Dauerlutscher statt Rock


Vorbei: In einem geheimen Beschlußpapier der ARD wird eine der letzten Radio-Enklaven für Rock-Musik aus dem Programm gekippt, aus "Nachtrock" wird "Nachtpop". In Kürze auch nach Zwölf: gefallige Weichspül Musik, "die den populären Tageswellen entspricht".

Als man Ende ’85 den „ARD Nacht-Rock“ einführte, waren die Erwartungen groß. Endlich hatte die Musik-Republik im Abseits nach Mitternacht einen Sendeplatz, auf dem das Diktat der Charts aufgehoben war. Doch der allnächtliche Burgfrieden der Öffentlich-Rechtlichen war nicht von Dauer. Dem stromlinienförmig gestylten Populärfunk aus Baden Baden (SWF III) ging die bizarre, wenn auch kenntnisreiche Musikauswahl mancher Diskjockeys bald auf den Sender. Die SWF-Oberen führten „Lollipop“ ein, den Dauerlutscher nach bewährtem Modell: zwei, drei Charttitel, ein Oldie, nur nichts Unbotmäßiges. Nach einer Konferenz von 15 ARD-Abteilungsleitern am 3. Juli 1989 in Frankfurt kommt jetzt das endgültige Aus für den Nacht-Rock. In dem Beschlußpapier der meist promovierten

Musikwissenschaftler, die schon allein aufgrund ihres Alters Rock-Kultur für Teufelswerk halten, liest man merkwürdige Forderungen. Ab Januar 1990 will man im flugs umbenannten „Nacht-Pop“ nur noch: „melodisch betonte internationale Popmusik der letzten 30 Jahre, Pop-Rock, Deutsch-Pop, Oldies und aktueile Charttitel, sofern sie nicht aggressiv sind“.

Während der Funkausstellung haben die Hardliner der Öffentlich-Rechtlichen den Vorschlag ihrer Subalternen abgenickt. Professorales Ungeschick oder Angst vor den Privaten? Trotz der geringen Einschaltquoten (um 1 Prozent) soll also der Taxifahrer, Schichtarbeiter und Ruhelose dasselbe hären müssen wie den übrigen Tag.

Betroffene und Beteiligte, die vor Ort Programm machen, also Redakteure und Moderatoren, wurden nicht befragt. Das Publikum hat schon gar kein Mandat. „Gegen den Versuch“, so WDR-Moderator Alan Bangs, „tagsüber mit einer vorher festgelegten Musikfarbe ein Massenpublikum zu erreichen, kann kein vernünftiger Mensch etwas einwenden. Es fragt sich jedoch, ob es notwendig und begründbar ist, daß man auch nachts bzw. frühmorgens sich selbst limitiert. Meine Hörerpost belegt zumindest, daß der Nachtrock für viele draußen am Empfänger die einzige Möglichkeit war, auch mal musikalische Überraschungen zu erleben.“

Der Brite Bangs, vielen Radio-Gewaltigen von Anfang an ein Dorn im Ohr, kann sein Verwundern über diese Entscheidung nicht verbergen. ,Was, wenn auch die Plattentirmen in der Zukunft dazu übergehen, ihren Künstlern ein Geschmacksdiktat aufzwingen?“

Doch damit nicht genug. Die Programmacher verpassen ihren Moderatoren auch noch Maulkörbe. „Musikologische Anmerkungen, die nur für einen kleinen Kennerkreis nachvollziehbar sind“, werden aus der Rede der Ansager ausgeschlossen. Dem WDR sei dank: Das Kölner Haus hält an dem beliebten und unbequemen Briten fest. Bangs wird im neuen Jahr schon ab Zehn sein Mikrofon sehen. Neue Sendung – neues Glück?