Auf „New Age“-Spurensuche: Ist die Säuselmusik besser als ihr Ruf?
Inmitten einer Lebenskrise findet unser absolut geschmackssicherer Autor über Umwege zur wohl uncoolsten aller Musikrichtungen: New Age. Getrieben von Abscheu und Faszination macht er sich auf die Suche nach dem Kern dieses Genres und fliegt nach Kalifornien. Dort trifft er Genies und Wahnsinnige, vor allem aber findet er zwischen Heilung und Humbug zu sich selbst.
Dann erzählt McQueen seine New-Age-Geschichte, die meiner eigenen ähnlich ist. Als er durch eine „schwere Trennung, eine dunkle Zeit“ ging, empfahl ihm ein Freund den kosmischen Ambient-Klassiker „Planetary Unfolding“ von Michael Stearns aus dem Jahre 1981. „Ich kann dir ehrlich sagen, dass diese Musik mein Leben gerettet hat. Und weil sie solche Wunder bewirkt hat, wollte ich mehr davon.“ McQueen begann, New-Age-Tapes zu sammeln und sie über sein Label, das bisher vor allem für avantgardistischen Pop stand, wiederzuveröffentlichen. Er nahm Neo-New-Age-Musiker wie Green House und Francesca Heart unter Vertrag und auch seine eigene Musik, die bislang instrumentalem HipHop nahestand, transformierte immer mehr zu New Age. In dieser Zeit lernt er auch seine Frau Diva Dompé kennen, die unter dem Namen Yialmelic Frequencies frühkindliche Ufo-Visionen in verspulter Ambient-Musik verarbeitet. „Durch unsere Beschäftigung mit New Age lernten wir viele alternative Gesundheitspraktiken und Heiler kennen, von denen wir mit einigen zusammenarbeiteten. Am Ende stellte sich leider vieles als schädlich heraus.“ Auf die Details will er nicht eingehen, aber es wird klar, dass McQueen unangenehme Erfahrungen in dieser Welt gemacht hat. „Wir haben fragwürdiges Hokus-Pokus erlebt“, bestätigt er. „Es gab Momente, da fühlte es sich nach einem Kult an, und ich habe Freunde, die tatsächlich in dieser Welt verschwunden sind.“
Die Musik bedeute ihm noch immer viel. Es sei nur schade, dass „dieser ganze Lifestyle“ mit dranhänge. „Es gibt in diesem Feld so viele aufregende, psychedelische Outsider-Art. Aber meine eigene Kunst und mein Label sollen nicht mehr in erster Linie für dieses Genre stehen.“ Sein nächstes Album habe wieder „Grooves und Experimente“. Inhaltlich gehe es um Pilze, „genauer gesagt darum, wie Myzelium-Netzwerke klingen würden, wenn man sie hören könnte“. Das Wunder des Lebens habe eben auch dunkle Seiten. Als wolle uns das Universum daran erinnern, fangen auf der Kreuzung gegenüber plötzlich zwei Obdachlose eine Schlägerei an. „Oh Snap“, sagt McQueen tonlos und wendet sich wieder unserem Gespräch zu. „Weißt du, mich aus diesem New-Age-Kosmos entfernt zu haben, fühlt sich an, als würde ein Gewicht von meinen Schultern gehoben. Ich war jung, naiv und auf einer spirituellen Suche. Da kann man leicht manipuliert werden.“
Aufgeben als Erleichterung
McQueens Worte bestätigten mein Gefühl, langsam aus einem Traum aufzuwachen. Eine Hoffnung loszulassen. Wie er war ich auf meiner Suche nach Heilung auf spirituelle Pfade gelangt. Auch ich wollte Sinn in meinem Schmerz finden. Ihn mithilfe von Musik transzendieren. Gleichzeitig hatte ich meine Suche zu einer Art Selbstoptimierung gemacht. Ich wollte geheilt und erleuchtet zurückkehren, ein schillernder Phönix aus der Asche, wie ihn Aeoliah hätte malen können. Stattdessen hatte ich aufgegeben. Und in diesem Gefühl lag auf einmal etwas unglaublich Erleichterndes. Es gab nichts zu finden. Und eigentlich hatte ich auch nichts verloren. Die beruhigende New-Age-Musik hörte ich noch immer, aber sie war inzwischen nur eines von vielen Genres, das ich je nach Stimmung auswählte. Im Auto hatte ich passend zur kalifornischen Szenerie die Beach Boys gewählt, Yacht-Rock von Hall & Oates („She’s Gone“ traf mich direkt ins Herz), Stoner-Rock für die Wüste und dazwischen eine Playlist mit Metal-Songs, die ich als Teenager mochte. Damals war ich der einzige Satanist im Dorf gewesen, mit schwarz gefärbten Haaren und umgedrehtem Kreuz um den Hals. Tatsächlich war auch das bereits eine an Musik angedockte spirituelle Suche gewesen. Meine Mutter, die mich nicht mit Totenkopf-T- Shirts in die Schule lassen wollte, sagte einmal, dass diese morbide Musik vielleicht nur eine pubertäre Strategie sei, um mit der eigenen Sterblichkeit klarzukommen, ein Versuch, den Tod und all den Schmerz, der mit ihm einhergeht, zu umarmen, lange bevor er eintritt. Heute erscheint mir das logisch.
Am Ende dieser Reise weiß ich noch immer nicht, was Musik ist. Wie das menschliche Bewusstsein lässt sie sich mit poetischen Metaphern oder wissenschaftlichen Begriffen höchstens einkreisen – greifbar wird sie nur als subjektive Erfahrung. Und dort fühlte sie sich für mich mehr denn je wie etwas Heiliges an. Egal ob es nun Black Metal war – oder New Age.
Dieser Text erschien unter dem Titel „Das letzte Tabu“ zuerst in der Musikepress-Ausgabe 12/2022.