Boy George – Toy Boy


Die Skandale sind vergessen, die Tiefschläge verdaut. Mit altem Selbstbewußtsein und neuem Make-up steigt George O'Dowd wieder in den Ring. Denn was die Pop-Konkurrenz kann, kann er schon lange. Und was die 14jährigen Mädchen wollen, weiß er schließlich am besten. Svlvie Simmons sprach mit der Skandalnudel.

Jahrelang war er der „nette Schwule von nebenan“. Sicher, er trug Kleider und Make-up, und die Romanze zwischen ihm und Schlagzeuger Jon Moss war allseits bekannt, aber gleichzeitig war er so britisch und so harmlos, daß ihm niemand ernsthaft grollte. Herzig lächelte er in die Kameras der Boulevardzeitungen und erzählte den Reportern, er zöge eine Tasse Tee dem Sex vor. Und an seinen Songs, seiner Stimme und seinen Hits gab es eh nichts auszusetzen. Jedenfalls nicht bis letztes Jahr, als sich in der Fassade die ersten häßlichen Risse zu zeigen begannen.

„Zur Zeit ist George sehr seltsam“, sagte mir Jon Moss nach dem letzten Culture Club-Album. Jeder Mensch durchlebt wohl so eine Phase: Du kommst an einen Punkt, an dem du genug hast, so zu sein wie du bist: die Person, die du in der Öffentlichkeit darstellst, wird ein rotes Tuch für dich.“

Boy George, ein wenig aufgedunsen, blond und kettenrauchend, nickt zu dieser Beschreibung.“.Ich glaube, ich hatte es schon immer satt, ich selbst zu sein — seit ich geboren bin! Ich kann mein Gesicht ohne Make-up nicht ausstehen. In der Vergangenheit hatte ich wohl zu wenig Selbstrespekt – und dann gibt dir der Erfolg nur ein falsches Gefühl der Selbstsicherheit. Du denkst, du bist unantastbar.“ Er macht eine Pause und zieht lange an seiner Zigarette. „Und wenn dir aufgeht, daß das nicht so ist, kriegst du Angst. Du weißt, daß vieles nicht geschehen wäre, wenn du dein Schicksal in der Hand behalten hättest.“

Der Erfolg von Boy George und Culture Club fand zu einer Zeit statt, als die Pop-Prominenz in die britischen Boulevard-Blätter einzog. Popstars übernahmen die Rolle der Filmschauspieler als Kanonenfutter für Klatschspalten und Titelstories. Boy George machte der Regenbogenpresse den Hof wie kein anderer zuvor, und außer ein paar Schlagzeilen über seine Gewichtsprobleme. Gerüchte über einen Krach mit Liebhaber Jon Moss und einem bösen Bericht über die Schlägerei mit einem Fan war es jahrelang ein ungestörtes und harmonisches Verhältnis.

So war dann nicht nur George erschüttert über die Bösartigkeit, mit der sich eben diese Presse im letzten Jahr auf ihn stürzte. Sein Bruder (ironischerweise ein Mitarbeiter eines dieser Revolverblätter) verbreitete als erster die Geschichte über Georges Heroinabhängigkeit. Dieser stritt erst alles ab, gab dann alles zu, wurde schließlich von seiner Plattenfirma in diverse Kliniken geschickt, zwei seiner Freunde starben -— die Meldungen gingen rund um die Welt.

„Den ersten Kontakt mit Drogen hatte ich mit 16; damals schluckte ich Amphetamine und rauchte Dope. Dann hab ich total aufgehört und wurde fast zum Puritaner. Ich begann, Menschen, die Drogen nehmen, am ganzem Herzen zu verachten. Jetzt, nachdem ich diese ganze Tortur hinter mir habe, bin ich wieder zu der gleichen Einstellung gekommen.

