Der Depp vom Dienst
Der DJ hat die Macht. Er kann die Party steuern, Menschen zur Ekstase und zum Weinen bringen. Der DJ ist ein Mini-Rockstar. So weit der Mythos. Doch oft ist DJing unwürdige Dienstleistung. ME-Redakteur Stephan Rehm weiß das nur zu gut. Hier ist sein Bericht.
Meistens beginnt es schon an der Tür. Eine halbe Stunde bevor der Club seine Pforten öffnet, steht man nach einem Fußmarsch, denn Taxigeld ist im Bereich des Service-DJings nicht üblich, mit zwei Plattenkoffern in den Händen und diversen Umhängetaschen voller Tonträger zwei bombigen Typen gegenüber und sagt: „Guten Abend, ich bin heute hier der DJ.“ „Stehste auf der Gästeliste?“ „Das will ich hoffen.“ „Mal sehen, … nee, ich finde hier nichts. Tut mir leid. Kann ich nichts machen.“ „Dann muss das jemand vergessen haben. Aber mein Gepäck spricht doch für mich? Ich werde mich doch nicht als Tarnung so beladen, nur um mir fünf Euro Eintritt zu sparen.“ „Na gut, beim nächsten Mal sorgste aber dafür, dass du auf der Liste stehst.“ „Ich bin nicht für diese Liste zuständig, die stellt der Veranstalter zu…“ Egal, die Tür ist offen und der Security-Mann greift die unterbrochene Unterhaltung mit seinem Kollegen wieder auf.
Wer Glück hat, den begrüßt dann der Teamleiter des Abendpersonals. Der macht einen mit der Technik vertraut. Wer ganz großes Glück hat, kommt in den Genuss eines Meetings mit dem kompletten Team, auf dem jeder jedem namentlich und mit Zuständigkeiten für den Abend vorgestellt wird. Wer supergroßes Glück hat, bei dem macht als Finale dieser Zusammenkunft sogar ein Tablett mit Aufwärmgetränken Halt. Aber oft hat man kein Glück. Dann sagt man den desinteressierten Kräften hinter der Bar Hallo und stöpselt sein Equipment ein. Zehn Minuten bevor die ersten Gäste kommen, beginnt die Musik, zu der sich die ersten Gäste mit ihren ersten Getränken dann noch etwas unterhalten können. Dann kommt meistens ein Techniker, der fragt, ob alles in Ordnung sei und einem in Windeseile alle Features der Lichtanlage erklärt, die doch bitte schön parallel zu bedienen sei. Zeit für Nachfragen bleibt nur selten, der Techniker muss immer ganz schnell woanders hin und lässt sich meist bis in die frühen Morgenstunden nicht mehr blicken.
Oft ist es schon der dritte Gast, der auf einen zukommt und sagt: „Ey, spielste wohl gleich mal Volbeat?“ Wer darauf entgegnet, dass sich der Club ja gerade erst allmählich fülle und man den Besuchern zunächst noch mit etwas gedämpfter Musik Gelegenheit zur Unterhaltung bieten möchte, bekommt gerne mal zurück: „Also keen Volbeat? Dann biste keen Rock-DJ!“ Gut, wenn das die Bedingung ist, wollte man auch nie einer sein.
Innerhalb der ersten halben Stunde folgt in der Regel ein Besucher mit der Frage, was hier heute denn so gespielt werde. „Das hängt ganz von der Reaktion des Publikums ab. Ich habe keine fertige Setlist und gehe gern auf Wünsche ein.“ „Aber so Techno und House?“ „Nun ja, dies ist hier ja eine Indie-Disco, hier wird’s natürlich auch mal Strecken mit elektronischer Musik geben, aber reiner Techno würde die Leute wohl doch eher verstören.“ „Kein Techno? Scheiße!“ „Aber du wusstest doch, wohin du heute Abend gehst. Dieser Club hat doch einen Ruf. Man geht doch auch nicht zu McDonald’s und ist beleidigt, wenn einem dort kein Hirschrücken serviert wird.“ Oftmals verschwindet der Gast dann mit der Ankündigung, er käme später noch mal. Später, wenn er sturzbetrunken und noch unhöflicher als jetzt ist. Hiermit soll natürlich kein pauschales Bild des Techno-Fans als Haudrauf-Existenz gezeichnet werden. Neulich klagte ein weltbekannter House-DJ, der in dieser Sache anonym bleiben möchte, dass bis heute bei ihm Linkin Park gewünscht werde. Und so einer ist ja in erster Linie Künstler, der sich ausdrücken will, keine reine Servicekraft wie unsereins.
