Aufbruch in die Video-Welt


Die erste Single,die die irischen Boomtown Rats 1977 in die britischen Hitlisten brachte, trug den respektlosen Titel "Looking After Number One". Und Sänger Bob Geldof erzählte jedem, der es hören und jedem, der es nicht hören wollte, daß die Rats über kurz oder lang ganz oben am Rockhimmel stehen würden. Nun ist Geldof ganz oben, und er hat seine Probleme, sich dort zurechtzufinden. "Never bite the hand that feeds", singt er. Aber die Hand, die ihn füttert, wird ihm immer unheimlicher.

In nur zwei Jahren hat sich das Publikum der Boomtown Rats dreimal verändert. Am Anfang, mit den Singles „Looking After Number One“ und „Mary Of The Fourth Form“, gehörten sie zur New Wave-Szene. Mit „She’s So Modern“, ,,Like Clockwork“ und „Rat Trap“, dem ersten Tophit in England, brachen sie ins Rocklager ein. Und nun, nach dem Geniestreich „I Don’t Like Mondays“, jubeln ihnen die Kinder und in steigendem Maße auch deren Eltern zu. „Abba des Punk“ hat der britische Journalist Duncan Fallowell die Rats getauft – eine zynische Bemerkung zwar, aber eine mit einem wahren Kern.

Bob Geldof weiß, was er will. Niemand gibt so ergiebige, so tiefschürfende Interviews wie er. Niemand macht bei Fernsehauftritten eine so gute Figur, egal ob es sich um eine Talkshow oder eine Musiksendung handelt. Ich habe all die Bilderstapel durchgesehen, die unter dem Stichwort „Boomtown Rats“ im Musik Express-Archiv lagern – es gibt kein einziges schlechtes, uninteressantes Bild darunter. Bob, der ehemalige Journalist, versteht es, mit den Medien umzugehen, und er macht neuerdings Musik für jedermann mit dem Biß der spätsiebziger Jahre – was will man mehr? Ein Rockstar par exellance, wild auf der Bühne, scharfsinnig hinter den Kulissen, ein Idol mit einer fantastischen Band und einer vielschichtigen Musik für Tanzhallen und Universitätsseminare – hat es das seit John Lennon schon mal wieder gegeben? Bob Geldof hat sehr bewußt an seinem Aufstieg gearbeitet, und auch das rückt ihn in die Nähe eines Mannes wie Stig Anderson von Abba. Allerdings hat Topstar Bob Geldof die bessere Musik, die bessere Botschaft und größere Skrupel – hat er auch das bessere Rezept, um zu überleben? Der Erfolg hat seine eigenen Gesetze, und Geldof hat sie aus der Distanz des Journalisten und musikalischen Aufsteigers studiert. Inzwischen aber unterliegt er diesen Gesetzen und ihren Wechselwirkungen, und seine Zukunft kann er sich ausmalen. Mick Jagger ist arrogant und zynisch geworden, John Lennon ist beinahe zerbrochen, Jim Morrison ist gestorben, Johnny Rotten hat sich ausgeklinkt, gerade als es richtig losging, Cat Stevens ist untergetaucht, Paul McCartney ist Geschäftsmann geworden, Elvis Presley und Cliff Richard haben nach dem ersten Rausch eineinhalb Jahrzehnte lang fast nur noch Platitüden von sich gegeben – looking after number one heißt, der Versuchung zu folgen, in den Strom einzutauchen, die Geister wie Goethes Zauberlehrling zu rufen. Weiß Bob Geldof, wie er die Geister wieder los wird? Er ist aus einem Holz geschnitzt wie kaum ein Topstar vor ihm. Und ich war gespannt wie selten, als ich im Flugzeug nach Glasgow saß, um die Boomtown Rats live zu erleben und mit Bob Geldof zu sprechen. Es war mein zweites Interview mit ihm. Zwischen beiden Gesprächen lagen knapp zwei Jahre und I Don’t Like Mondays. Die Halle in Glasgow war brechend voll, und dreiviertel des Publikums stellten junge und blutjunge Mädchen. Nach einigen Songs zum Anwärmen wurde es Bob Geldof tatsächlich warm, und er zog sich die schwarz-weiß karierte Jacke

