Band On The Run


Antizyklisch muß man sein. Geradeaus gegen den Trend steuern. Wenn Britannien tost und tobt und jede Woche eine neue Punkrockband auf den Thron hebt, sagen Supergrass gerade mal lieber nein. „Ich möchte im Moment kein Punkrock-Album machen, einfach, weil ich nicht wie alle anderen klingen wollte.“ Gaz Coombes, Sänger, Gitarrist und Vordermann des Britpop-Kreuzers aus Oxford, blickt nicht mal hinter seinen dunklen Gläsern auf, wenn er vom Punkrock spricht. „Vielleicht machen wir in sechs, sieben Jahren noch einmal so eine Platte mit Zweieinhalb-Minuten -Songs, vielleicht kommen wir dann auf unser Debüt zurück und der Kreis schließt sich. „Jetzt jedenfalls nicht. „Es ist gut zu wissen „, sagt Bruder Rob, „daß die Resonanz, die wir heute erhalten, sich alleine auf unsere Songs bezieht. Und nicht darauf, daß junge Mädchen mit uns schlafen wollen, weil wir cool sind.“

Es fehlt beim Interview-Termin nur Drummer Danny. Gaz, Rob (Keyboards) und Mick (Baß) sitzen im Bush Bar &. Grill, einem schicken Hinterhof-Restaurant, das inmitten der Kebab-Buden und afro-karibischen Imbisse auf der Goldhawk Road wie ein Requisit aus dem falschen Film wirkt. Wir befinden uns im Westen Londons, Shepherd’s Bush. Die Band probt ganz in der Nähe. Gaz, Rob und Mick geben im fliegenden Wechsel Interviews. Zeit ist knapp, die Journalisten sind mit Verspätung eingetroffen, weil der Verkehr ziemlich lahm liegt in der Stadt. „Da war irgendwo wieder ein großer Unfall“, meint Rob, „in diesen Tagen steht aber immer auch noch viel still, weil es Bomben-Drohungen und -Vermutungen gibt.“

Wenn Supergrass noch bis Anfang Juli an ihrer neuen Platte gebastelt hätten, wären ihnen die Bomben-Anschläge in London vom französischen Fernsehen übertragen worden. Für die Aufnahmen zu Road To Rouen quartierte die Band sich knapp vier Monate in einer Scheune in der Normandie ein, die Gaz, Rob und Vater Coombes gekauft hatten. „Als wir das erste Mal dort waren, fanden wir geschlachtete Schafe, ein bißchen hart für die Vegetarier in der Band“, erzählt Rob. „Ein Jahr lang haben wir den Schuppen dann repariert, das Dach befestigt, unser Studio eingebaut. Das Studio hat uns die Freiheit gegeben, Songs zu schreiben, während wir aufnehmen. Wir konnten in unserem eigenen Tempo arbeiten. Es war fantastisch.“

Bösartige Menschen werden sofort daraufhinweisen, daß die neugewonnene Freiheit die Band zu musikalischem Müßiggang verleitet hat. Verglichen mit den frühen Krachern fehlt es einigen Songs auf dem neuen Album hörbar an Spannkraft. Die Gitarren haben sie mit Absicht deutlich zurückgefahren. Waren Supergrass nicht die Band mit der Fast-too-Prozent-Garantie für punktgenaue Popmusik? Und wenn sie den Punkt mal knapp verfehlten, war ihnen doch anhörbar, daß sie bei der Aufnahme irgendeine Art von Gaudi gehabt haben müssen.

Das aktuelle Bandprogramm umfaßt einige neue Tagespordnungspunkte: reisen, lernen, erwachsen werden. Noch einmal von vorne anfangen, ohne dabei allzu sehr nach vorne zu schauen. Was man so vor den Toren der ominösen 30 durchmacht. Vielleicht sind aber auch die vielen langen Autofahrten am neuen Supergrass-Sound schuld, eruiert Rob. „Wir sind jede dritte Woche in der Aufnahmezeit nach Hause gefahren. Gaz sagte immer ,We ‚re on the road to Rouen in deep shit‘. Gleichzeitig trägt der Titel eine andere Bedeutung: ,Road To Ruin‘. Befinden wir uns auf dem Weg in den Ruin? Begehen wir kommerziellen Selbstmord mit alledem hier?“ Antworten gibt die Band keine. Was macht Supergrass im Moment aus? Rob Coombes spießt ein Stück Lammkotelett mit der Gabel auf und überlegt. „Wir sind eine Band mit sehr unterschiedlichen Individuen, deren Charakterzüge sich jetzt deutlich stärker äußern als vor zehn Jahren. In der Vergangenheit war jeder nur an Bord, um für das Team zu arbeiten. Es war schwer, unterschiedliche Menschen in dieser Band auszumachen. Unsere Musik ist introvertiertergeworden, weil wir die unterschiedlichen Stile und Einflüsse heute mehr herausstellen.“

