Der Architekt Roger Waters
AM PLACE DE LA CONCORDE IN PARIS, MIT BLICK AUF EIFFELTURM LIND den Obelisken, liegt das Hotel de Crillon. An exponierter Stelle, für exponierte Kreise und mit exponierten Preisen. Geri Ilalliwell steigt hier gerne ab, für näch- ste Woche hat sich Tina Turner angekündigt. I leute parkt davor ein silberner Por- sche 911 mit LIS-Kennzeichen: Paris ist neben Long Island Roger Waters' zweite Heimat, hier hat er unlängst seine Oper „Ca Ira" fertiggestellt. Für die Interviews wurde kein Zimmer, keine Suite, sondern der „Salon Citronniere" angemietet - ein ganzer Gebäudeflügel mit lugendstilfenstern, ausladenden Bücherregalen zwi- schen Marmorsäulen, Sitzecken und einem überbordenden Büffet. LImso deplat- zierter wirkt Waters, wie er da in leansklamotten und braunen Slippern mit Bommeln dran auf einer bordeauxroten Antiquität sitzt. Dem lournalisten be- gegnet er höflich und mit abwartender Langeweile. Der Händedruck ist warm und weich, der Blick wandert beim Nachdenken hinauf zum Lüster. F.r lächelt selten. Seine angegrauten Haare sind stümperhaft gestutzt. Waters scheint das zu wissen und rauft sie sich fortwährend. Heute abend sei er mit Marianne Faithfull zum Essen verabredet, meint er entschuldigend, bis dahin wolle er sidi noch „in Form" bringen. Ansonsten wirkt er selbstsicher, erlaubt sich beim Sprechen luxuriöse Denkpausen und vollendet jeden Satz mit einem kleinen Kopfnicken, während seine manikürten Hände auf den Knien ruhen. Nur wenn es um die ehemaligen Kollegen geht, lässt er sich zu gemäßigtem Groll hinreißen und stochert mit dem Zeigefinger in der Luft hemm. Lind über sein zu Verhältnis David Gilmour spricht er wie über eine lange geschiedene Ehe: Abgeklärt und erleichtert, dass es vorbei ist.
Mr. Waters, was ist ihr Lieblingsalbum von Pink Floyd?
Weiß ich nicht, kann ich nicht beantworten. Was ist denn das für eine einfältige Frage?
Fans veranstalten Internet-Umfragen zu diesem Thema. Späte Pink Floyd-Alben, die Ihre Handschrift tragen, kommen dabei am schlechtesten weg-von ihren Soloplatten ganz zu schweigen.
Wirklich? Wie ungezogen (lacht).
Haben Sie nicht spätestens seit „The Wall“ den Kontakt zu ihrem Publikum verloren?
Ich war gerade auf einer Tournee durch den Nordosten der Vereinigten Staaten, im Juni und Juli, und diese Tournee war ausverkauft. Wenn die Fans danach am Hotel herumhängen, dann gebe ich auch Autogramme und solche Sachen. Ich bin nicht so unnahbar, wie es scheint. Ich bin wohl einfach nicht so prominent.
Haben Sie deshalb ihre US-Tour im Sommer „In The Flesh genannt, damit die Leute wissen, wo sie diesen Roger Waters einordnen können?
So hieß eine Tournee mit Pink Floyd in den 7oern.
Die „Animals -Tour 1977.
Ja, und ein Song auf „The Wall“. Die Tournee hätte auch „Comfortably Numb‘ heißen können, das ist im Prinzip egal. Es sollte kommuniziert werden, dass ich auch mein Pink Floyd-Repertoire spiele.
Warum kommen die „The Wall“-Konzerte aus dem Earls Court erst jetzt auf den Markt. Und warum überhaupt?
