Die besten US-Rap-Alben der 90er: Biggies selbsterfüllende Prophezeiung auf LIFE AFTER DEATH
The Notorious B.I.G. hinterließ seinen Fans ein abwechslungsreiches und düsteres Doppelalbum – und zementierte seinen Legendenstatus, zu dem sein früher Tod beitrug.
Ein Faible für Geschichten
LIFE AFTER DEATH begann mit einem Herzen, das wieder schlug. Somit knüpfte Biggie an seinen düsteren Abschluss „Suicidal Thoughts“ des Debütalbums READY TO DIE an. In „Suicidal Thoughts“ telefonierte B.I.G. mit Puff Daddy (Bürgerlich: Sean Combs), um ihm zu erklären, dass er Selbstmord begehen will. Big rappte davon, wie ungeliebt er sich fühlte und drückte seine Schuldgefühle für all die Verbrechen aus, die er bereits begangen hatte. Zwar versuchte Puff noch, ihm den Selbstmord auszureden – jedoch ohne Erfolg. Der Song endete mit einem Schuss und Herztönen, die immer schwächer wurden. Nun kehrte Biggie auf dem Intro von LIFE AFTER DEATH also nach seinem scheinbaren Tod wieder zurück ins Leben.
Direkt danach widmete sich The Notorious B.I.G. in „Somebody’s Gotta Die“ dem Storytelling. Der Track handelt von einem Rachemord. Biggie zog die Hörer*innen mit seinen bildhaften Erzählungen in den Bann und beeindruckte zum Schluss mit einer düsteren Wendung. Sein fiktiver Feind hielt im Moment des Attentats dessen junge Tochter im Arm.
„There Jason with his back to me.
Talking to his faculty.
I start to get a funny feeling.
Put the make on in case his niggas start squealin’.
Scream his name out: “Ay yo, playboy!” – squeezed six, nothin’ shorter.
N**** turned around holdin’ his daughter.“
Wallace‘ Leidenschaft, Geschichten zu erzählen, führte er auf „Niggas Bleed“ und „I Got A Story To Tell“ fort. In „Niggas Bleed“ berichtete Biggie von einem Raubüberfall, der schief ging. Auf „I Got A Story To Tell“ überraschte ihn der Partner seiner flüchtigen Bekanntschaft nach einem Techtelmechtel in deren Wohnung.
Wie John Lennon
Doch B.I.G. konnte auch anders. Auf der ersten Nummer-1-Single seiner Karriere „Hypnotize“, welche mit einem treibenden Herb-Alpert-Sample und tiefen Bassfrequenzen daher stolziert, brachte Biggie mit seinem lockeren Flow die Tanzfläche zum Beben. „Hypnotize“ schoss bis auf Platz 1 der Billboard Hot 100. Außerdem gelang es Biggie, als erster Künstler seit John Lennon, posthum eine Nummer-1-Single zu veröffentlichen.
„Mo Money Mo Problems“ war Biggie Smalls‘ zweiter Nummer-1-Hit. Der Track war an Diana Ross‘ Disco-Hymne „I’m Coming Out“ von 1980 angelehnt und stellte einen weiteren triumphalen Partysong dar. Für den Erfolg der Single war auch der Clip von Hype Williams verantwortlich. Im Video, das erst nach Biggies Tod gedreht wurde, ließ der Regisseur Puff Daddy und Ma$e mittels einer, typisch 90er, spektakulär inszenierten Fish-Eye-Optik erstrahlen. Tanzeinlagen, Neonlichter, Schwerelosigkeit, Explosionen in Zeitlupe und breite Siegerlächeln – „Mo Money Mo Problems“ stellte einen Höhepunkt der „Shiny Suit Era“ dar.
Auf der dritten und letzten Single des Albums „Sky’s the Limit“ bekam Wallace Unterstützung von dem R’n’B- und Soul-Quartett 112 aus Atlanta. Mit einem Bobby Caldwell und D-Train Sample im Gepäck schlugen sie versöhnliche Töne an. Das Musikstück handelt vom Aufstieg Biggies und seiner Lebensgeschichte. Von den beschwerlichen Anfängen in Bed–Stuy im Norden Brooklyns hin zum luxuriösen Leben im Penthouse – hoch oben über den Dächern New Yorks.
Biggie, der Perfektionist
B.I.G. entwickelte sich 1997 zunehmend zum Chartstürmer. Doch das Album aufgrund der Fülle an Hitsingles als verwässerten Pop-Abklatsch von READY TO DIE abzutun, wäre falsch. Wallace hatte immer noch knallharte Geschichten von der Straße parat. Allen voran Tracks wie „What`s Beef?“, „Ten Crack Commandments“, „Last Day“ mit The Lox und „Kick in the Door“.
Ein Höhepunkt des Albums war zudem die Zusammenarbeit zwischen Biggie und Bone Thugs-N-Harmony in „Notorious Thugs“. Laut dem damaligen Manager der Crew, Steve Lobel nahmen die Rapper aus Cleveland ihre Parts innerhalb von lediglich 90 Minuten auf. Im Gegensatz dazu ging es Wallace gemütlich an. Gemäß Lobel zog sich Biggie nach der Session erst einmal beeindruckt zurück, um an seinen Parts zu feilen und sich dem Stil von Bone Thugs-N-Harmony mit ihren Doubletime-Parts und Flow-Wechseln anzupassen.
„Dieser Song wurde von Bone in nicht einmal anderthalb Stunden fertiggestellt“, sagte Steve Lobel 2015 im Gespräch mit DJ Mustard. „Sie gingen rein, legten ihre Strophen hin und gingen wieder. Ich blieb und dachte, Big würde seine Strophe vortragen. Er hat seine Strophe nicht gemacht. Ich verließ die Plattenfirma und Big ging. Der Track kam raus und ich dachte: ,Woah, Big hat’s geschafft‘. Ich traf Puff und er sagte: ,Big hat eine Weile gebraucht, um das zu machen. Er hat den Style von Bone Thugs-N-Harmony gemeistert und es wirklich studiert.‘ Bone und Biggie haben den Song gekillt.“
Zeilen für Tupac und Faith Evans
Heraus kam ein absoluter Rap-Klassiker. Das Zusammenspiel zwischen Biggie und Bone Thugs-N-Harmony, auf dem B.I.G. bewies, dass er sich technisch auch mit der Crew aus Cleveland messen konnte, war einmalig. Darüber hinaus enthüllte Biggie seine lyrische Kaltschnäuzigkeit. Mit mehreren Zeilen verwies er unterschwellig auf seinen Beef mit 2Pac und die vermeintliche Affäre seiner Ehefrau Faith Evans mit Shakur. Statt Beef mit Pac und die Trennung von seiner Ehefrau ausführlich und emotional zu behandeln, wischte er die Themen lieber schulterzuckend vom Tisch und widmete sich schleunigst wieder anderen Angelegenheiten.
„Been in this shit since ’92.
Look at all the bullshit I been through.
So-called beef with you-know-who.
Fucked a few female stars or two.“
„Pass that weed, I got to light one.
All them n*****, I got to fight one.
All them hoes, I got to like one.
Our situation is a tight one.
What you gon’ do: fight or run?“