Wer keinen Co-DJ hat, wer also nicht zu zweit auflegt, sollte auf Bierkonsum weitgehend verzichten. Sonst muss er nur ständig auf Toilette, das DJ-Pult ist unbewacht und in der möglichen Schlange vor dem WC wird auch die gerade eben noch eingelegte siebeneinhalbminütige Version von New Orders „Blue Monday“ schnell bedrohlich kurz. Bier ist aber sowieso nicht sonderlich geeignet für einen Abend als DJ. Bier macht irgendwann doof und müde, dabei will man doch wach bleiben und schnell reagieren können. Es empfehlen sich Weißweinschorlen in Abwechslung mit Energydrinks und Wasser. Schließlich gilt es, im Normalfall ab 22 Uhr einen Acht-Stunden-Marathon zu überstehen – für DJs, die tagsüber einem geregelten Broterwerb nachgehen, oft die zweite Schicht an einem Tag. Im Idealfall gibt es aber einen Co-Piloten. Dann wird zwar die Gage geteilt, man hat aber viele Vorteile in Aussicht: Kann pinkeln, wann man will, sich auch mal kurz mit einem befreundeten Besucher, der hoffentlich zu seinem versprochenen Gästelistenplatz gekommen ist, unterhalten und dem musikalischen Horizont des Abends tun zwei Plattensammlungen auch besser als eine. Wichtigster Vorzug eines DJ-Gespanns: Den Wünschen und der Kritik steht ein Kanal mehr zur Verfügung. Das ist nicht zu unterschätzen. Während acht Stunden schreien, spucken und schwitzen einem locker mal hundert Leute ins Ohr. Und deren Aggressionsgrad nimmt – je später der Abend, je mehr oder hochprozentiger der Alkohol – rapide zu. Prototypischer Kurzdialog mit dem DJ gegen ein Uhr: „Hallo! Kann man sich bei dir was wünschen?“ „Aber klar.“ „Dann spiel doch bitte was zum Tanzen.“ „Das ist ein weites Feld. Wozu tanzt du denn?“ „Ich weiß nicht, was zum Tanzen halt.“ „Aber hier tanzen doch schon sehr viele.“ „Da, wo ich und meine Freunde stehen, tanzt keiner.“ „Was wollt ihr denn hören?“ „Na, was zum Tanzen, Alter!“
Zwei Stunden später kann derselbe Fragesteller einen bereits so ansprechen: „Ey, was soll denn DIE Scheiße jetzt?“ „Na ja, das liegt doch wohl im Auge des Betrachters. Wenn du dich umsiehst, gefällt der Mehrheit dieser Song ganz offensichtlich.“ „Keine Sau tanzt, Scheißparty!“ „Du musst ja nicht bleiben, aber von meinem Pult aus kann ich die Menge ganz gut überblicken und dir versichern: So gut wie alle tanzen.“ „Ich tanze nicht. So!“ „Wie kann ich dich denn zum Tanzen bringen?“ „Weiß nicht. Spiel ‚Woo-hoo‘, du weißt schon (brüllt): WOO-HOO!“ „Du meinst ‚Song 2‘ von Blur? Na ja, das ist schon sehr abgedroschen. Aber ich versuche es später in einer Klassikerstrecke unterzubringen.“ Weil man auch 2011 vor lauter Fragen nach diesem Lied gar nicht umhin kommt, ‚Woo-hoo‘ zu spielen, bettet man es später eben noch irgendwo ein.