Wir haben gerade einen Vertrag mit unserer Plattenfirma EMI unterzeichnet, in dem wir ihnen vier oder fünf Alben neu lizensiert haben. Ich denke, sie wollen jetzt etwas von dem Geld zurück, das sie vorgeschossen haben. Und weil diese Aufnahmen existieren, bringen sie sie auch auf den Markt. Es ist immerhin 20 Jahre her, und der jetzige Termin ist so gut wie jeder andere – obwohl sie es wahrscheinlich als Jubiläum verkaufen werden.
Wer ist „sie“? Ihre ehemaligen Kollegen?
Die Plattenfirma,Steve O’Rourke (PinkFloyd-Manager-Anm.d. Red.), Dave Gilmour-keine Ahnung, ist mir auch egal.
Waren Sie an den finalen Abmischungen beteiligt?
Nein, aber James Guthrie, der schon damals die Bänder gemixt hat. Und was James mir geschickt hat, fand ich okay. Ich habe nur die ersten drei Tracks gehört: Es ist ein interessantes Tondokument für jene, die es noch interessiert.
Gibt es denn noch genug Menschen, die an „The Wall live interessiert sind?
Absolut keine Ahnung. Es gibt wohl noch eine ziemlich große Fanbasis dort draußen.
Sie sind seit 17 Jahren nicht mehr dabei, David Cilmour hat quasi alleine weitergemacht. Warum betreiben Sie jetzt wieder Promotion für Pink Floyd?
Wenn jemand zu „The Wall“ Interviews gibt, dann sollte ich das sein. Ich will vermeiden, dass jemand darüber redet, der dazu nichts zu sagen hat.
Also ihre ehemaligen Kollegen Nick Mason oder David Cilmour?
Meine Motivation, für „The Wall“ Promotion zu machen, rührt daher, dass ich die Leute daran erinnern will, dass ich das Album geschrieben habe.
Ist es wahr, dass Sie „The Wall“ überarbeiten wollen – für den Broadway?
Es gab da dieses Gerücht, ich würde an einem solchen Projekt arbeiten.
Wollen Sie uns nicht verraten, ob dieses Gerücht wahr ist?
Ich habe den ersten Akt für ein Broadway-Stück geschrieben. Ich wurde dazu angestiftet, als Pete Townshend „Tommy“ an den Broadway brachte. Auf einmal sagten alle:“Roger,das musst du auch machen!“. Nun, ich muss eigentlich überhaupt nichts.Trotzdem habe ich irgendwann angefangen, die ersten Szenen zu schreiben und habe festgestellt, dass bei „The Wall“ immer etwas fehlte.
Und was?
Ge ächter.
Wie bitte?
Humor.
Nicht unbedingt eine Eigenschaft, die mit Ihnen in Verbindung gebracht wird.
Humor hat in meinem Leben immer eine große Rolle gespielt, auch wenn er nicht unbedingt in die Musik eingeflossen ist. Die Geschichte von „The Wall“ ist ziemlich düster. Deshalb sehe ich in der Broadway-Überarbeitung eine Chance, sie etwas aufzuheitern. Die andere Sache ist: Ich dachte immer, dass ich an einen Punkt kommen würde, an dem ich entdecke, wie die Geschichte von Pink zu Ende geht. Ich denke, jetzt, 20 jähre später, beginne ich es zu begreifen.
Soll das heißen, die Saga hat eine Fortsetzung? „The Wall II ?
Ich muss erst anfangen zu schreiben – und das wird eine ziemliche Gefühlsanstrengung werden, ein künstlerischer Prozess, über den ich mich jetzt hier nicht ausbreiten kann.
Aber „The Wall endet doch damit, dass die Mauer einstürzt.
Die Idee ist Wenn du die Mauer entfernst, dann nimmst du wieder Kontakt mit der Außenwelt auf. Aber wie machst du das und wohin führt es dich? Auf was treffen wir, wenn wir Isolation überwinden? Auf eine einzige Person? Auf eine Familie? Auf die Gesellschaft? Auf Gott? Es geht um das kommunikative Potenzial von Individuen, und welcher Natur diese Kommunikation ist. Ich finde, da gibt es eine ganze Reihe interessanter Fragen…
„The Wall musste als Metapher auf Paranoia und als Allegorie auf den Untergang politischer Systeme herhalten. Mit wieviel Symbolik soll dieses arme Rockalbum denn noch beladen werden? Wie weit wollen Sie es noch treiben?
