Kritik

„Dead To Me“ (Staffel 2) auf Netflix: Frauen am Rande der Selbsterkenntnis


Wie sehr der erste Blick trügen kann, bewies „Dead to Me“ schon im vergangenen Jahr, als es zunächst als harmlose Dramedy-Serie über Frauenfreundschaft daherkam und dann die Folgen eine krasse Wendung nahmen. In der zweiten Staffel gräbt das Netflix-Format noch tiefer und findet endgültig seinen schwarzhumorigen Groove. Hier kommt unsere spoilerfreie Review.

Eine Serie voller Überraschungen präsentierte uns Showrunnerin Liz Feldman („2 Broke Girls“) im vergangenen Jahr mit der ersten Staffel von „Dead to Me“. Was zunächst nach einer etwas beherzteren Freundschafts-Dramedy aussah, die vor Themen wie Tod und Trauer nicht zurückschreckt, entwickelte sich bald zum wilden Ritt voller Cliffhanger, plötzlicher Wendungen und dunkler Geheimnisse. Und so fanden sich die beiden Protagonistinnen am Ende der ersten Staffel mit einem Mal vor Jens (Christina Applegate) Hauspool wieder, in dem Judys (Linda Cardellini) kotzbrockiger Ex-Verlobter Steve (James Marsden) tot lag.

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Nahtlos, sowohl in inhaltlicher als auch stilistischer Hinsicht schließt die nun erscheinende zweite Staffel daran an: Judy und Jen, kurz vor Steves Tod noch heillos zerstritten, raufen sich gezwungenermaßen zusammen, um vor Jens Söhnen Charlie (Sam McCarthy) und Henry (Luke Roessler ) und der grundskeptischen Polizeidetektivin Perez (Diana-Maria Riva) den Schein der Unschuld zu wahren. Zugleich wird Jen von Flashbacks zu jener Nacht geplagt, die über die folgenden zehn Episoden ausgedehnt werden, bis die Zusammenhänge klar werden und wir erfahren, warum Steve wirklich sterben musste.

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Wenden ohne Enden

Erzählerisch ist es ein etwas riskantes Spiel, das Liz Feldman und ihr Autor*innen-Team mit dieser zweiten Staffel fortsetzen. Zu groß ist die Gefahr, sich mit dem Zwang zu wiederholten Cliffhangern in eine Sackgasse zu schreiben, aus der man nur mit sehr elaborierten Erklärungen oder allzu unrealistischen Schicksalsfügungen wieder herausfindet. So umschiffte „Dead to Me“ schon in der vorangegangenen Season manchmal nur knapp die Klippen einer allzu augenzwinkernd-soapigen Dramedy wie „Desperate Housewives“. Dank der idealen halbstündigen Folgenlänge und dem klaren Fokus auf zwei interessante, gebrochene Figuren, blieb „Dead to Me“ aber glücklicherweise kurzweilig und spannend genug.

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Nichtsdestotrotz scheint der Handlungsort Laguna Beach in den neuen Episoden aufgrund von Jens und Judys Vertuschungskampf immer kleiner und kleinstädtischer zu werden. Die Bewohner*innen sind einander bekannter als gedacht und so manche Zwickmühle von Jen und Judy ist allein dadurch bedingt, dass plötzlich Randfiguren hereinstürmen, die man gern abgeschrieben hätte – etwa Jens nervige, verzweifelt Freundschaft suchende Nachbarin Karen (Suzy Nakamura). Von anderen wiederum – Jens Primadonna-Stiefmutter Lorna (Valerie Mahaffey) und Shandy (Adora Soleil Bricher), dem morbidesten Kind der Welt – hätte man sich mehr Szenen gewünscht, weil sie konstant Komödiantisches abliefern. Und leider unvergessen (und meinerseits unverzeihlich) bleibt der plötzliche Tod von Judys Senioren-Freund Abe (Edward Asner) am Ende der ersten Staffel.

Liebe, wenn man sie am wenigsten gebrauchen kann

Das ohnehin vertrackte Leben der beiden Frauen wird auch noch von einigen interessanten Neuzugängen belastet. Diese verleihen den Folgen die nötige Frische, damit nicht konstant um die Ereignisse der vorangegangenen Staffel gekreist wird. Und so bekommen die zwei tatsächlich zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt Love Interests an die Seite gestellt, die nicht ahnen können, was die (Anti-)Heldinnen alles zu verbergen haben. Das Interessante dabei ist, dass „Dead to Me“ nicht nur die konkreten Delikte von Jen und Judy (Fahrerflucht, Geldwäsche-Geschäfte, Vandalismus, Totschlag) als Gründe anführt, warum diese neuen Beziehungen zum Scheitern verurteilt sind. Nein, „Dead to Me“ gräbt tiefer (als es die Frauen tun, um Steves Leiche zu entsorgen) und wühlt sich in die selbstzerstörerischen Persönlichkeitsmuster der Protagonistinnen.

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Wilde Ereignisse, noch wildere Innenleben

Damit fördert diese Serie das zutage, was sie fernab von Cliffhangern und ausrufheischenden Wendungen so sehenswert macht. Und die neuen Beziehungsgeflechte machen dies in dieser zweiten Staffel noch spannender. Wir sehen, wie Jen, zu Beginn von „Dead to Me“ noch völlig unzugänglich und von einer tiefen, durch Death Metal leidlich gezähmten Wut gezeichnet, aus der Not heraus mehr Nähe zulässt. Zugleich lernt Judy aus ihrer drolligen Liebenswürdigkeit auszubrechen und sich abzugrenzen. Dies könnten mit der Serie Unvertraute als langweiligen Psychotherapiekram abtun. Aber die erschreckendsten, Kinnladen runterklappenden Momente sind auch in dieser Staffel von „Dead to Me“ diejenigen, in denen sich die beiden Frauen mit ihren destruktivsten Selbstannahmen konfrontieren und dabei drohen, ihren eigenen oder den Breaking Point ihrer Freundschaft zu erreichen. Dies verlangt Christina Applegate und Linda Cardellini wieder so einiges an nuancierten Darbietungskünsten ab, was sie absolut meistern.

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So scheint „Dead to Me“ als Serie, die im letzten Jahr aufgrund ihres zu Beginn noch unklaren Tonfalls gleichermaßen überraschte und verwirrte, in dieser zweiten Staffel ebenso wie ihre Hauptcharaktere sich selbst näher kommen. Die zahlreichen Drehungen der Story sind weiterhin ein nettes Lockmittel für Neueinsteiger*innen, doch das Wesentliche spielt sich im Innenleben der Protagonistinnen ab, dringt dann in erfrischenden und berührenden Dialogen nach außen – und der Rest ist beißender, schwarzer Humor. So kann es gern weitergehen.

Die zweite Staffel von „Dead To Me“ ist ab dem 8. Mai 2020 auf Netflix verfügbar.

Saeed Adyani / Netflix
Courtesy of Netflix
Saeed Adyani / Netflix