Dass innerhalb der fünfzehn Minuten nach Damon Albarns finalem „Oh yeah“ der ‚Woo-hoo‘-Freund nochmals kommt und sich erkundigt, wann man denn nun gedenke, dieses Stück zu spielen, gilt als ungeschriebenes Gesetz der Ausgehkultur. Es bleibt dann nur eine ehrliche Antwort: „Ich habe das gerade schon gespielt.“ „Da war ich pissen. Spiel’s noch mal!“ „Ich kann unmöglich diesen Song sofort wieder auflegen!“ „Dann Slipknot! Oder System Of A Down! Ja, mach Süssem!“ Ein „Ich weiß nicht, ob das jetzt so gut passt“ als Entgegnung hat oft zur Folge, dass der Typ entweder mit flachen Händen und aller Wucht auf das DJ-Pult schlägt oder versucht, die Verkabelung zu sabotieren. Dann hilft nur noch, die Musik herunterzudrehen. Dann ist man sich der Blicke der kompletten Club-Belegschaft gewiss und kann einem Security mit Handzeichen zu verstehen geben, dass man in seiner Arbeit grob behindert wird. Doch geschieht dies meist zu fortgeschrittener Stunde. Was jetzt übersprungen wurde, ist die Mitternacht. Verlässlich bildet sich kurz vor zwölf Uhr eine kleine Schlange vor dem DJ-Pult. Jeder ist mit irgendjemandem da, der gleich ein neues Lebensjahr betritt. „Kannst du um zwölf bitte ‚Happy Birthday‘ für meine Freundin spielen?“ Nur wer ein Herz aus Stein hat, schlägt einen solchen Wunsch aus. „Klar, mache ich. Von Stevie Wonder, oder?“ „Weiß nicht, ‚Happy Birthday‘ eben.“ Problematisch wird es beim Zweiten in der Schlange. Der ist auch mit einer Geburtstagsaspirantin aufgekreuzt und findet aber „Happy Birthday“ blöd. „Kennste ‚Birthday‘ von den Beatles? Haste?“ „Ja, aber ich kann schlecht zwei Geburtstagslieder hintereinander spielen. Das langweilt doch alle die, die an 364 anderen Tagen des Jahres Geburtstag haben.“ „Aber es ist ihr Geburtstag! Wir sind extra aus [Bargteheide/Dingolfing/Pasewalk
Was bei der Beschreibung dieses „Berufs“ nicht fehlen darf und was hier auch schon mehrfach angedeutet wurde: Es macht ja auch und vor allem Spaß. Die Leute tanzen. Die Mehrheit spricht einen nicht an, zeigt hüftschwingend Anerkennung. Viele danken für ein gerade eben gespieltes Lieblingslied, möchten einen für eigene Partys buchen. Deswegen lohnt sich dieser Job. Weil man dazu beiträgt, Leuten eine gute Zeit zu ermöglichen und dabei dem ein und anderen unbekannten Song Gehör verschaffen kann. Deswegen – und nicht etwa wegen des Geldes: 150 Euro sind für acht Stunden Nachtarbeit in einem Club einer deutschen Großstadt ein stolzes Gehalt, zu dem man meist erst nach Nächten mäßig bis nicht bezahlter „Probe“-Auflegerei „berechtigt“ ist.
Und schon sind wir wieder da, worum es hier eigentlich gehen soll. Die Vorzüge dieser Betätigung geistern ja im klischierten Bild vom DJ als Mini-Rockstar („Was, du legst auf? Wie cooool!“) hinreichend durch die Welt. Hier soll es stattdessen um die Kehrseite gehen – um das, was sich in den dunklen Winkeln des Rampenlichts abspielt, was der Besucher normalerweise nicht erfährt. Und diese Geschichte ist ohne ihr Ende freilich nicht komplett.