Ich kann aus „The Wall“ auch ein Theaterstück machen und es in eine völlig andere Richtung führen. Ich sehe da keine künstlerischen, moralischen oder philosophischen Probleme. Ich kann „The Wall“ mit aller Symbolik beladen, die notwendig ist, um gewisse Dinge via Musik zu kommunizieren. Es ist nichts anderes als ein Text, mit dem ich als urhebender Künstler arbeiten kann. Wie weit kann man es mit Shakespeares „Richard IH“treiben? Nun, viele Leute treiben das Stück in viele verschiedene Richtungen. Die Verfilmung von Richard Loncraine vor drei Jahren beispielsweise war ein interessantes Beispiel dafür, wie wir Kunstwerke nutzen können, um den essenziellen Fragen nachzuspüren – solange das Kunstwerk sich nicht von politischen Dogmen oder Ideologien vereinnahmen lässt. „The Wall“ jedenfalls lässt sich nicht so leicht in irgendwelche Ideologien einordnen, dafür ist es zu sperrig, zu vielschichtig.
In den ersten Reaktionen auf „The Wall wurde damals gerade in England die Ästhetik etwa der gekreuzten Hämmer als faschistoid kritisiert.
Ich habe mit Ästhetik nichts zu schaffen außer natürlich, ich nutze sie als visuellen Hinweis auf gewisse politische Einstellungen. Die Figur des Pink wird hineingesogen in eine metaphorische Vision des Faschismus – und der Faschismus verwirklicht sich in einer Symbolik, die ich in diesem künstlerischen Zusammenhang benutzt habe. Es ist Theater, es ist ein Teil der Geschichte, die ich erzähle. Für mich ist das nicht mehr oder weniger verwerflich, als eine deutsche Fahne im Film „Die Kanonen von Navarone“ zu zeigen.
Britische Skinheads verstanden das Album wie auch den Film zunächst als faschistisches Lehrstück.
Faschistische Symbolik hat doch eine lange Tradition in Theater und Kunst, sogar in Filmen. Denken Sie nur an „Fahrenheit 451“ oder „1984“. Symbole werden eingeführt, um den kurzen Weg zur Beschreibung von Sachverhalten einzuschlagen. Es darf doch kein diskreditierender Rückschluss gezogen werden von diesen Sachverhalten auf die Kunst!
Sie sprechen von Kunst – im massenmedial wirksamen Pop lässt sich aber doch nicht voraussetzen, dass alle Adressaten mit Ikonographie vertraut sind.
Ich erinnere mich, dass Gerald Scarfe (Graphiker von „The Wall“- Anm. d. Red.) einmal Bedenken äußerte, das Symbol der gekreuzten Hämmer – das seine Idee war – könne von faschistischen Organisationen vereinnahmt werden. Ich glaube nicht, dass das passiert ist. Das Problem mit dem Wiedererwachen solcher Ideologien liegt doch woanders. Erst heute, wo Psychologen und Neurologen zu begreifen beginnen, wie unser Gehirn funktioniert, kommen wir dem Rätsel der Gewalt allmählich auf die Spur. Schauen Sie sich doch die Erklärungen der russischen Revolution oder die amerikanische Verfassung an: Da stehen diese plakativen Sätze über Freiheit und den „Pursuit Of Happiness“, auf die wir uns alle geeinigt haben. Positive Tabus sozusagen, Axiome, die unseren halbwegs zivilisierten westlichen Gesellschaften sozusagen den Rücken frei halten. Und wenn ich sehe, wie diese Gesellschaften immer mehr aus der Bahn geraten, dann brauche ich eine ebenso plakative Symbolik, um auf den Fehler aufmerksam zu machen.
