Carmen Böll – Alles bestens geregelt


"Das Rock-Geschäft ist nach wie vor eine der letzten Bastionen des starken Geschlechts. Doch auch hier steht den Männern Konkurrenz ins Haus. ME/Sounds-Redakteur Peter Wagner traf die Münchnerin Carmen Böll, die am Mischpult ihren Teil zur Emanzipation beiträgt.

Was haben Joe Cocker, Peter Maffay, Falco, Tony Carey, Anne Haigis, Klaus Lage, Stefan Remmler und Chris Thompson gemeinsam 11 Eine zarte Hand an den Reglern von Mischpult, Bandmaschine und Hallgeraten. Was in England und den USA langst so normal ist wie weibliche Offiziere in der Schweiz, gibt es in Deutschland bislang nur zweimal: Neben Barbara Bachmeier, Techno-Engel bei Schlager-Zar Ralph Siegel, ist Carmen Böll die einzige Frau, die hierzulande professionell als Toningenieurin arbeitet.

Als sie vor einigen Jahren von einem Bekannten gebeten wurde, seiner Band bei einem Demo zu helfen, ahnte sie noch nicht, wie geschlossen die Männerfront in diesem Job steht. „Hast du nicht Lust, für unser Demo das Engineering zu machen? – Klar mach ich das, aber was ist denn Engineering überhaupt?“

Und weil Carmen von der Schulbank und von den offiziellen Tonmeister-Schulen in Deutschland (Detmold, Düsseldorf, Nürnberg und seit kurzem die Filialen der australischen School of Audio Engineering) nichts hält, krabbelte sie mühsam auf die erste Stufe der Hühnerleiter zum Ingenieur-Erfolg. Ganz unten, das heißt Kaffeekochen für die Produzenten und mit viel Glück in einem Studio auch mal einen kaputten Kopfhörer austauschen. „Das ist wirklich eine Hühnerleiter: lang und beschissen. Aber die Erfahrung ist auch sehr wichtig, da bekommst du Rückgrat und Ruhe. „

Die beiden „R“ sind nun mal die wichtigsten Eigenschaften, die ein Ingenieur mitbringen muß. wenn trotz aller Macken der Musiker doch irgendwie das Maximale aufs Band – sprich: die Platte – kommen soll. Gute Sound-Hexer wie Carmen bekommen dafür immerhin ein Tageshonorar von rund 700 Mark. „In den ersten Jahren kannst du allerdings keine schnelle Mark verdienen. Statt dessen sitzt du 16 Stunden in einem dunklen Keller vor dem Mischpult und hörst brutal laute Musik.“

Nein – auch die Story von Carmen ist kein weiterer Beitrag der Vorabend-Serie „Traumberufe heute“. Und für Frauen schon gar nicht, denn nach wie vor gilt: „Rock ’n‘ Roll ist Männersache, denken die Männer. “ Als Carmen, noch ganz am Anfang, die Studios auf der Suche nach einem Assi-Job abklapperte, erntete sie nur Gelächter. Ein Studiobesitzer warf sie raus mit den Worten: „Eine Frau kann das nie machen. Die bringt doch nur erotische Spannungen ins Studio, da muß ja die Produktion leiden. „

Carmen dachte sich nur „Jetzt erst recht“ und bot an, notfalls bei der „Arbeit auch eine Maske über das Gesicht zu ziehen, um die erotischen Spannungen zu vermeiden.“

Inzwischen sind die Lehrjahre, auch die bei Schlager-Produzent Ralph Siegel („Du weißt schon, Nicole: .Ein bißchen Fritten‘ und so“) vorbei, sie steht zwischen Joe Cocker und Chris Thompson (Ex-Manfred-Manns Earthband) ihren Ton-Meister und war auf der letzten Peter Maffay-Tournee für den Live-Sound verantwortlich. Was aber nicht heißt, daß eine Frau an den hunderten von Reglern des Mischpultes („Keine Chance – bei den vielen Schaltern brechen mir alle langen Fingernägel ab“) schon zur Normalität in deutschen Studios geworden ist:., Vor allem mit den Produzenten geht das am Anfang immer so – sie stellen dumme Fragen wie : .Hast du das denn schon mal gemacht?‘ Und wenn ich einen männlichen Assistenten dabei habe, meinen immer alle, er sei der Ingenieur.“

Kein Wunder, daß sie bei der Kegelclub-Mentahtät in der Männerdomäne Rock’n’Roll auch Zoten einzustecken hat. Zum Beispiel wenn Joe Cocker im zweiten Refrain plötzlich (außerplanmäßig) „I always wanted to make love with a female envineer“

singt. Vor allem in den Pausen und nach dem Studiotag findet sie „Alles was Männern Spaß macht“ nicht sonderlich spaßig: „Da sitze ich dann mit meinem Schnitzel in der Ecke, und die Jungs erzählen sich die ganze Zeil ihre neuesten Bagger-Geschichten. Die und jene, hinten und vorne, immer das gleiche Gesabber. „

Dennoch – anerkannt ist Carmen in den Studios zwischen Isar und Alster mittlerweile als professionell arbeitende Mischer-Frau, in Maffays „Red Rooster“-Soundküche und auch in den renommierten Münchener Union-Studios gehört sie zum festen Stamm der Toningenieure. Jetzt will sie über den Kanal, auch weil „die in England schon viel weiter sind.“ Vor Nachahmung rät sie allerdings dringend ab: “ Wenn ein Mädchen nicht bereit ist, notfalls durch die Hölle zu gehen, sollte sie lieber die Finger von diesem Job lassen.“

Ohne Rückgrat geht nichts. Beispiele von Lisa Dalbello bis Kate Bush indes haben gezeigt, wie Frauen mit moderner Studio-Technik fertigwerden können, und auch die verschlafene deutsche Popszene ist durch Carmen Böll eine Stückchen offener geworden.

Sie selbst sieht das weit weniger pathetisch: „Ich bin doch keine Vorkämpferin! Ich mache nur, was ich will. Meinen Job eben.“