sein, in seiner Ehe ganz besonders.

In den frühen Szenen des Films, in denen Sie Ian Curtis zeigen, wie er zu Bowies „Aladdin Sane“ vor dem Spiegel posiert, kann man sich dennoch des Gefühls nicht erwehren, dass „Control“ auch ein Film über Sie selbst ist.

Kann sein, auch wenn das bei mir nicht Bowie war.

War diese Identifikation ein weiterer Grund, warum Sie den Film machen wollten?

Sicher. Musik hat mein Leben sehr beeinflusst. Doch wie gesagt: Diese Tür habe ich nun hinter mir geschlossen. Ich bin gespannt, wie das bei meinem nächsten Film wird. Ich würde am liebsten einen Thriller oder Actionfilm machen. Auf jeden Fall etwas, in dem ich mich selbst weniger stark wiederentdecke.

>»www.controlthemovie.com >»www.corbijn.co.uk