Rockmusik ist kaum das geeignete Medium, solche Themen auszudiskutieren.
Warum nicht?
Weil Pop selbst Teil einer Unterhaltungs- und Zerstreuungsindustrie ist.
Nicht alles! Einige moderne Rockmusik wird unvermeidlich eines Tages Kunst sein.
Nach welcher Definition von Kunst?
Kunst als die gesammelte Anstrengung von Individuen, die Beschaffenheit unserer Beziehung zu Gott verstehen zu lernen. Das ist Kunst, und das kann auch guter Rock ’n‘ Roll leisten. Das neue Album von Randy Newman beispielsweise handelt von nichts anderem!
Es handelt nicht vom Verhältnis zu Gott, sondern zu Frauen. Da ist immer noch ein Unterschied.
Oberflächlich handelt es natürlich von Frauen, auf einer anderen Ebene aber immer wieder von der Möglichkeit oder Unmöglichkeit fundamentaler Beziehungen. Das ist es, genau das; Ein Künstler, der nach dem eigentlichen Wesen von Beziehungen forscht. Die meiste Musik wird natürlich nie Kunst sein, die meiste Musik ist lediglich weißes Rauschen.
Sie verstehen Musik also nicht als Pop, sondern eher als eine Art metaphysischer Grundlage jedweder Kommunikation?
Ja.das ist mein Gefühl.Grundsätzlich: Worin lag die erste Musik? Was war die erste Musik? Der Wind? Das Rauschen der Blätter? Das Heulen wilder Tiere? War es, als wir anfingen, Grunzlaute auszustoßen? Und dann entwickelten wir uns irgendwann so weit, dass wir Tonlagen entdeckten. Und weitere Abermillionen Jahre später entdeckten Mönche unter Papst Gregor, dass, nun -(singt in tiefer Tonlage“aaah“, dann höher“aaaah“) – hier doppelt so viel passierte als bei gewöhnlichen Tönen. Und irgendwann begannen wir zu begreifen, dass Musik zu Mathematik und Physik, zu den Naturwissenschaften führt -Ouantenphysiker sprechen mittlerweile vom Gesang der Atome. Musik beschreibt Leben. Und deswegen: Ja, Musik ist eine legitime Methode, die Suche nach uns selbst voranzubringen. Und herauszufinden, was Liebe ist.
Ist denn die Zeit monolithischer Gesamtkunstwerke in der Rockmusik nicht vorbei?
Keine Ahnung. Ich höre keine Rockmusik. Ich kriege nicht mehr mit, wenn etwas auf den Markt kommt. Jemand sagte zu mir: „Hör dir Radiohead an, sie sind großartig!“ Irgendwann werde ich sie mir sicher anhören, und bestimmt sind sie großartig. Ich habe dafür einfach keine Zeit und bin daher der falsche Ansprechpartner für diese Frage.
Eben noch sprachen Sie davon, Ihre Musik sei Kunst. Über 200 Millionen verkaufter Tonträger werfen doch die Frage auf, ob es in unserer Zeit überhaupt noch einen so breiten Konsens über die Qualitäten eines Albums geben kann wie zu „ihrer Zeit“ in den 70er Jahren.
Bezweifeln Sie das?
Ja, denn die Musik diversifiziert und nivelliert sich immer mehr.
Lassen Sie mich nachdenken… nach uns kamen Queen, dann starb Freddie Mercury… was ist mit R.E.M. oder Blur?
Das frage ich Sie!
Warum sollte nicht irgendeinejunge Band plötzlich Melodien schreiben, die das weiße Rauschen transzendieren und (schnippt mit den Fingern) für Ausschläge sorgen im gegenwärtigen Meer aus weißem Rauschen. Die Welt dreht sich weiter, und immer wird jemand die Dinge so berühren und von den Dingen so berührt werden, dass er ein „Stardust“ oder ein „Georgia On My Mind“ schreibt. Man darf nicht vergessen: Populäre elektrische Musik oder Rock ’n‘ Roll -oder wie auch immer Sie es nennen wollen – ist so unglaublich jung. Es gibt sie seit gerade mal 50 Jahren, eigentlich erst seit dem Zweiten Weltkrieg.