aus. Ein gellender Aufschrei aus zweitausend Kehlen war das Echo. Und bei dieser Art der Huldigung blieben die Mädchen auch für den Rest des Abends. Die Rats spielten großartig, aber mir und Alan Bangs von Radio BFBS, der in meiner Nähe saß, gefiel es nicht sonderlich. Später, auf dem Weg ins Hotel, kamen wir darauf, daß ein gehöriger Schuß Künstlichkeit in Geldof’s Bewegungen auf der Bühne gesteckt hatte. Er war kein rock’n’roll animal gewesen, sondern er war dauernd zu Posen erstarrt. So, als ob ihn irgendetwas in eine neue Rolle drängen würde. Wir hatten die Rats anders in Erinnerung. Und das haben wir Bob Geldof zwölf Stunden später auch gesagt, obwohl er nicht mal gefrühstückt hatte.

Vielen Musikern muß man die Würmer aus der Nase ziehen. Bei Bob Geldof ist es jedoch wichtig, genügend Cassetten und Batterien für den Recorder in der Tasche zu haben. Auch der kleine Hinweis auf die Posen vom vorherigen Abend reichte aus, um ein halbes Band zu füllen:

„Zum ersten: als ihr uns das erste Mal gesehen habt, hatten wir die zwei Nummer-1-Hits noch nicht gehabt. Und jetzt haben wir eine veränderte Lage vor uns. Wenn wir früher gespielt haben, dann vor einem Publikum, das mit den Rats großgeworden war. Diese Leute waren von Anfang an dabei, und ihre Zahl wurde größer und größer. Nun haben wir die zwei Tophits gehabt, und wir spielen für ein riesiges, vielschichtiges Publikum. Gestern waren da Kinder mit ihren Eltern, und Hippies mit ihren Ehefrauen; Punks waren da, sowie Mädchen, die schrien und in Ohnmacht fielen. Es war das ganze Spektrum von Leuten, die Rock und Pop mögen, von den Eagles bis hin zu den Scheiß-Bay-City-Rollers. Und das ist etwas, was heute absolut typisch für England ist: ein Jugendlicher geht los und kauft Abba, kauft Elvis Costello, kauft die Rats, kauft Police, kauft die Specials, kauft die Bee Gees, kauft Boney M. Es ist heute gar nicht so wichtig, was im Sound drinsteckt, sie kaufen es einfach…“

„Wir müssen nun mit diesem neuen Publikum klarkommen, und es ist ein schwieriges Publikum. Ich bin nicht daran gewöhnt, daß die Leute ständig vor Begeisterung schreien. Ich bin nicht daran gewöhnt, daß die Leute ausflippen, nur weil ich mein Jackett ausziehe. Das ist eine lächerliche Sache, mit der du aber fertig werden mußt. Wenn du nicht aufpaßt, kannst du dabei furchtbar zynisch werden. Oder du wirst total verwirrt, stehst nur da, grinst, singst und gehst davon. Also mußt du dich mit aller Kraft konzentrieren, um alles auf der Bühne geben zu können. Du mußt dich haargenau konzentrieren auf den Songtext. Und du mußt dich haargenau konzentrieren, um auch anders reagieren zu können, als die Leute es erwarten. Denn du mußt sie außer Fassung bringen, ihre Werte umkrempeln. Und das ist ungemein schwer in der Situation, in der wir stecken. Ich halte viel davon, mit den Leuten zu reden, und das ist so unglaublich schwer, denn keiner will zuhören, alle wollen schreien. In Newcastle ging’s uns wie seinerzeit den Beatles, mit all dem Geschrei und dem Gegrapsche. Meine Hosen wurden völlig zerrissen! Und mein einziger Gedanke war: welche Unterhose habe ich an? Es ist schwer, das alles in den Griff zu bekommen! Wir sind dadurch sehr nervös. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß wir ein dermaßen großes Ereignis sind! Ich hab das nicht erkannt, bis unsere Tournee begann. Wir müssen ein Auto zum Seiteneingang der Halle schicken, als ob wir dort herauskämen, um dann zum Vordereingang herauszukönnen. So sieht das heute aus. Du hast das Gefühl, du bist im Kino! Und ich linde, wir arbeiten heute härter auf der Bühne, um diesen Rummel überwinden zu können.“

„Also ich glaube nicht, daß wir zuviel posiert haben. Dieses Wort pose gefällt mir nicht. Ich glaube, ein Boomtown Rats-Konzert ist im Vergleich zu früher jetzt einfach ein großes Ereignis, und das Publikum ist so verschieden, und die Leute reagieren so anders; aber ihr, ihr habt diese Entwicklung nicht mitgemacht. Ihr seht das Konzert aus dem Blickwinkel des Rock-Journalisten, als Kritiker; und ihr könnt nicht erwarten, daß das Publikum so reagiert und empfindet wie ihr.“

