Das elektronische Försterhaus


Technik, Technik und kein Ende? In einem Forsthaus nahe Linz arbeiten die Herren Bognermeyr, Zumschrader und Prünster an der Überführung der Natur in die Musik: Ihr Fairlight' Computer kann (fast) alles und noch mehr. Karajan hat's schon probiert.

Linz ist keine häßliche Stadt, obwohl ausgedehnte Industrieanlagen romantische Gefühle (womöglich an das größte Musikgenie, das die Stadt hervorbrachte, an Anton Bruckner) ein bißchen dämpfen. Immerhin: ein putziger Flughafen, eine nette Landstraße in die Stadt, ¿ ein paar Baudenkmäler und ringsherum grüne, bewaldete Hügel.

Entweder sieht man zu, daß man aus der Idylle so schnell wie möglich rauskommt, denke ich mir bei der Fahrt vom Flughafen in die Stadt, oder man richtet sich’s ein, wird genauso gemütlich und seßhaft, gründet Familie, verdient auf solide Weise das täglich Brot.

.Montagabends gibt’s hier nichts, alles tot, nicht mal die Pizzerias haben offen“, weiß Ulli Rützel zu berichten, ein Hamburger, der mit einem Bein in Linz dümpelt. Rützel hat Geschäftsverbindungen in Linz und genau die möchte ich näher kennenlernen.

Wir halten uns nicht lange im Stadtkern auf, sondern fahren ins Umland. Es geht steil bergauf, am Waldrand eine Kurve und schwupps, da steht es, das „elektronische Försterhaus, unser Ziel.

Das Försterhaus, ein ehrwürdiger Fachwerkbau, steht am Waldesrand – man überblickt das Donautal und das Linzer Panorama. Das Haus ist alter Familienbesitz. Jetzt wohnt darin der jüngste Sproß des Geschlechts, Hubert Bognermayr, mit Eheweib und Kindern. Bognermayr ist Musiker, sieht aber eher aus wie ein Förster oder, wie böse Zungen behaupten, wie ein edler österreichischer Waldschrat; klein, quadratisch, Rauschebart, gelichtetes Haupthaar. Er schmaucht Pfeifchen und trinkt Tee – ein gemütlicher Mann mit Bedacht und Besonnenheit, 34 Jahre alt.

Bognermayr hat Musik studiert und geht einem geregelten Berufsleben als Musiker nach. Doch schon immer stand ihm der Sinn nach Höherem. Bognermayr gründete 1969 die Gruppe Eela Craig und holte damit die Rockmusik in die Opernhäuser zurück. Mit der „Missa Universalis“, frei nach Bruckner, sorgte Eela Craig seinerzeit jedenfalls für zwiespältige Reaktionen: Eela Craig bildete jahrelang die Zielscheibe für böse Kritiker.

Hubert Bognermayr nimmt niemandem mehr übel, daß er damals auf Eela Craig rumhackte. Für ihn ist dieses Kapitel längst abgeschlossen. Bognermayr und sein alter Spezi aus Eela Craig-Tagen, Harald Zuschrader, 38, ebenfalls Musiklehrer, haben inzwischen ein anderes, ergiebigeres Betätigungsfeld gefunden.

„Das alte Försterhaus, dort wo die Tannen stehn, das hat jahrein jahraus viel Freud und Leid gesehn…“

Jetzt sieht es meistens Zuschrader und Bognermayr, wie sie im Erdgeschoß mit einem seltsamen Computer an neuen Klängen herumbasteln. Und von Zeit zu Zeit wandert Bognermayr hinaus in den stillen Tann, einen Cassettenrecorder unter dem Arm, mit dem er das Ächzen und Knacken der dikken Baumstämme aufnimmt. Oder er zeichnet den Balzruf der Haubenmeise auf, vielleicht sogar „das Gleiten Gottes im Gebüsch“, wie es sein Landsmann, der respektlose Dichter Wolfgang Bauer, vor 15 Jahren mal formulierte.

Was machen Bognermayr und Zuschrader mit diesen so liebevoll konservierten Geräuschen? Sie geben sie in den Computer, und dieser Computer, Herz- und Nierenstück des elektronischen Försterhauses, ist es wert, daß man sich näher mit ihm beschäftigt.