Sie sehen sich selbst als Protestsänger. Auf Ihrem jüngsten Album „Amused To Death geißeln sie die amerikanische Tendenz, selbst bewaffnete Auseinandersetzungen noch als Show zu verkaufen. Interessiert das die Leute?
Das interessiert mich. Normalerweise habe ich zu den Dingen eine Meinung. Und es ist meine Aufgabe als Künstler, diese Meinung zu artikulieren.
Sie lassen sich von Kriegen inspirieren?
Was heißt schon Inspiration? Beim Kosovo-Krieg zum Beispiel fand ich mich in der ungewohnten Situation, keine Meinung zu haben. Ich wusste einfach nicht, was ich davon zu halten hatte. Und dann las ich eines Tages – ich weiß nicht mehr wo – einen Artikel über einen serbischen Soldaten, der einer verwundeten albanischen Frau half. Das hat mich mit so ungeheurer Wucht berührt, dass ich plötzlich begriff, dass ich eigentlich gerade die Geschichte vom guten Samariter las. Also begann ich diesen Song zu schreiben, „Each Small Candle“, und entdeckte beim Schreiben, dass ich mir selbst vergeben konnte.
vergeben wofür?
Dass ich einfach keine Meinung zu diesem Krieg hatte, mir keinen Reim darauf machen konnte, nicht schlau geworden bin aus diesem Konflikt auf dem Balkan. Aber ich entwickelte auf einmal Mitgefühl, ich konnte mit dieser kleinen Geschichte, diesem Ausschnitt aus dem ganzen Geschehen etwas anfangen.
Und es hat ihnen geholfen, wieder zu schreiben?
Genau. Ich werde im Februar wieder ins Studio gehen und ein neues Album einspielen.
Rock?
Rock. Es wird auf dieser Geschichte basieren und handelt von der Frage nach unserer persönlichen Verantwortung für politische Vorgänge dieser Art.
Das klingt nach naiver Weltverbesserung.
Genau das ist es, was ich daran mag. Es ist eine einfache Idee, und ich mag einfache Ideen. Sind wir an Menschenrechten interessiert oder nicht?
Roger Waters als ewiger Botschafter der Menschenrechte?
Ja und nein. Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen bekommen wirdochtäglich im Fernsehen in den Hals gestopft. Wir müssen uns doch täglich durch ein Minenfeld aus politischen und kommerziellen Annehmlichkeiten kämpfen, die dazu tendieren, die echten Hintergründe zu verschleiern.
Ihnen scheint bei all diesen ernsthaften Themen der Spaß an der Musik selbst vergangen zu sein.
Ach was, gar nicht. Kürzlich war ich eine Woche lang mit Andy Fairweather-Lowe und Pat Leonard im Studio. Wir trugen unsere Ideen zusammen und arbeiteten an ein paar Songs. Danach haben wir mit meiner Band gejammt. Hat Spaß gemacht.
Eine Rückkehr zu alten Arbeitsmethoden?
Das ist lustig, ja, weil auf genau diese Weise „Dark Side OfThe Moon gemacht wurde. Ich hatte ein paar Ideen, Dave Gilmour hatte ein paar Ideen. Wir haben daran gearbeitet, dann spielten wir das Material erst mal live, ungefähr ein Jahr lang, bevor wir es schließlich aufnahmen. Diese Arbeitsweise habe ich jetzt wieder entdeckt. Bei der Tour haben wir während des Soundchecks an den neuen Songs gearbeitet – und sei es nur für eine halbe Stunde: „Sie öffnen die Tore um 18 Uhr? Okay, dann haben wir noch 20 Minuten, lasst uns loslegen“. Und diese Musiker haben so viel zu bieten, sie spielen irgendwas, und ich denke: „Hey, das ist interessant, das kann ich gebrauchen!“ Das war sehr befriedigend.