Das langsame Ende beginnt so gegen fünf Uhr morgens. Der Gast ist hinreichend ungehemmt betrunken und nimmt den DJ quasi nur noch als Fleisch und Knochen gewordenen Wurlitzer wahr. Er ist in Plauderlaune und stellt auch schon mal Anfragen wie folgende: „Kammasich bei dir auch was wünschn?“ „Selbstverständlich. Womit kann ich dienen?“ „Boah, keine Ahnung! Was hast’n?“ „Mehrere Tausend Songs, verteilt auf CDs, Schallplatten und andere Datenträger.“ „Kann ich mal kucken?“ „Nein, bitte, ich muss hier ja arbeiten.“ „Jetzt lass mich doch mal kuckn, Mensch!“ An dieser Stelle wiederholt sich dann im Ernstfall oft das unliebsame Spiel mit dem Lautstärkenregler der Anlage und dem Heranwinken des Sicherheitspersonals. Etliche Male ist zu dieser Zeit die Musik auch schon verschwunden, weil sich ein Gast zu aufdringlich einer jungen Frau im Publikum genähert oder einem als Feind verstandenen Partybesucher auf die Fresse geschlagen hat. Ein ganz unglücklich Betrunkener bestieg im Allmachtswahn auch schon einen meterhohen, ungesicherten Boxenturm neben dem DJ-Pult und warf sich von dort auf eine ganz und gar nicht auf so eine Situation eingestellte Menge. Feiern bis der Arzt kommt.
Wenn dann an der Bar nicht mehr ausreichend Umsatz gemacht wird, sucht den DJ ein Schankkellner auf und unterrichtet ihn davon, dass ab jetzt nur noch ruhige Musik erlaubt sei und man nach einer halben Stunde den Abend beenden solle. Diese Anweisung hören die letzten Gäste selbstredend nicht. Folglich können sie nicht begreifen, warum nach Rausschmeißern wie „That’s Amore“ von Dean Martin oder dem tatsächlich Wiegenlied-artigen Titelthema des Films „Nackt und zerfleischt“ nicht noch mal was „zum fett Abrocken“ kommt.
Explosiv wird eine solche Konfrontation, wenn der Rahmen kein Club-Abend, sondern eine Gaststätte ist, in der eine Hochzeit ausgerichtet wird und sich eine kreischende Braut nach Sperrstunde Danzig wünscht. Sie klagt, ihr werde der wichtigste Abend ihres Lebens versaut, wenn man ihrer Forderung nicht gleich nachkomme. Das nötigt Respekt ab, man tut wie geheißen und schon steht der Wirt mit drohendem Zeigefinger da. Gefährlich wird es auch, wenn das Setting eine Betriebsfeier ist. Ein Anzugträger mit Botox-verzerrter weiblicher Begleitung im Arm stellt zunächst seine Position, dann seinen Liedwunsch vor: dieses eine von Celine Dion soll es sein. Muss es sein. Sonst zückt er sein Smartphone und notiert sich zum Zwecke eines späteren Nachspiels den Namen des DJs. Wohl dem, der in so einer Situation über einen Internetanschluss verfügt und sich die bestellte Ware umgehend liefern lassen kann. Dann sieht man dem teuer gekleideten Pärchen dabei zur, wie es krampfhaft seine makellose Harmonie zur Schau stellt, und lautlos mitsingt: „Near, far, whereeeever you are …“ Die Fantasie, diese Szenerie mit Rage Against The Machines „Killing In The Name“ zu durchbrechen, drängt sich unwillkürlich auf. Doch selbst darauf würden diese Besserverdiener in ihrem Auf- und-ab-Hüpf-Verständnis von Pogotanz „abgehen“ und das Outro mitgrölen: „Fuck you, I won’t do what you tell me“.