Bognermayr und Zuschrader führen mir ihr Prachtstück, den Fairlight CMI (Computer Musical Instrument), den der Deutsch-Australier Peter Vogel entwickelte, mit unverhohlener Begeisterung vor. Bognermayr drückt eine weiße Taste, und da keckert es schon frech aus den Lautsprechern des Studios, ein Effekt wie im australischen Busch: der Schrei des Kookaburra, des australischen Wappenvogels. Bognermayr ist überzeugt: „Dieser Fairlight stellt eine musikalische Revolution dar. „Und ei verweist auf den Synthesizerpionier Walter (jetzt Wendy) Carlos, der/die sich ähnlich begeistert geäußert hat. Und dann steigt er erst richtig in die Vorführung seines Lieblingsinstruments ein.

Mit herkömmlichen Synthesizern hat der Fairlight in der Tat nur noch wenig zu tun. Zwar lassen sich damit auch per Sinuston-Generator, Oszillator und mit den üblichen Bausteinen Töne synthetisch erzeugen doch das ist nur ein unbedeutendes Detail im Vergleich mit den sonstigen Möglichkeiten der Apparatur. Der Fairlight arbeitet nämlich vor allem mit natürlichen Klängen, die er freilich wie kein anderes Instrument aufbereitet und in neue Dimensionen übersetzt.

Den Gesang der Haubenmeise (oder des Kookaburra) speichert er digital (das schaltet Störgeräusche aus – nur der reine Klang bleibt übrig) und zerlegt ihn in seine charakteristischen Bestandteile (Frequenzen, Amplituden, Dauer). Mit diesen Bestandteilen läßt sich das dazugehörige Keyboard speisen – und schon entstehen völlig neue Klangmöglichkeiten. Denn während die Haubenmeise in natura beispielsweise einen sensiblen Sopran trällert, läßt sich nun auch die Klangcharakteristik ihres Gesangs im tiefsten Bssbereich der Klaviatur erzeugen. Ein einziger Ton wird so zum großen, gemischtstimmigen Chor.

Der Fairlight speichert Basismaterial, also Geräusche, Klänge, Musik, digital auf Floppy-Discs, wie sie in der Computer-Technologie seit langem verwendet werden. Dieses Grundmaterial läßt sich in allen seinen Parametern verändern, so daß völlig neue Klänge entstehen. So ist es beispielsweise möglich, auf der Klaviatur den Klang eines Wassertropfens als perkussive Basischarakteristik zu verwenden, um mit diesem neuen „Musikinstrument“ ein Lied zu spielen.

Auf einem Bildschirm stellt der Fairlight darüber hinaus die Eigenschaften grafisch dar. Da erscheint beispielsweise ein räumliches Blockdiagramm mit grünen Bergen und Tälern. 128 Kurven bilden das Diagramm, jede dieser Kurven steht für das Klangverhalten bei einer bestimmten Frequenz, zeigt also die einzelnen Phasen eines Tons (Attack, Decay, Sustain, Release) an.

Diese sogenannten Hüllkurven kann der Musiker sogar noch mit Hilfe eines Lichtgriffels direkt auf dem Bildschirm verändern, z. B. der Hüllkurve zersplitternden Glases das Einschwingverhalten einer Blockflöte verpassen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Mittlerweile beginnt mich dieses äußerlich recht unscheinbare Gerät immer mehr zu faszinieren. Bognermayr kennt das: „Jeder, dem ich das Gerät zeige, möchte am liebsten ein paar Tage hierbleiben, um damit zu spielen.“

Zur Bedienung des Bildschirms, zum Abrufen der gespeicherten Information und zur Befehls-Eingabe, hat der Fairlight eine Schreibmaschinen-Tastatur wie jeder andere Computer auch. Die Klänge werden unter bestimmten Codebezeichnungen auf den Floppy-Discs gespeichert und sind so jederzeit abrufbar. Bognermayr und Zuschrader haben auf diese Weise inzwischen einige tausend verschiedene Klänge archiviert.

Aber damit sind die Möglichkeiten des Fairlight noch nicht erschöpft: Der Komponist Bognermayr erklärt: „Ich schreibe wie bisher eine bestimmte Partitur. Dazu muß man schon in der Lage sein, wenn das Ganze nicht bloß Spielerei bleiben soll. Durch sein Notenleseprogramm setzt der Fairlight diese Partitur in die gewünschten Klänge um. Der Komponist kann damit ganze Orchesterwerke mit den von ihm gewünschten Sound-Komponenten selbst abspielen.“

Praktisch sind dazu nur zwei Schritte nötig: Der Sound einer Baßgitarre beispielsweise wird zunächst digital gespeichert und dann der für den Baß geschriebenen Notenlinie zugeordnet – den Rest besorgt der Computer. Weil der einmal gespeicherte Sound über mehrere Oktaven der Klaviatur gespielt werden kann, ergeben sich völlig neue, überraschende Effekte. Die Haubenmeise wird zum Papagei.