Sie gelten eher als Kontrollfreak, David Cilmour nannte sie nicht erst seit den „The Wall -Sessions einen Egomanen. Haben Sie sich verändert?
Nein, nein, ich treffe am Ende alle Entscheidungen selbst. Es ist eine Legende,dass in Rockgruppen alles demokratisch zuginge und über jede Kleinigkeit abgestimmt würde. Wer das behauptet, lügt. Es muss jemandes Vision sein, die dann in der Gruppe verwirklicht wird. Einen gibt es immer, der die Verantwortung trägt. Und bei Pink Floyd war ich das.
Und die anderen hatten unter Ihren Obsessionen zu leiden: Bei „The Wall warfen Sie Richard Wright aus der Band, weil er angeblich den Anforderungen nicht gewachsen war, gleiches gilt für Nick Mason während „The Final Cut“. Am Ende kam David Cilmour nur noch ins Studio, um seine Soli einzuspielen.
Ich weiß, dass dieser Blödsinn von Dave Gilmour verbeitet wird. Es war ihnen immer unangenehm, dass ich die ganze Arbeit gemacht habe und das habe ich zu jener Zeit. Gilmour, Mason und Wright hatten einfach Probleme mit ihren Egos. Und irgendwann stellten sie fest, dass es für sie viel schmeichelhafter ist, die Sache einfach umzudrehen. Man kann es nämlich auch anders sehen: „Hey, das ist wundervoll. Da ist dieser großartige Typ, der all diese Ideen hat und genau weiß, was er will. Und der auch weiß, wie man es verdammt nochmal umsetzt. Er nimmt all diese schönen Platten für uns auf! Wundervoll!“ Aber sie wollen sich wichtiger fühlen, als sie waren, deshalb verbinden sie meine Arbeit mit negativen Konnotationen: „Oh, da ist dieser schreckliche Kerl, ein Kontrollfreak, der darauf besteht, daß alles nach seinem Willen funktioniert.“
Cilmour hat immerhin „Comfortably Numb geschrieben…
Genau. Und jetzt schau dir an, was er sonst noch so geleistet hat. Pink Floyd ist heute ein Sondermodell von Volkswagen (lacht).
Was war denn Pink Floyd? Roger Waters?
Allerdings.
Und David Cilmour?
Den frage ich, genau wie die anderen mit ihren Ferraris und privaten Kampfjets: Seid ihr stolz darauf, ein Teil von „The Wall“ zu sein? Es hätte das Album nie gegeben, wenn ich nicht getan hätte, was ich tat! Die Gerüchte über meine angebliche Egomanie kommen genau aus dieser Richtung – niemand sonst, mit dem ich je gearbeitet habe, hat sich beschwert.
Eric Clapton, den sie als Gitarrist für „The Pros And Cons Of Hitch Hiking verpflichteten…
…hat mich darauf angesprochen. Ebenso wie die Leute in meiner Band. Sie sagen mir das auch:“Hey, ich habe gehört, du wärst ein schwieriger, unsympathischer Zeitgenosse.“ Aber es macht ihnen Spaß, mit mir zu arbeiten.
Ärgert es Sie denn nicht, dass David Cilmour derweil das Pink-Floyd-Cefühl weltweit sehr erfolgreich vermarktet?
Genau so ist es: Sie verhökern ein nostalgisches Gefühl, und ich kann nichts dagegen tun. Als „A Momentan/ Lapse Of Reason“ herauskam, kotzte mich das an. Ich konnte es nicht fassen! Und niemand schien es zu bemerken. Ich hätte am liebsten die ganze Welt geschüttelt und gerufen: „Könnt ihr nicht sehen, was für einen Scheißdreck die da produzieren?“ Ich habe auch mit Journalisten gesprochen. Ich habe dem „Rolling Stone“ die ganze verdammte Geschichte erzählt, und sie haben es nicht gedruckt, sie haben kein einziges Wort davon gedruckt! Und dann hat Timothy White (Pink Floyd-Session-Gitarrist -Anm. d. Red.) in einem Buch die wahre Geschichte über die Entstehung von „A Momentary Lapse Of Reason“ geschrieben: Dass sie mittendrin aufhören und das ganze Zeug neu aufnehmen mussten, weil es einfach nicht nach Pink Floyd klang und all die anderen Peinlichkeiten – aber es hat niemanden interessiert.