Nachdem man zusammengepackt und auch dem letzten Gast versucht hat nahezubringen, dass der Teufel oder zumindest die Polizei kommt, wenn auch nur ein einziger weiterer Song ertönt, holt man sich seine Lohntüte ab, kramt einen Teil daraus hervor und bezahlt damit das Taxi. Auf der Heimfahrt durch strahlendes Sonnenlicht spendet der Gedanke an den Blog www.canyouplaythatonesong.com Trost. Dort werden absurde DJ-Requests aus aller Welt gelistet. Ob man heute wenigstens eine coole Geschichte erlebt hat, die da ein schönes Posting ergäbe? Dialoge wie dieser geben das Niveau vor: „Kannst du nichts Modernes spielen?“ „Der Song kam erst vor drei Monaten raus.“ „Dann eben was noch Moderneres, was, worauf man tanzen kann. So wie Enrique Iglesias!“ Ja doch, da kann man mithalten. Gut, dass man nicht allein ist.
Mathias „Munk“ Modica
Der Chef des wegweisenden Münchner Elektro-Labels Gomma gilt als einer der gefragtesten Disco-DJs der Welt.
Wie hoch war dein erstes Gehalt als DJ? Wurde nicht in Mark oder Euro, sondern in Litern berechnet. Wie wurde sich bisher am charmantesten ein Song bei dir gewünscht? Auf einen Slip geschrieben. In Moskau. … und wie am unverschämtesten? Mit einer Knarre. In Neapel. Was sich dann Gott sei Dank als Spaß herausgestellt hat. Musstest du schon mal einen Gast rauswerfen lassen? Münchner DJs sind das gewohnt. Besoffene Touristen zur Oktoberfestzeit können unglaublich penetrant sein. Aber schlimmer noch sind die Easyjet-Raver in Berliner Clubs, die nicht begreifen können, warum der DJ in Berlin nicht Berliner Klischee-Techno spielt. Welcher Künstler wird sich immer gewünscht, obwohl man ihn nie dabeihat? Vor fünf Jahren gab es noch Musik, auf die sich alle einigen konnten. Heutzutage gibt es zu viel. Da wünscht sich jeder was anderes. Wobei es dann doch meist Stücke meines Gomma-Labels sind, die gewünscht werden. WhoMadeWho, Munk, Moulinex … deren Hits halt. Was war der eigenartigste Anlass, bei dem du aufgelegt hast? Ich weiß nicht was bizarrer war: eine Transsexuellen-Fete in Barcelona diesen Sommer oder die Privatparty von ein paar krass reichen, dekadenten Jungs in Guadalajara, einer Stadt in Mexiko, die sich als Kids von Drogenbaron Chupo Guzman herausstellten. Warum nimmt man trotz allem DJ-Jobs immer wieder an? Weil es einfach der beste Job der Welt ist.
Peter „DJ Pitpop“ Wittkamp
Legt regelmäßig im Bamberger Club Morph Indie-Rock, Elektro, Schlager und natürlich Britpop auf.
Wie hoch war dein erstes Gehalt als DJ? Zehn Euro in der Stunde. Und so viel Jever, wie ich wollte. Wie wurde sich bisher am charmantesten ein Song bei dir gewünscht? Ich finde es eigentlich immer charmant, wenn man ganz normal und nett fragt. Und maximal einmal (!) nach frühestens einer halben Stunde (!!) eventuell noch einmal nachfragt, ohne beleidigt zu sein (!!!), dass der Song noch nicht lief. … und wie am unverschämtesten? „Kann ich davon ausgehen, dass du mir heute jeden Wunsch erfüllst?“ Musstest du schon mal einen Gast rauswerfen lassen? Klar, fliegen manchmal Leute aus dem Club oder der Bar. Aber dass ich das selbst konkret angeordnet hätte? Nein. Angedroht habe ich es allerdings mehrmals … Welcher Künstler wird sich immer gewünscht, obwohl man ihn nie dabeihat? Kann ich gar nicht so sagen, aber ich habe das Gefühl, dass obskure Wünsche öfter von Frauen kommen. Bestimmt aber nur, weil sie mutiger sind als Männer. Was war der eigenartigste Anlass, bei dem du aufgelegt hast? Feier der Jungen Sozialen in der rheinland-pfälzischen Landesvertretung in Berlin. Sie dachten übrigens, ein Player wird schon reichen. Auflegen mit CD-Wechsel-Pause. Das war schon reichlich obskur. Warum nimmt man trotz allem DJ-Jobs immer wieder an? Kennt ihr das, wenn man mit Freunden vor YouTube-Videos sitzt und jeder nur denkt „als Nächstes muss ich UNBEDINGT mein Video zeigen“? Auflegen ist so ähnlich, nur dass ich alle Videos des Abends bestimmen darf. Na ja … und dass eine zauberhafte Frau sich aufgrund deines sensationellen Musikgeschmacks sofort hoffnungslos in dich verknallt, könnte auch ab und an der Grund gewesen sein. Passiert aber eher selten.
