Auf „New Age“-Spurensuche: Ist die Säuselmusik besser als ihr Ruf?
Inmitten einer Lebenskrise findet unser absolut geschmackssicherer Autor über Umwege zur wohl uncoolsten aller Musikrichtungen: New Age. Getrieben von Abscheu und Faszination macht er sich auf die Suche nach dem Kern dieses Genres und fliegt nach Kalifornien. Dort trifft er Genies und Wahnsinnige, vor allem aber findet er zwischen Heilung und Humbug zu sich selbst.
Ohne Umschweife erzähle ich Doucet, dass ich in verzweifelten Stunden nichts anderes hören konnte als New Age.
„Das wundert mich nicht“, antwortet sie. „Das Wissen um die heilende Kraft von Musik ist so alt wie die Menschheit. Musik harmonisiert den Körper. Diese Wahrheit ist in der Ära des Pop leider verloren gegangen.“
Die Rückkehr der Spiritualität in die Musik sei ein gradueller Prozess, der in den späten 60er-Jahren mit Bands wie den Beatles begann, erklärt sie mir. „Für mich ist George Harrison ein New-Age-Künstler. New-Age-Musik muss nicht unbedingt beruhigend sein. Sie kann auch symphonisch sein, voller Trommeln oder auch nur aus dem Klang einer einzelnen Flöte bestehen.“
Doucets weit gefasster New-Age-Begriff fasziniert mich. Wenn ich darüber nachdachte, war Musik der einzige Gottesbeweis, den ich gelten lassen konnte. Weil sie das Einzige war, das mir eine Idee von Transzendenz vermittelte. Einige der schönsten Momente meines Lebens hatte ich im Zug, Bus oder Flugzeug, wenn ich mit Kopfhörern die am Fenster vorbeiziehende Welt betrachten konnte. Durch die Lieder erschien das Leben sinnvoller, folgerichtiger. Musik schien einen Rahmen zu schaffen, durch den sich der gegenwärtige Moment tatsächlich klar erfahren ließ.
Am Ende unseres Gesprächs lädt mich die Netzwerkerin nach Kalifornien ein. Hier leben alle Größen des New Age, und sie könne mich mit den Wichtigsten in Kontakt bringen. „Das wird sich für dich lohnen“, erklärt sie bestimmt.
Als ich Ende Mai in Los Angeles ankomme, habe ich zwar einen Adapter für die amerikanischen Steckdosen und meine Kreditkarten-Pin vergessen, dafür habe ich eine Liste von New-Age-Kontakten in der Tasche, die Suzanne Doucet mir gegeben hat. Dass das Genre in Kalifornien zur Blüte kommen musste, begreift man, wenn man hier ist. Am Strand von Venice beobachte ich Bodybuilder beim Schaulaufen, Wahrsager, die bedeutungsschwanger Tarotkarten auffächern, Heiler, die mit Pendeln Chakren ausbalancieren und schiefe Verkaufsstände, die von Traumfängern und Stimmungsringen überquellen. All das ist, ebenso wie die mit Kombucha gefüllten Supermarktregale, Teil eines amerikanischen Erfolgsrezeptes, in dem Spiritualität, Wellness und Selbstoptimierung fließend ineinander übergehen. Die Hippies, die in Kalifornien alt geworden waren, hatten die bewusstseinserweiternden Erfahrungen der psychedelischen Revolution in einen gesetzteren Lebensabschnitt übertragen. Dabei arrangierten sie sich mit dem Kapitalismus und seinem Statusdenken. Meditation, Yoga, Hypnotherapie, Floating-Sessions und Selbsterkenntnisprogramme strahlten von hier als holistisches Big-Business in die Welt aus. Bis Mitte der 80er-Jahre war New Age zum verkaufsträchtigen Marketingbegriff geworden, nicht zuletzt in der Musikindustrie. Große Labels bezahlten Studiomusiker, die ihnen Beruhigungsmusik aus der Hüfte schossen. Compilations mit Titeln wie „Positive Sounds“ und „Silent Dreams“ fluteten den Markt. Kleine Plattenfirmen wie Windham Hill oder das aus dem deutschen Krautrock-Label Kuckuck hervorgegangene Celestial Harmonies wurden innerhalb von wenigen Jahren zu Millionen-Dollar-Unternehmen. Musiker wie Kitaro und Vangelis füllten Stadien. Plattenladen-Giganten wie Tower Records richteten New-Age-Abteilungen ein. „New Age Only“, der Shop von Suzanne Doucet, konnte damit nicht mithalten und schloss Ende der 80er-Jahre seine Pforten.
Doch New Age war nicht immer der High-End-Soundtrack für die Yuppies der Reagan-Ära gewesen. In den 70er-Jahren war das Genre Underground im besten Sinne. Spirituelle Sucher nahmen in Heimstudios Kassetten auf und verbreiteten sie über eigene Vertriebskanäle, die oftmals einfach nur Meditationszirkel, Yoga-Studios oder Bioläden waren. Die goldenen Jahre des New Age waren eine DIY-Angelegenheit und in ihrer Missachtung etablierter Strukturen dem in Kalifornien ebenfalls florierenden Hardcore-Punk nicht unähnlich.