Konzertbericht

Die Beatsteaks spielen in Dresden ihr längstes Konzert ever


Die Beatsteaks verabschieden sich mit einem legendären Benefiz-Auftritt im Dresdener Eventwerk für die nächsten Monate aus dem Rockzirkus.

Es war ein kühnes Vorhaben, ehrenhaft sowieso: Auf ihrer Heimreise von einem Gastspiel im KOKO in London am 25. August beschlossen die Beatsteaks, dass sie unbedingt eine eigene Hilfsaktion auf die Beine stellen sollten – für Flüchtlinge und für Menschen, die Flüchtlingen helfen. Eigentlich hatten sie sich ja mit dem Auftritt beim Lollapalooza-Konzert Mitte September in Berlin auf unbestimmte Zeit verabschieden wollen, aber schwierige Zeiten verlangen eben unkonventionelle Taten. Die Band setzte sich mit Pro Asyl in Verbindung, ermittelte so mit Dresden für Alle und dem Sächsischen Flüchtlingsrat zwei Organisationen aus Dresden, die ihre Hilfe gut brauchen können und stellten innerhalb kürzester Zeit ein Benefiz-Konzert auf die Beine.

Am Freitag, 18. September, fand man noch einen freien Abend im Alten Schlachthof in Dresden. Doch es stellte sich heraus, dass trotz des kurzen Vorlaufs weit mehr Tickets verkauft werden könnten; also verlegte man das Konzert auch noch in das größere Eventwerk im Nordosten der Stadt: mehr Besucher (es sind schließlich rund 3000), mehr Geld für die Sache. An diesem Abend gehen aber nicht nur die Musiker ehrenamtlich ihrer Tätigkeit nach, auch alle anderen, die rund um so ein Konzert als Helfer im Einsatz sind, spenden ihre Arbeitskraft, um die Kosten niedrig zu halten und das Geldgeschenk an die beiden Organisationen hoch.

„Teenager-Liebe“ dient als erste Chorprobe an diesem Abend.

Als im Vorprogramm Vögel die Erde essen auf die Bühne steigen, ist die ehemalige Bekleidungsfabrik bereits gestopft voll. Die halbe Stunde mit dem experimentellen, kantigen, aber kein bisschen schroffen Trio aus Berlin wird mit freundlichen Gesten begleitet. Doch man kann die freudige Erwartung der Hauptband an diesem Abend fast mit den Händen greifen. Beim Lollapalooza war Paul Simons „You Can Call Me Al“ noch die Einlaufmusik der Beatsteaks, in Dresden wartet der Fünfer plus multiinstrumentalem Clown noch drei, vier Minuten länger, weil auf Paul Simon auf ihrem Bespaßungs-Mix „Teenager-Liebe“ von den Ärzten folgt, die Liveversion. Für das hingerissene Auditorium ist dies die erste Chorprobe von sehr vielen an diesem Abend.

Was dieses Konzert in den folgenden zwei Stunden und 40 Minuten so besonders macht und eben auch dazu führt, dass es einfach kein Ende nehmen will, ist der besondere Enthusiasmus und eine große Dankbarkeit auf beiden Seiten der Bühnenkante: Die Menschen im Publikum sind dankbar für diese Geste der Beatsteaks, in einer Zeit, in der Dresden kurzerhand verloren gegeben wird von denen, die das Land in dumpf-fremdenfeindlich und aufgeklärt-weltoffen aufteilen wollen. Dass sie außerhalb jeder Tourneeplanung zu ihnen gefahren kommen und spielen und die unterstützen, die wissen, dass sich der Begriff Menschlichkeit nicht allein vom aufrechten Gang ableiten lässt. Und die Beatsteaks freuen sich über diesen Geist, sich nicht unterkriegen zu lassen, über die schiere Begeisterung der Leute und ganz offensichtlich vor allem auch darüber, noch einmal eine Nachspielzeit (plus Elfmeterschießen) geschenkt zu bekommen vor ihrem Abschied für die nächsten Monate.

Woher nehmen diese Anfang- und Mittvierziger bitte die Kondition?

Dass diese Gruppe sich mit einer begeisternden Mischung aus handwerklicher Routine, hoher Rock-Entertainment-Schule und echter Euphorie in der abgelaufenen Festivalsaison noch einmal auf ein neues Level, von „geile Liveband“ zu „sehr geile Liveband“ quasi, gespielt hat, gilt in diesem Spätsommer längst als Binsenweisheit. Aber woher nehmen die Anfang- und Mittvierziger denn bitte diese Kondition? Bis zur ersten Zugabe arbeiten sich die Herrschaften noch durch ein Programm, das vor allem durch die brandaktuelle Greatest-Hits-Compilation 23 SINGLES abgedeckt ist. Wobei Sänger Arnim Teutoburg-Weiß von Anfang kaum zu bändigen ist. Er streut Gesangsimprovisationen von Madonna- und Pet-Shop-Boy-Hits ein, hat sich offenbar noch fünf, sechs weitere Posen drauf geschafft für Extraapplaus-Dosen und unternimmt den absurden Versuch, selbst auf der Galerie jedem Gast einmal persönlich zuzuzwinkern. Nur an dem stoischen Typen mit dem prächtigen Bart oben links beißt er sich die Zähne aus. Der will nicht springen. Obwohl ihn der verhaltensauffällige Mann mit dem Hut dort vorn quasi dazu nötigt.