Christoph „XToph“ Lindemann
Der Musikchef des Radiosenders on3 und ehemalige ME-Redakteur legt in ganz Deutschland auf. Zu seinen Lieblingslocations gehören das Münchner Atomic Café und der Schlachthof in Wiesbaden.
Wie hoch war dein erstes Gehalt als DJ? Mein erster größerer Job war ca. 1993 ein Fest der Bayerischen Landesbank. Ich habe 200 DM verlangt. Mir wurde gesagt, dass sie „eher so an 1 000 Mark gedacht“ hätten. Ich habe mich nicht gewehrt. Wie wurde sich bisher am charmantesten ein Song bei dir gewünscht? Mir wurde immer nur Schnaps angeboten. … und wie am unverschämtesten? Typ mit Hut hielt mir einen USB-Stick hin: „Magst mal was RICHTIG Geiles spielen?“ Ich verneinte höflich. Möglicherweise ein Fehler, ich werde es nie mehr erfahren. Musstest du schon mal einen Gast rauswerfen lassen? So ein besoffener Penner, dem es im Indie-Club zu elektrisch wurde, hat mir mal den Laptop zugeklappt. Den bizarren Moment einer vollen Minute Ruhe im vollen Club, den er mit seinem Anschlag bewirkt hat, hat er nicht mehr mit den anderen Gästen genießen können. Welche Band wird sich immer gewünscht, obwohl man sie nie dabeihat? Bag Raiders. Jedes Mal. Was war der eigenartigste Anlass, bei dem du aufgelegt hast? Ein 40. Geburtstag in der Verwandtschaft. Grauenvoll. Lauter Menschen, die mit misstrauischen Gesichtern getanzt haben. HipHop lief – kurz – super („Wow, das ist bestimmt cool, da tanz ich drauf!“), bei Beatles aber – und ich spiele immer irgendwann einen Song von den Beatles -, kam sofort in beleidigtem Ton: „Hey, das ist ein 40. und kein 50. Geburtstag! So alt sind wir noch nicht!“ Warum nimmt man trotz allem DJ-Jobs immer wieder an? Weil jede Nacht, in der alles stimmt, in der dich die Inspiration so mühelos leitet, dass du dir selbst überrascht zuhören kannst und dir die Leute irgendwann so bedingungslos vertrauen, dass sie gar nicht mehr auf die Idee kommen, sich was zu wünschen und nur noch tanzen, weil dich jede solche Nacht für die jeweils letzten fünf Trauerspiele tausendfach entschädigt.
Wolfram
Der österreichische Star-DJ legt weltweit „alles, was gut ist“ auf,
bevorzugt aber Disco und Eurodance. „Trash“ existiert für ihn nicht.
