Die neue Blues Explosion
Willis Earl Beal und Gary Clark beleben ein altes Genre. Der eine orientiert sich am Sound der Vergangenheit, der andere entfacht ein Bluesgewitter.
Zuletzt schien es, als würde der Blues im Wachkoma liegen: Ein paar Altstars zelebrieren ihn zwar noch, während am Krankenbett, Pardon, Bühnenrand gemütliche Rotweintrinker über ihre Helden wachen. Neue Impulse entstanden aber schon lange nicht mehr. Doch plötzlich zuckt der Blues wieder, elektrisiert durch die Ankunft zweier Newcomer: Willis Earl Beal aus Chicago und Gary Clark Jr. aus Austin, Texas. Beide sind 28 Jahre alt und beide haben gerade erst begonnen: Beal veröffentlicht im April sein erstes Album Acousmatic Sorcery, von Gary erschien zuletzt „The Bright Lights EP“, ein Album soll im Spätsommer folgen.
Die beiden haben unterschiedliche Herangehensweisen: Beal bedient sich der Schwarz-Weiß-Ästhetik des Alten, transformiert sie aber ins Internet-Zeitalter. Clark Jr. hingegen schnappt sich einfach die verstaubte Form des Blues – und füllt sie mit neuem Leben. Beal sagt von sich, er habe keinen Computer. Statt YouTube-Videos ins Netz zu stellen, legte er CDs mit seiner Telefonnummer in den Bars seiner Stadt aus. „Ruf mich an und ich singe dir ein Lied“, war darauf zu lesen. Wenn er nicht gerade tourt, kann man ihn unter der Nummer immer noch erreichen. Mittlerweile kokettiert er aber mit dieser Bodenständigkeit: „Call me and I will sing you a song“ ist auch in betont ungeübter Handschrift auf seiner Website zu lesen.
Um dieses Flair zu transportieren, rauscht und knistert sein Album wie eine uralte Platte auf einem noch älteren Grammophon. Aber Retro funktioniert immer nur im Kontrast zur Aktualität. So auch Willis‘ Album: Seine Songs klingen, als hätte man die Produktionsweise von Rap auf den archaischen Blues angewandt, als wären kratzige Gesangs- und Gitarrensamples sorgfältig am Computer arrangiert worden. Er ist wie die iPhone-App, die digitale Bilder in zerkratzter Familienalbum-Optik ausspuckt. Wenig überraschend daher, dass Willis mit seinem Lo-Fi-Retro-Sound bei XL Records gelandet ist, dem Label von Tyler, The Creator und M.I.A. Gary Clark Jr. fasst den Blues anders an, ohne dabei zu sehr auf die Vergangenheit zu schielen. Sein Sound ist Bluesgewitter. Er ist jung und man nimmt ihm ab, dass er genau das vorleben könnte, worum es im Blues geht: sich in einer fremden Großstadt verlieren, an einer Bar betrinken, Liebeskummer haben und einen Song darüber schreiben. Wenn er „Ended up with a bottle / Taking shots waiting on tomorrow“ singt, klingt er authentischer als viele seiner älteren Kollegen. Bei Eric Claptons „Crossroads“-Tour 2010 spielte Clark Jr. im Vorprogramm – aber begegnete „Slowhand“ an manchen Abenden schon auf Augenhöhe. Es wirkte so, als hätte Clapton den jungen Jimi Hendrix mit auf Tour genommen. Als „einzig echter Bluesman des 21. Jahrhunderts“ wird er deshalb schon von der amerikanischen Musikpresse gefeiert. Alt ist bei Gary Clark Jr. nur die Idee, der Blues als Genre. Seine Musik aber lebt nicht vom Spiel mit der Vergangenheit, sondern knüpft einfach dort an, wo der Blues der alten Männer stehen geblieben ist – und macht unverkrampft weiter. Ganz so, wie es sich für einen Junior gehört. Jan Vollmer