Back to the Roots: Graham Parker


Dreht euch nicht rum, der Punkrock geht um! Ganz England hat an ihm einen Narren gefressen. Plattenfirmen prügeln sich um die Punk-Bands, die kaum den Kinderschuhen entwachsen sind, die Presse feiert Neuentdeckungen mit seitenlangen, euphorischen Lobeshymnen und jede neue Gruppe, die clever genug ist, gibt sich nunmehr als Punkrocker aus. Nur einer nicht, den Außenstehende auch gern dem Punk zuordenen: Graham Parker.

Parker ist gewiß nicht überheblich, aber er kennt seine Fähigkeiten genau und weiß, daß seine Musik eine weitaus höhere Lebenserwartung besitzt als die aller blutjungen „Oppositionellen“ aus dem Punk-Lager zusammen. Während die einen ihre Not (nicht richtig spielen und komponieren zu können) mit Inbrunst zu einer Tugend umfunktionieren, hält er sich an seine geliebten „Roots“ und bringt mit seiner Begleitband The Rumour, Songs, die einen mit roten Ohren zurücklassen.

Heulender Tankwart

Allein „Howlin Wind“, seine erste LP, enthält ein solch reichhaltiges Reservoir an ehrlichen, sensiblen, mit Spielfreude interpretierten Titeln, daß man sich unwillkürlich fragt, wo dieser Typ die Fantasie hernimmt, eine Platte mit durchweg hervorragenden Material zu machen. Wo er doch in jeder Beziehung ein Neuling auf der Szene ist: praktisch in kürzester Zeit von einem unbekannten Tankwart in Camberley zu einem der Geheimtips der englischen Rock-Kitik aufgerückt.

Gegen Parker sind seine Begleiter so bekannt wie bunte Hunde. Bob Andrews und Brinsley Schwarz entstammen den ehemaligen Pubrock-Pionieren gleichen Namens (Brinsley Schwarz) und der lange Gitarrist Martin Belmont kommt von Ducks De Luxe; beides Gruppen, die sowohl unterbewertet als auch viel zu früh aufgelöst wurden. Dank ihrer Erfahrung fällt es Parker leicht, seine Songs in die geeignete Verpackung zu stecken. Und mit einer präzisen und soliden Rhythmusgruppe wie Steve Goulding und Andrew Bodnar kann an sich gar nichts mehr schief gehen.

Die Wurzeln

Parker singt und spielt akustische Gitarre. Und wenn man von seiner Stimme spricht, spricht man auch von Bob Dylan und Van Morrison. Genausogut könnte man aber auch noch Bruce Springsteen, Mick Jagger oder Bob Marley mit in den Topf werfen, denn an all diese großen Rock-Stilisten erinnert er mitunter. „Ich bin von sehr guten Leuten beeinflußt worden, die alle auf dem gleichen Weg sind wie ich. Wenn man aber etwas genauer hinhört, wird man schnell meine eigene Identität herausfinden“, meint Graham, auf Ähnlichkeiten angesprochen. Fest steht, daß er lange Jahre sehr intensiv seine Vorbilder vergöttert und studiert hat.

Schon in seiner Kindheit hing er ständig mit einem Ohr am Radio und lauschte gebannt Leuten wie Muddy Waters, Howlui Wolf und natürlich Elvis. Später, als die Beatles und Stones auf der Bildfläche erschienen, fiel es ihm, nach eigenen Worten, nicht schwer, sich mit der Anti-Schule-Anti-Alles-Halhing zu identifizieren, die diese Gruppen damals repräsentierten. Dann war er Mod, hörte Otis Redding und hing nur noch in Diskotheken herum, kurzum ein Typ, der sich gerne und leicht vom Rock’n Roll-Fieber ansteck ließ und ein dankbarer Verehre von fast allen kreativen Trem war.

Stimmbruch im Bett

Daß er bei all seiner aufgestauten Image-Verehrung schließlich selbst ein Meister des Images werden würde, hätte er sie mit zwölf Jahren noch nicht träumen lassen. Etwa in diesiZeit schrieb er die ersten Gedichte, aus denen später dann Songtexte wurden. Und als er erst mal drei hintereinander passende Akkorde auf der Gitarre ‚raushatte, gab es kein Halten mehr für ihn. Er begann zu komponieren. Seine heutige Stimme, arrogant, laut und rauh, erhielt er jedoch erst, als er vor ein paar Jahren längere Zeit wegen irgendeines Fiebers das Bett hüten mußte. Wieder gesund, hatte er plötzlich eine andere, ausgereifte Stimme!