Auf Road To Rouen gibt es die ausgesprochen hübschen, verspielten Popsongs mit Streichern, viel Piano und naturgewellten Beatles-Harmonien („St. Petersburg“, „Sad Girl“), die aus der Mitte wegstrebenden Psychedelic-Rock-Stücke, ein kurzes Easy-Listening-Instrumental im Zentrum und die länglichen Grower, die Fenster in grüne Folk-Landschaften öffnen. „Mit dieser Beschreibung hast du gleichzeitig die Charaktere in der Band angesprochen „, meint Rob. „Ich sage dir aber nicht, wer wofür steht. Bleibt unser Geheimnis.“ Vielleicht ist die Sache so kompliziert nicht. Sänger Gaz Coombes (beim Band-Stait vor gut zehn Jahren gerade mal 18) läuft zu großer Spätform in „Sad Girl“ auf. „Es war nicht so, daß ich John Lennon im Hinterkopfhatte bei dem Song. Die Nähe zu den Beatles ergibt sich vielleicht dadurch, daß wir den Gesang nicht mehr so sehr herauspressen wollten. Bei den Beatles waren die LeadVocals oft sehr laid-back.“

Die Beatles hatten aber auch einen langen familiären Vorlauf bei Supergrass. „Unsere Mutter besaß jede Menge Beatles-Platten auf Vinyl“, erzählt Gaz. „Siespielte uns aber auch ,Space Oddity‘ von Bowie vor. Und Onkel Pete ließ eine riesige Schallplattensammlung bei uns zurück, als er auf die Bahamas ging. J.J. Cale und Patti Smith, Bob Marley und die Sex Pistols. ‚ Rob: „Musik war überall. Großvater nicht zu vergessen, der spielte als Pianist in einer Tanzband, draußen in den Parks von Oxford.“

Die 135000-Einwohner-Stadt mit der berühmten Universität, ist nach wie vor Rückzugsort für die Band, aber alles andere als ein safe european home aus dem Bilderbuch, sagt Rob. „Einer der Attentäter vom 7. Juli in London kam aus Aylesbury, nicht weit von Oxford. Das ist keine Slum-Gegend, Aylesbury liegt im grünen Gürtel außerhalb. So sieht’s aus. Das ist doch irgendwie irritierend… „Mindestens so irritierend wie die aktuelle Supergrass-Songkollekrion: „Road To Rouen führt zu vielen Seitenwegen. Wer weiß, wohin. Wir finden es schwer, einem bestimmten Schnittmuster auf unseren Alben zu folgen „, sagt Gaz nur. „Young, Stupid, Sexy!“ 1994 bekamen die Briten Supergrass in drei Worten zu fassen. Eine Blitzkarriere legte die Band hin, nachdem ihre Single „Caught By The Fuzz“ mit einem Doppel-Hype von NME und Melody Maker bedacht wurde. Von den ersten beiden Alben wurden weltweit über zwei Millionen Exemplare verkauft. Supergrass-Singles schössen wie Raketen in die Brit-Charts. Wenn es eine Linie in dieser Erfolgsgeschichte zu entdecken gibt, dann die, daß diese Burschen kontinuierlich nachhaltige Melodien in ihren steilen Rocksound zu inkorporieren in der Lage waren. Zunehmend konnten ihre Melodien aus Splitterteilchen der Pophistorie rekonstruiert werden, mehr und mehr bastelte die Band an einem Pop-Rock-Kaleidoskop mit klassischen Zutaten.

Mit einem Teil dieser Vergangenheit haben Supergrass abgeschlossen. „War, wir hatten diese Hits, aber sie verlieren ihr Gewicht nach einer Weile“, sagt Gaz. „Du mußt dich irgendwann entscheiden, ob du eine Singles-Band oder etwas anderes werden möchtest.“ für Rob war die Zusammenstellung von Supergrass IS 10 -The Best Of 94-04 der Knackpunkt. „Wir haben dafür nur zwei neue Songs geschrieben, sie mußten in dieses Programm passen. Das haben wir als sehr schwer empfunden. Es war ein bißchen so, wie über einen bekannten Platz zu gehen. Ich war einfach glücklich, mit einem neuen Album von dortfortfahren zu können, mich von der Retrospektive zu lösen.“

Ist Musik überhaupt ein geeigneter Ort zum Altwerden? „Mmmh, yeah, ich meine… Mit dem Alter wird alles besser. Du schreibst bessereTexte, spielst besser, vorausgesetzt, du hältst die Sache spannend, die Songs bleiben interessant. Gettin gold is great!“

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