David Baerwald: Politik für Fortgeschrittene


Der Hobby-Saxophonist im Weißen Haus mag musikalisch aufgeschlossener sein als sein Amtsvorgänger. Doch wenn bei der Amtseinführung David Baerwalds zweites Solo-Album TRIAGE gelaufen wäre, hätte wohl sogar Bill Clinton schwer geschluckt: So schonungslos wie die ehemalige „Hälfte von David &“ David (BOOM-TOWN) hat bisher kaum jemand die Macht-, Gewalt- und Korruptionsstrukturen der US of A bloßgelegt — HipHop und Hardcore eingeschlossen. „Wenn Du Dich genau umschaust“, kritisiert der Agit-Sänger aus Kalifornien, „fiihlst du eine verdammte Leere in dir — trotz allem beschissenen Pfadfinder-Hurra-Gebriill. Dann stellst Du irgendwann das ganze Fundament in Frage.“ Entsprechend ätzend auch der Album-Titel: „Triage“ ist ein Fachbegnff aus der Kriegs- und Katastrophen-Medizin. Bei einer die Behandlungs-Möglichkeiten übersteigenden Zahl von Verletzten müssen die Ärzte entscheiden („triage“), wer überhaupt noch Überlebenschancen hat. Verletzte mit geringeren Chancen werden von vorneherein nicht behandelt. Doch Bearwald fürchtet sich vor allem vor der zweiten Bedeutung des Wortes: „In Amerika werden doch alle, die es nicht oder nicht genügend geschafft haben, ausgesondert — vom Wohlstand, von der medizinischen Versorgung, von der Schulbildung!“ TRIAGE, musikalisch nach den eher sanft-einfühlsamen BEDTIME-STORIES nur als radikalen Richtungswechsel auszurufen, ist noch eine glatte Untertreibung. Konsequent roh und kompromißlos jongliert der schwer in sein neues Album verliebte Künstler mit Stilen, Stilmitteln, Versatzstücken und Technologie. „Ich hatte die Nase voll vom Profitum „, erklärt er. „Das hätte das, was ich sagen wollte, nur manipuliert. “ Musikalische Formen habe er ohnehin „nie unterscheiden“ kön-, nen. „Solange das nicht der physischen Attraktivität der Musik im Wege steht, ist es also völlig o.k. Captain Beefheart und James Taylor zu mixen. „

Apropos: Welchen Polit-Mix schlägt Baerwald als Heilcocktail für das Drogenund Armuts-Desaster USA vor? „Bewußtsein, Pflicht, Verantwortung und Mitgefiihl sind völlig aus der Mode, da liegt ein Problem: Du mußt immer versuchen zu tun, was Du tun kannst.“ Damit wäre Baerwald wohl auch im Clinton-Kabinett — nimmt man den frisch augurierten Präsidenten beim Wort — willkommen. Natürlich nur, wenn er TRIAGE zuhause läßt.