Was war dein erstes Gehalt als DJ? Ein Wiener Schnitzel. Wie wurde sich bisher am charmantesten ein Song bei dir gewünscht? Hui, das darf ich gar nicht sagen. Denn wenn das meine Freundin liest, bekomm ich das nicht mehr von ihr. Natürlich ging ich nicht auf das Angebot ein, Britney Spears spiele ich auf keinen Fall. … und wie am unverschämtesten? Ich spielte mit Hell während der Fußballweltmeisterschaft an dem Tag, als die Russen verloren. Das war ein Event voller Russen. Einer kam auf uns zu und sagte, wir sollten irgendetwas spielen, was wir nicht wollten und auch nicht hatten. Fünf Minuten später kam er mit seiner Gang und dem Promoter des Events zurück. Er hatte sich CDs aus seinem Auto geholt und mit dem Promoter ausgemacht, dass er jetzt das DJ-Pult übernehme. Wir gingen dann angepisst nach Hause, hatten aber immerhin schon die Gage in der Tasche. Musstest du schon mal einen Gast rauswerfen lassen? Nein. Welcher Künstler wird sich immer gewünscht, obwohl man ihn nie dabeihat? Lady Gaga und Britney. Was war die bizarrste Location, in der du aufgelegt hast? Eine Party von Marc Jacobs zur New Yorker Fashion Week. Die noch relativ unbekannte Lady Gaga saß nebenan am Klavier und spielte ihre späteren Hits. Warum nimmt man trotz allem DJ-Jobs immer wieder an? Weil es wie eine Droge ist.
Velten Meyer
Der Promoter, Radiomoderator und Remixer ist Resident-DJ der
Partyreihe „Milch“ im Berliner Club Rosi’s.
Wie hoch war dein erstes Gehalt als DJ? 20 Mark im Jugendzentrum Tornesch. Wie wurde sich bisher am charmantesten ein Song bei dir gewünscht? „Hey, spiel doch mal diesen Velten-Meyer-Mix“ … und wie am unverschämtesten? „Spielst du heute Abend auch noch was zum Tanzen?“ Welcher Künstler wird sich immer gewünscht, obwohl man ihn nie dabeihat? Stevie Wonder: „Happy Birthday“, irgendwas von Paul Kalkbrenner (2009 – 2011). Was war der eigenartigste Anlass, bei dem du aufgelegt hast? Eine Studentenparty in Kopenhagen, die Polizei ist vier Mal nacheinander gekommen und hat jeweils einen Verstärker mitgenommen. Der Booker kam immer zehn Minuten später mit einem neuen Verstärker an und es ging weiter. Beim fünften Mal wurde der Booker festgenommen und ich auf Dänisch verwarnt. Warum nimmt man trotz allem DJ-Jobs immer wieder an? Weil man für Trunkenheit und Musik sonst in der Regel selten bezahlt wird.
Kaline Thyroff
Die Münchner DJane legt seit Jahren Soul und Funk in bevorzugt kleineren Locations wie der Kneipe ums Eck auf.
Wie hoch war dein erstes Gehalt als DJ? Eine Streifenkarte für die S-Bahn und ein Frühstücks-Croissant als Proviant für die Heimfahrt. Wie wurde sich bisher am charmantesten ein Song bei dir gewünscht? „Hey, DJ! Ich hab gestern neue Tanzschritte zu Jackie Wilsons ‚Higher And Higher‘ einstudiert. Wenn du das spielst, zeig ich sie dir!“ Der daraufhin aufgeführte Derwisch-Tanz hat zwar alle anderen von der Tanzfläche verdrängt, das Experiment war es aber wert. … und wie am unverschämtesten? „Dieser Soul-Scheiß interessiert doch heutzutage niemand mehr! Kannst du wenigstens ein bisschen Jamiroquai spielen? Oder was von Bad Religion?“ Welcher Künstler wird sich immer gewünscht, obwohl man ihn nie dabeihat? James Brown. Warum nimmt man trotz allem DJ-Jobs immer wieder an? Weil es ein Abenteuer ist. Du weißt nie, wann du ins Bett kommst, nie, ob deine Platten die richtigen sind. Nie, ob nicht ein Junggesellen-Abschied vorbeikommt, der dir den ganzen Abend vermiest, weil er deine Musik nicht mag, sie einfach ignoriert oder dir gleich Bier ins Mischpult kippt.