Kein Friede also zwischen den beiden Fraktionen?
Mittlerweile habe ich gelernt, sie zu akzeptieren. Ich denke mir:“Oh, wow, interessant!‘. Aber, wissen Sie, ich kann nicht meine Energie verschwenden, indem ich mich auf ein Podest stelle und rufe: „Nein, das ist falsch!“ Fuck it. Wenn Leute sich diesen Mist verkaufen lassen, kann ich nichts dagegen tun. Nichts, nichts, nichts.
Ihre Soloalben dagegen waren absolute Flops…
Ich wäre fröhlicher gewesen, wenn sich „Amused To Death wenigstens ein bisschen besser verkauft hätte. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass das Album nur schläft. Die Leute werden es noch entdecken. Oft genug kommt es vor, dass irgendwer darauf aufmerksam gemacht wird und dann ziemlich erstaunt ist: „Was ist das? Das ist ja unglaublich? Wieso habe ich davon noch nie was gehört?“ Weiß ich doch nicht, wieso! Ich sage nur: Lieber liegeich in meinem Bett als in deren-das muss verdammt unbequem sein.
Richard Wright soll eines ihrer Konzerte in Amerika besucht haben.
Er hat Jon Carin angerufen, meinen Keyboarder, weil der auch für Pink Floyd Keyboard gespielt hat – sie kannten sich also. Wright war offensichtlich total nervös, weil er nicht wusste, ob das für mich in Ordnung geht. Ich sagte: „Klar, er soll einfach nach der Show vorbeikommen.“ Und das tat er dann auch. Es lief sehr freundlich, sehr förmlich ab. Wir haben uns auf einer bestimmten Ebene einfach nichts mehr zu sagen.
Gilt das auch für David Cilmour?
Was das Professionelle angeht: Ja. Ich kann da sehr stark sein.
Und privat?
Was haben Sie privat noch mit Leuten zu tun, mit denen Sie sich schon in der Schule nicht richtig verstanden haben?
Haben Sie wenigstens Ihren Frieden mit Andrew Lloyd-Webber gemacht? Es ist allgemein bekannt, dass das Titelthema seines Erfolgsmusicals „Phantom Of The Opera“ auf dem Pink Floyd-Song „Echoes“ beruht.
Kürzlich waren wir zusammen bei einem Abendessen. Er hat nichts gesagt, also habe ich ihn auch nicht mehr darauf angesprochen. Irgendwie bekam ich jedenfalls einmal „Phantom der Oper“ in die Hände und da kam dieser Teil: (singt): Dabadabadaaa, Dabadabadaaa – und ich dachte:“Mein Gott! Das kann doch nicht wahr sein!“ Also machte ich in einem Interview eine flapsige Bemerkung über Kreativität und Urheberrechte, und seine Anwälte kamen über mich wie eine Tonne Ziegelsteine. Der hatte Angst, dass ich es auf eine Gerichtsverhandlung ankommen lasse.
Und?
Ich sagte ihm,dass es mir scheißegal ist. (lacht) Einmal kam „Cats“ im Fernsehen, von dem ich mal gehört hatte. Hat mich interessiert, worum es da geht, also sah ich mir das ein paar Minuten lang an. Und noch ein bisschen mehr, und noch ein bisschen mehr… bevor du es nicht gesehen hast, kannst du dir eigentlich nicht vorstellen, wie etwas dermaßen Beklopptes so erfolgreich sein kann!