Sein Geld verdiente Graham Parker in allen möglichen Beschäftigungen, vom Fernsterputzer bis zum Tankwart, aber nicht mit Rockmusik. Aber auf diese Weise tingelte er auch nie in kleinen Kneipen herum, spielte niemals vor leeren Rängen oder sehnte sich einen Plattenvertrag herbei, wie die meisten anderen Newcomer vor dem Durchbruch. Allerdings arbeitete Parker wie ein Tier an seinen Stücken, sang so oft und laut wie möglich und ließ die Sachen auf sich zu kommen. Irgendwann vor etwa 2 Jahren nahm er dann ein Demo-Band auf und fing an, es Leuten vorzuspielen… Einer der ersten, die dieses Band in die Finger bekamen, war David Robinson, seines Zeichens Manager des „Hope & Anchor“-Clubs, dem Zentrum des damals grassierenden Pubrock-Geschehens. Und Dave gefiel außerordentlich gut, was er da hörte. Nur brauchte Parker eine Band. Und da in Dave’s Club fast ständig Musiker herumlungerten und spielten, suchte er sich ein paar davon aus und fertigte mit dem überglücklichen Parker ein neues Demo an. Auf dem waren schon einige Nummern, die später auf „Howlin Wind“ erscheinen sollten.

Pubrock

Mit diesem Band zog Robinson die ersten Gigs an Land, die Parker mit einer Gruppe absolvierte. Aber die Resonanz hielt sich in Grenzen. Die Backing-Crew war ihm in keinster Weise ebenbürtig. Zur selben Zeit löste sich Brinsley Schwarz auf und Bob Andrews, dsr sich in Gedanken damit trug, in die Staaten abzuwandern, hing im Hope & Anchor herum. Martin Belmont wohnte zu jener Zeit sogar im Keller des Clubs, immer bereit bei einer Session mit zu jammern. Mit den drei zusammen war schnell eine neue Band ins Leben gerufen.

Ein neues Demo machte die Runde und landete unter anderem auch auf dem Tisch von Charlie Gillet, der zu den renommiertesten englischen Rock-Kritikern und Radiojockeys gehört. Er fand es berauschend, spielte es begeistert, und die Folge war ein Plattenvertrag. (Ja, so kann’s gehen, wenn man Glück hat). Ein Typ von Parkers jetziger Plattenfirma hörte die Stücke im Radio und griff spontan zu.

Insider-Ruhm

Kaum war „Howlin‘ Wind“ auf dem Markt, als sich auch bereits die sogenannten Insider auf die Gruppe stürzten und sie als neuen Geheimtip feierten. Und das zu Recht: Nick Löwe zum Beispiel, der die Platte vorzüglich und mit viel Liebe produzierte, gehörte früher ebenfalls den Brinsley’s an und ist ein Meister auf seinem Gebiet. Er sorgte auch dafür, daß ein Raubdruck, ein Live-Konzert im wahrsten Sinne des Wortes, der kurz nach „Howlin‘ Wind auftauchte, in geordnete Bahnen lief. Mit diesem „Live At Marble Arch „-Album festigte Parker seinen Ruf als geborener Bühnenmann und Rock-Persönlichkeit, und – was so gut wie nie vorkommt – die LP war sogar bei Grahams Plattenfirma zeitweise zu haben. „Heat Treatment“, die jüngste Produktion.ist insofern Grahams dritte Platte. An Stelle von Nick hatte hier ein anderer Producer seine Hände im Spiel; vielleicht klingt sie deshalb ein wenig glatter als ihre Vorgänger.

Kein Messias

Mit Graham Parker hat die Rockmusik zweifellos einen guten Fang gemacht. Ohne ihn deshalb wie einen Springsteen gleich als Zukunft des Rock’n‘ Roll apostrophieren zu wollen, kann man ihm, besonders auf der Bühne, ein gewisses Charisma nicht absprechen. Er besitzt jene Ausstrahlung, die man auch bei Bob Dylan oder Van Morrison findet und die einem das Gefühl gibt, man hätte jemanden vor sich, der mehr zu sagen hat als es die Musik vermuten läßt. Kein Messias, aber ein Mann mit Lösungen, dem es darum geht, sie auch unter’s Volk zu bringen.

Nach Tourneen mit Kokomo, Ace und Thin Lizzy und zwei mehr oder weniger erfolgreichen Amerika-Abstechern können Parker und seine Rumour getrost der Zukunft ins Auge sehen. Dir Ruf ist gesichert. Wenn kein Mensch mehr etwas von Punkrock hören will, wird Parker immer noch gut im Geschäft sein. Vorausgesetzt, er bleibt der alte, und läßt sich durch keine Verlockungen von seinem Weg abbringen.

Anfang Februar kommen Graham Parker & The Rumour übrigens nach Deutschland und spielen in Hamburg,Berlin und Osnabrück. Über ein weiteres Konzert im Saarland wurde bei Redaktionsschluß noch verhandelt. Auch ein TV-Auftritt war im Gespräch.