Der legendäre Jon Spencer läßt wieder den Blues explodieren


Fucking —nicht so sehr im Sinne von Geschlechtsverkehr als vielmehr als omnipotentes Wort zur Betonung von Eigenschaften und um ihnen eine gewisse Schärfe mit auf den Weg zu geben. Das ist das Adjektiv, das vor alle Beschreibungen der Jon Spencer Blues Explosion gehört. „Fucking cool“, „fucking great“ und „fucking intense“. Jon Spencer ist wieder da. Nach der Boss Hog-Platte und nach tausend Konzerten, präsentiert einer der „hardest working men in show business“ sein allerliebstes, sein Trio: die Blues Explosion. Den heißesten Act der Welt. Um ihn unter Vertrag zu bekommen hatten schon mal diverse Major-Companies seinen Weg mit Schecks gepflastert. Natürlich kann so etwas jemanden wie Jon Spencer überhaupt nicht beeindrucken. Doch da Spencer kein Fundamentalist und Träumer ist, hat er selbst behutsam seine Karriere angekurbelt und schließlich bei ‚Mute‘ angerufen, dem Depeche Mode-Label, der Elektronik- und Avantgarde-Legende. „Ein Label, das hinter seinen Künstlern steht“, wie Spencer betont, „das komisches Zeug herausbringt“. Natürlich war dort die Begeisterung groß und man gestand ihm in vollem Maße das zu, worauf es ihm ankommt: absolute Kontrolle. Der Grund dafür: den Erfolg in geordneten Bahnen zu halten.

Und er weiß, was er sagt. Mehr als zehn Jahre Business, mit der Mittachtziger Noise-Legende Pussy Galore, danach mit tausend anderen Bands und schließlich mit Boss Hog, dem glamourösen Projekt seiner Lebensgefährtin Cristina. Deren Erfahrung mit dem Major-Label Geffen hat dazu beigetragen, Spencers Einstellung zu den Industriefirmen zu bekräftigen. Und seine natürliche Coolness. Etwas, worüber man nicht sprechen kann. Stil und Kleidung, ja, das ist nicht unwichtig, aber eigentlich zählt nur die Musik. Die ist wie ein wildes Tier, wie ein fiebriger Rock-Traum, windet sich, kratzt und stöhnt und veranlaßt jeden lebendigen Menschen dazu unentwegt „Yeah, Baby!“ zu schreien. Und war ‚Orange‘, das letzte Werk, schon heiß, so ist das neue Album in vielerlei Hinsicht noch eindringlicher. „‚Orange‘ war auf den Punkt gebracht“, sagt Jon Spencer, „dagegen ist die neue Platte völlig zerfasert und gebrochen.“ Und hat, dem Titel entsprechend, auch richtig melancholische Momente. ‚Now I Have Worry‘ heißt das Werk und ist seinen Aussagen nach sehr persönlich.

Aber wo andere Menschen weinerlich werden, ist Jon Spencers Musik, auch wenn er selber den Blues hat, noch voller Kraft. Muß sie auch. Denn schließlich lebt dieser Mann für die Bühne, lebt für sein Ziel der idealen Rock’n’Roll-Show. Die funktioniert nach seinen Angaben auch vor 12.000 Beastie Boys-Fans, aber am besten natürlich auf engstem Raum, wenn die Wände schwitzen und die Blues Explosion sich in eine Groove-Maschine verwandelt.

Nur ein einziges Mal wird Jon Spencer verlegen. Auf die Frage, ob er denn nun Boss Hog oder seine neue Platte besser fände, windet sich das Idol wider Willen im Sessel und gibt keinen Kommentar. Muß er auch nicht. Denn die Antwort steht ihm ins Gesicht geschrieben.