Tatsache ist aber, daß da draußen immer noch Leute sind, die mich liebend gern wieder auf Drogen bringen würden. Ich will nicht klingen wie der Erzbischof von Canterbury, aber ich bin fest entschlossen, nicht wieder in diese Sackgasse zu stolpern.“ Hastig zündet er sich eine neue Zigarette an.

Warum also überhaupt Drogen?

„Ein Experiment, ja das war es wohl“.

Er klingt nicht allzu überzeugend.

„Natürlich hatte ich auch meinen Spaß dabei“, räumt er ein, „aber inzwischen kann ich auch ohne sie leben. Drogen geben dir das Gefühl, überlegen zu sein, wenn du es tatsächlich gar nicht bist.

So war es auch in den Anfangsjahren des Culture Clubs: Ich lief verkleidet und geschminkt rum, und die Leute lachten bloß. Doch dann waren plötzlich alle davon fasziniert. Ich habe mich immer darüber amüsiert, daß alle Leute glaubten, es sei so clever, wie ich meine Sexualität einsetzte. Blödsinn! Schließlich lief ich jahrelang so rum! Für mich war es nur ein Mittel, um jemanden ins Bett zu kriegen, denn wenn ich gut aussehe, schleppe ich auch gutaussehende Typen ab.

Und irgendwann werden dir diese Mechanismen bewußt. Es ist, als sähest du einen Film, in dem du dich selbst spielst. Also spielte ich meine Rolle, also manipulierte ich meine Umwelt bis ich im letzten Jahr plötzlich vor einem Trümmerhaufen stand.

Es gibt eben nur sehr wenige Leute in diesem Geschäft, die es schaffen, nichts falsch zu machen. Prince zum Beispiel ist einer von ihnen. Ich meine, Erfolg kann auf zwei verschiedene Arten funktionieren: Entweder du bist so erfolgreich, daß sich keiner an dich rantraut: der Prince-Status eben. Oder du bist erfolgreich —und alle halten dich für ein Arschloch: also mein Fall. Wenn du in Großbritannien Geld machst, bist du automatisch auf der schwarzen Liste und hast keine Glaubwürdigkeit mehr. Außer“, er lacht, „du bist bei Echo And The Bunnymen oder The Cure!“

Als „Everything I Own“y die Single aus seinem ersten Solo-Album, in England auf Platz eins landete, „war ich nicht nur glücklich, sondern geradezu erleichtert. Das einzige, worüber ich deprimiert bin, ist die Tatsache, daß ich es nicht selbst geschrieben habe. David Gates, der Songschreiber, ist ein glücklicher Mann.“ Er lacht.

Nichtsdestotrotz ist Boy George, wahrscheinlich durchaus zu recht, davon überzeugt, daß er zu den Lichtblicken im derzeitigen Pop-Geschäft gehört. Die letzten Platten von George Michael und Duran Duran hält er für heiße Luft, Bowies letzte Tour war „absoluter Schrott“, und Red Wedge und andere politische Aktivisten in England sind „eine Ladung überholter Scheiße. Die machen das Musikgeschäft abstoßend. Ich steh auf Liberace oder Tom Jones!“

Und was den Culture Club betrifft:

„Ich denke, daß es sehr unwahrscheinlich ist, daß wir wieder zusammenkommen, wirklich sehr unwahrscheinlich. “ Ach ja, von Jon Moss‘ neuer Band Heartbeat UK hält er übrigens auch nicht viel. Seine derzeitigen Lieblinge sind Zodiac Mindwarp und Whitesnake.

„Ich bin wohl irgendwie noch ein echter Fan“, erklärt er. Ich liebe Popmusik! Ich habe eine Freude daran, die andere Rockstars offensichtlich nicht haben. Ich kaufe mir immer noch Platten, sehe Musikshows im Fernsehen, lese Interviews in der Presse. In vielen Punkten,“ George lacht laut und schallend, „bin ich einem 14jährigen Mädchen sehr ähnlich!“