,,Und nun die zweite Sache, die ihr euch vor Augen halten müßt. Der Anteil von Rock-Sendungen im britischen Fernsehen ist gewaltig gewachsen und macht heute landesweit etwa 15 Prozent aller Sendungen aus! Jugendliche, die heutzutage zu unseren Konzerten kommen, sind durch und durch ein Fernsehpublikum. Und sie sind mittlerweile so weit, daß sie in Rockkonzerten reagieren, als ob sie Fernsehen gucken. Andersherum ausgedrückt: sie sitzen beim Abendessen und gucken „Top Of The Pops“. Wenn sie dann in ein Rockkonzert kommen, dann denken sie, sie sehen „Top Of The Pops“ live. Und sie reagieren auf die gleiche Weise. Wißt ihr, ich habe neulich mit einer Theaterschauspielerin gesprochen, und sie sprach von dem großen Unterschied, der zwischen heutigen Theaterbesuchern und denen vor 30 Jahren besteht. Heute, sagte sie, würden die Leute reagieren, als ob sie im Kino wären. Irgendwie würden sie wohl gar nicht mehr mitbekommen, daß echte, lebendige Schauspieler vor ihnen auftreten würden, die Gefühle für sie erkunden. Und bei uns ist es genauso. Diese Kids, die Kinder von Marshall McLuen, wißt ihr, die sitzen da und sind sich nicht sicher, ob sie womöglich nicht eine Live-Sendung des Fernsehens verfolgen.“

Video killed the radio star der Mensch, der das Medium beherrscht, trifft auf die Mensehen, die das Medium beherrscht. Bob Geldof schreibt großartige Texte über die Leere im Leben der meisten Leute, die eine Folge der Leere um sie herum ist. I woke up late./I had a headache,/ l went back to sleep/Go back to sleep… Someone told me, nothing happened today. Er trifft die Kälte der modernen technologischen Welt: ,,Neon Hean“, ,,Like Clockwork“, „Wind Chili Factor“. Er verstreut keine leeren Floskeln, sondern entwickelt seine Gedanken aus eindeutigen Details heraus, die er oft Tageszeitungen und Nachrichtensendungen entnimmt. Ihn fasziniert das scheinbar sinnlose Geständnis eines Mädchens, es habe gemordet, weil es Montage nicht leiden könne. Oder die Tatsache, daß sich eine junge Frau auf einer Party immer Stil zeigen, das ist es mit ihrem Lame-Gürtel am Kronleuchter erhängt. „Ich möchte“, sagt Bob Geldof, „daß die Leute tanzen, und wenn sie dann Lust haben, auch die Texte hören, lesen und verstehen.“ Aber seit er die Nummer eins ist, wird es immer schwerer, die Realität an den Mann zu bringen. Die New Wave hat die Teenies erreicht. Bob hat Mädchen kennengelernt, die jeden Morgen nach dem Aufstehen und noch vor dem Frühstück sein Poster an der Schlafzimmerwand küssen. „Das ist doch lächerlich, nicht wahr?“, sagt er. Gleichwohl ist dies nur das halbe Problem. Denn diese Poster-Generation ist zugleich eine ganz neue Generation, die TV-Generation. Geldof spricht zu ihr über das Fernsehen. Aber die Realität des Fernsehens ist das Fernsehen. Um mit seiner Realität durchzudringen, geht Bob Geldof bei Live-Konzerten auf diese Spielregel ein und versucht sie dann umzudrehen. Nach der zweiten Zugabe bleiben in der Konzerthalle die Lichter aus und über die Lautsprecher dröhnt vom Band eine elektronisch verzerrte dub-Version von „I Don’t Like Mondays“. Die Mädchen bleiben verwirrt bis hilflos auf ihren Plätzen, und das ist für Bob Geldof der beabsichtigte erste Schritt zum Nachdenken. Aber auch er ist verwirrt. Die Zeit, in der er die Entwicklung seiner Karriere souverän voraussagte, ist vorbei: Ständig analysiert er die Situation, in die er sich bewußt hat hineintreiben lassen. Video killed the radio star: es geht jeden Tag darum, die Dinge halbwegs im Griff zu behalten.