„Der seidene Faden“-Kritik: Ein Musterstück der schwarzen Romantik
Paul Thomas Andersons achter und Daniel Day-Lewis’ letzter Film kommt am 1. Februar ins Kino.
Hauptdarsteller Daniel Day-Lewis hat „Der seidene Faden“ selbst nicht gesehen – plant auch nicht ihn sich anzuschauen. Denn es soll sein letzter Film sein, vor Drehbeginn sei ihm das noch nicht bewusst gewesen. Am Set von Regisseur Paul Thomas Anderson erst habe ihn irgendwann eine seltsame Traurigkeit überkommen, sagte er in Interviews. Der Schauspieler persönlich verspricht also schon genau jene düstere Romantik, die den sechsfach Oscar-nominierte Film ausmacht.
Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis) ist ein stures Genie. Er entwirft und schneidert Haute Couture Kleider für die Londoner High Society der 50er Jahre. Er ist gefragt und unverbesserlich. Beziehungen dienen dem Meister nur als vorübergehende Quellen der Inspiration – die Frauen sind seine Musen, Models und Affären. Bis eine jede von ihnen unbrauchbar geworden ist und durch ihre Nachfolgerin ersetzt wird.
Als er Alma (Vicky Krieps) kennenlernt, gelangt eine andere Dynamik in das Leben des Modemachers und in das House of Woodcock, in dem er arbeitet – mit einer kompromisslosen Hingabe, die an den spanischen Designer Cristóbal Balenciaga erinnert. Die natürliche und willensstarke junge Immigratin stellt Woodcocks Perfektion und Beziehungsunfähigkeit infrage, dazu das Verhältnis zu seiner Schwester Cyril (Lesley Manville), Geschäftsführerin des Modehauses, auf die Probe.
Am Rande des Zusammenbruchs
Man fürchtet, dass sich Alma in die Schar austauschbarer Objekte einreihen wird. Denn irgendwann beginnt sich Woodcock an allem zu stören, was ihn zu Beginn gereizt hat: Stolperte Alma bei ihrer ersten Begegnung tollpatschig in den Raum, ärgert er sich irgendwann darüber, wie laut sie ihr Toast buttert.
Die Beziehung aber bleibt bestehen. Immer am Rande des Zusammenbruchs und getragen von einem zerstörerischen Kampf um die Oberhand. Die 50er-Jahre-Szenerie und Woodcocks verzweifelte Versuche, die Kontrolle zurückzugewinnen, lassen einen erahnen, wer ihn gewinnen wird. Aber die Macht liegt in dieser Geschichte nicht nur auf einer Seite.
Das in Hollywood leider so ungewöhnliche Verhältnis, ein permanentes „Push and Pull“, macht auch die Dialoge des Paares, ihr ganzes Zusammenspiel so interessant. Alma scheint die erste Partnerin zu sein, die Woodcock etwas entgegenhält: „Vielleicht änderst du irgendwann deinen Geschmack“, sagt er nach einer Anprobe zu ihr, bei der seiner Muse das Kleid nicht gefallen hat. „Vielleicht mag ich meinen eigenen Geschmack“, entgegnet sie. Je länger ihre Beziehung andauert, desto stärker verschiebt sich die Machtverteilung. Schließlich – ja, es ist wirklich unfassbar romantisch – zwingt die Liebe den egozentrischen und distanzierten Mann in die Knie. Er liefert sich ihr aus.
Die besondere Harmonie, die die beiden Hauptdarsteller auf die Leinwand bringen, hat ihren Ursprung vielleicht im Hintergrund: Während Daniel Day-Lewis, der dreifache Oscar-Gewinner, seine letzte Rolle spielt (für die er erneut nominiert wurde), steht die noch weitgehend unbekannte Vicky Krieps wohl am Anfang ihrer Hollywood-Karriere.
Das große Highlight neben Day-Lewis und Krieps ist das Kostümdesign von Mark Bridges, der seit Paul Thomas Andersons Debüt „Last Exit Reno“ 1996 an jedem Film mit dem Regisseur zusammengearbeitet hat und nach eingehender Recherche der modischen Nachkriegs-Ära 50 Kostüme entwarf. Einher mit den Aufnahmen der diesigen Gegenden um Yorkshire und den Cotswolds sowie der Kameraführung, die uns in typischer Anderson-Manie den Charakteren ganz nahe kommen lässt, machen die Bilder den „Seidenen Faden“ zu einem einzigen Kunstwerk.
Düster und durchlässig
Eingeschlossen wird es von Radioheads Jonny Greenwood, der schon mehrmals mit Paul Thomas Anderson zusammenarbeitete – unter anderem an „There Will Be Blood“ – und mit seinem Oscar-nominierten Soundtrack eines der schönsten Elemente des Films beisteuert. Düster und durchlässig zugleich erklingen Klaviermelodien über einem melancholisches Streichorchester, als hätte Greenwood die britische Landschaft selbst vertont. Barock und Jazz sollen dem Komponisten seine Ideen beschert haben: Glenn Goulds Bach-Aufnahmen sowie Streicher-Arrangements aus Stücken von Oscar Peterson und Nelson Riddle.
Paul Thomas Anderson erzählt eine romantische Schauergeschichte, bei der alle musischen Aspekte perfekt ineinandergreifen. Der Meister weiß eben, wie man die Fäden hinter einem Kunstwerk zusammenzieht.
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„Der seidene Faden“ startet am 1. Februar 2018 bundesweit in den deutschen Kinos.