Was Publikum und Bandkollegen mit Schlagzeuger Thomas Götz treiben, grenzt an Körperverletzung.

Und was macht die weniger verhaltensauffällige Besetzung der Band an diesem Abend? Sie spielt sich in einen amtlichen Rausch. Serviert aus der Hüfte oder springt in Person von Bassist Torsten Scholz wie ein wild gewordener (und gelegentlich um sich spuckender) Hofhund voll in die Kette/an die Monitorbox. Mutiert als Peter Baumann zu einer breitbeinigen Grinsekatze oder rennt in Gestalt von Bernd Kurtzke, der außer bei seinem qualifizierten Schreianfall bei „Frieda und die Bomben“ sonst eher zurückhaltend agiert, plötzlich übers Podest und einmal über die komplette Bühne. Weil irgendwann ab Zugabe zwei sowieso alles vogelwild wird.

Für Dennis Kern alias der Clown ist das ja kein Problem, der ist jung und kann zwischendurch immer wieder Zigarretten-und-Bier-Pausen einlegen. Aber was das Publikum und seine Bandkollegen an diesem Abend mit Schlagzeuger Thomas Götz treiben, grenzt an Körperverletzung. Nachdem Arnim mit der Drohung „Jetzt nur noch Knaller! … 1, 2, 3, 4! …“ ein Rodeo aus Covers (The Police, The Undertones, The Damned) und hauseigenen Klassikern der frühen, deutlich punkrockigeren, temporeicheren Alben eröffnet hat, ist Thomas endgültig klar, dass sie ihn heute fertig machen wollen. Nein, Balladen sind heute keine mehr zu erwarten.

Der brüllende Arnim springt gleich dreimal mit Anlauf ins Publikum.

Und selbst als mit „If You Leave Me Now“ von Chicago dann doch eine besonders balladige Ballade kommt, vom Band, weil doch endlich mal Schluss sein muss, gibt das Eventwerk keine Ruhe. Die Beatsteaks kehren zum vierten Mal zurück und mit ihnen eines der explosivsten Stücke der 90er-Jahre: „Sabotage“ von den Beastie Boys. Der brüllende Arnim springt gleich dreimal mit Anlauf ins völlig gargekochte Publikum, das erstaunlichweise immer noch die Kraft aufbringt, ihn samt Kappe und Mikrofon wieder bei der Security vor der Bühne abzuliefern. Und am Ende reißen die two drummers Thomas und Dennis sicherheitshalber die Hälfte ihres Instrumentariums ein, damit keiner auf die Idee kommt, dass sich das hier noch irgendwie steigern ließe.

Ein denkwürdiger Abend. Nicht nur wegen dem oben Beschriebenen. Sondern weil die Menschen hier „Refugees welcome“-Chöre anstimmen, ohne dass sie dazu jemand auffordert. Weil rund 50 Refugees tatsächlich gekommen sind und mitfeiern. Weil die Beatsteaks sonst auf all die offensichtlichen Botschaften verzichten; wem sollten sie hier was erzählen? Stattdessen nimmt diese Ausgeburt des Posivitismus mit Namen Arnim einfach mal alle in den Arm: „Dresden ist die schönste Stadt Deutschlands!“, behauptet er. Es scheint, als könnten sie das hier brauchen. Ach so, und ein Rekord ist damit auch gefallen: Die Beatsteaks haben Dresden das längste Konzert ihrer bisherigen Karriere geschenkt. „Fast wie bei Bruce Springsteen!“, ruft Arnim später durch den Backstage-Flur. Ja, aber Springsteen spielt ja nicht so schnell. „Stimmt!“

 

Wie es sonst so mit den Beatsteaks in Dresden war, warum wir sie aber auch noch auf ein Hausdach in Kreuzberg geschleppt haben und mehr als eine Antwort auf die Frage, wie sich eine 20-jährige Rockband tatsächlich kaum älter fühlen kann als ein 20-Jähriger, steht in der November-Ausgabe des Musikexpress (am 15. Oktober am Kiosk). Dem liegt dann auch eine Extra-CD mit Songs der Beatsteaks bei, die die Band exklusiv für uns ausgesucht hat, u.a. eine Liveversion der aktuellen Single „Ticket“!Beatsteaks_Shooting_Himmel_über_Berlin_5

 

Oliver Götz