Meister Herbert von Karajan machte sich den Fairlight übrigens schon zunutze: Bei den Osterfestspielen 1980 in Salzburg holte er Bognermayr ins Orchester, Richard Wagners „Parsifal“-Partitur verlangt nämlich den Einsatz von Röhrenglocken („Tubular Beils“), was bei der Orchesterbesetzung bisher immer auf große Schwierigkeiten stieß. Bognermayr brauchte nach entsprechender Programmierung nur noch auf den Fairlight-Knopf zu drücken.

Verstandlich, daß auch andere Musiker inzwischen den Gebrauchswert des Fairlights erkannt haben. Eine Massenware wird er freilich nicht; rund 100000 Mark muß man anlegen.

Es ist schon ein Jammer: Da ich weder 100 000 Mark mal so eben locker machen noch mich für ein paar Tage im Försterhaus niederlassen kann, um den über mich gekommenen Spieltrieb auszutoben, bleibt mir nichts anderes übrig, als mit Bognermayr und Zuschrader weiter über deren Pläne zu sprechen.

Diebeiden haben die Möglichkeiten des Fairlight mit ihrer „Erdenklang“-Symphonie ausgelotet. Diese Symphonie hält sich an die üblichen Kompositionsprinzipien, was Melodien, Harmonien und Struktur der Motive betrifft. Statt eines Orchesters kommen allerdings die Klangregister des Fairlight zum Einsatz: ein Regentropfen als Melodie-Instrument, Akkorde von rauschendem Wasser, Dampfhammer, Vogelstimmen und Industriegeräusche als Basis für Instrumentalstimmen.

Übrigens muß der Fairlight nicht per Klaviatur gespielt werden – auch andere Spielweisen sind möglich. Bei der Aufführung der Erdenklang-Symphonie in Linz beispielsweise steuerten Ballett-Tänzer durch ihre Bewegungen den Computer. Bognermayr erwähnt in diesem Zusammenhang die „Klangantenne“, die auf Bewegungen mit Induktionsströmen reagiert und so Signale an den Fairlight weitergibt. Dieses Prinzip hat übrigens schon in den 20er Jahren ein russischer Forscher namens Theremin mit einem selbstgebastelten Instrument angewendet. Der „Spieler“ bewegte seine Hände in der Nähe zweier Stäbe und induzierte so Spannungsänderungen, die wiederum in Musik signaie umgewandelt wurden.

Inzwischen hat sich noch der dritte Mann im Erdenklang-Bunde eingefunden: Klaus Prünster, 25, schweigsam und vorsichtig. Erst spät am Abend taut er auf und erzählt von seinen musikalischen Vorstellungen. Prünster hat ein eigenes Ziel vor Augen. Der Gitarrist aus Vorarlberg möchte einen Gitarren-Konverter mit dem Fairlight koppeln. Das verspricht reizvolle Möglichkeiten: Prünster spielt Gitarre, und über den Fairlight klingt das dann wie eine Trompete oder wie ein Wassertropfen – freilich immer mit der spezifischen Spielweise der Gitarre.

Auf seiner Platte ZWEISAMKEIT (IST DIE SCHÖN’RE ZEIT), in Österreich überaus erfolgreich, hat Prünster schon gezeigt, daß der Fairlight auch im Rock-Kontext brauchbar ist. Als Basisklang verwendete er da das Geräusch von Kieselsteinen.

Naturklänge als Basis für elektronische Kompositionen – so erklärt sich auch der Name „Erdenklang“, den Bognermayr & Co. nicht nur für ihre Symphonie erdachten, sondern auch für das Label, auf dem ihre Platten erscheinen.

Die musikalisch reizvollste Produktion des Försterhaus-Teams gibt’s jedoch nicht bei Erdenklang: Claudia Robots ALARMSIGNALE hatten Rützel und seine Freunde schon an eine andere Plattenfirma verdealt, bevor sie Erdenklang gründeten. Ihr Pech. Aber das ist eine andere Geschichte.