„Die Presse ist der beste Ort zum Lügen“
Jedes dieser Bilder erzählt eine Geschichte. Nur welche? Wir haben nachgefragt. Heute: Inga Humpe und Tommi Eckart von 2raumwohnung
Vor allem wegen ihres Undergroundcharmes sind die britischen Technopioniere von The KLF für beide ein Vorbild.
Inga: Ich war in London am Ende der 80er Jahre, dort habe ich sie kennen gelernt. Sie sind für mich Vorreiter in Sachen Popmusik, die widerspenstig ist, provozierend und alles andere als Mainstream oder stromlinienförmig. Ich habe mich immer wieder daran orientiert, das tue ich heute noch. Ich hatte das Glück, bei einer Aufnahme dabei sein zu können, mit The Orb zusammen, irgendwo auf dem Land in Wales, alle haben LSD genommen und die Schafe angeguckt. Das war ein prägendes Erlebnis: Popmusik muss nicht immer brav sein. Ich konnte damals miterleben, wie in England die ersten Raves stattgefunden haben. Man ist einfach mit einem Laster losgefahren, hat irgendwo die Klappe aufgemacht und angefangen zu spielen. Diese Aktionen haben gezeigt, welche Power Popmusik haben kann, dass nicht alles angepasst sein muss.
Als Dank für die Zusammenarbeit mit ihnen (und den gemeinsamen Hit „Codo“) widmet die österreichische Band DÖF (Deutsch-Österreichisches Feingefühl) den Humpe-Schwestern (kleines Foto: Inga, Annette, v. l.) einen eigenen Cocktail: Grapefruitsaft, Mineralwasser, Campari und Eis – der Humpe-Cocktail.
Inga: Das war eine Veranstaltung, auf der John Malkovich seine Kollektion „Technobohemian“ vorstellte. Den Namen fanden wie so gut, darum sind wir dort hingegangen.
Tommi: Woher kommt das Wort Bohème eigentlich ursprünglich?
Inga: Das ist ein alter französischer Begriff, la bohème. Das sind eigentlich die armen, kranken Künstler, das Gegenteil von Bourgeoisie.
Es geht mir eigentlich um den Cocktail und DÖF.
Inga: Ja, was war da eigentlich drin? Campari. Das war der Alkohol der 80er. Ich habe nur das getrunken.
Tommi Da war man nach einem Glas auch schon dicht genug?
Inga: Die hatten ein Lied, das hieß „Staubig“. Ich glaube, das war eines der ersten Comedy-Lieder überhaupt, Ende der 70er, Anfang der 80er. Ein anderes hieß „Denn keiner, nur einer hat: So sinnliche Lippen wie der Jassir Arafat“. Darüber sind wir in Kontakt gekommen. Es war ein Witzprojekt. Aber ich würde so etwas nicht noch mal machen, diese Art von Witz ist ziemlich anstrengend.
Mit der Band Neonbabies feiert Inga Humpe erste Erfolge, fernab vom 80er-NDW-Mainstream.
Inga: Damals ist für mich die Punk-Bewegung zu Ende gegangen. Deswegen sehen wir auch alle so brav aus. Es ging uns darum, das Gegenteil von dem zu machen, was man vorher gemacht hat, Kill Your Darling, sozusagen. Auf den ersten Blick sehen wir ziemlich harmlos aus, so hieß ja auch die Platte. Es war als Provokation gedacht. Das hat allerdings niemand so richtig verstanden.
In der Rave-Szene der 80er wie auch beim Techno-Hype der 90er – beides ging nicht eben spurlos an Inga und Tommi vorbei – spielen Drogen eine wichtige Rolle.
Inga: Drogen hatten einen entschiedenen Einfluss auf mich. Ich konnte mir das Verdrehte des Punk, das Beleidigtsein mit Ecstasy abgewöhnen. Mir ging es lange gut damit. Doch irgendwann wurde es langweilig. Der Rausch war immer derselbe. Man braucht ein sehr gutes Selbstbewusstsein, um irgendwann festzustellen: Es bringt mir nichts. Man muss es einmal übertreiben und dann aufhören.
Tommi: Man neigt ja auch noch im Alter dazu, zu übertreiben. Jede Wohnungseinweihung führt zu einem Kater. Man findet es lustig, sich mit einer dicken Birne kichernd aus dem Bett zu wälzen und alles umzuschmeißen. Aber auch das ändert sich irgendwann. Man freut sich dann, wenn man nach einer Party am nächsten Tag topfit ist.
Das erste Projekt unter dem Namen 2raumwohnung: Für einen Werbespot der DDR-Zigarettenmarke „Cabinet“ schrieb die Band den Song „Wir trafen uns in einem Garten“.
Tommi: Eine lustige Geschichte: In Westberlin wurde der Spot nicht gezeigt. Es kannte praktisch nur die halbe Stadt diesen Spot.
Inga: Das war die erste Ausgrenzung der ehemaligen DDR-Bürger im wiedervereinigten Deutschland. Und auch, wenn es eigentlich nur eine doofe Zigarette ist, empfanden wir es als eine Art Robin-Hood-Tat, den Zigaretten aus dem Osten eine Chance zu geben. Tommi kam dann auf die glorreiche Idee, durch den Bandnamen auch gleichzeitig mit den Medien zu spielen. Er sollte klingen, als wären wir eine Ostband. Und dieser Name war eindeutig: Im Westen sagt man Zweizimmerwohnung, im Osten heißt es Zweiraumwohnung.
Gorilla Aktiv war eines von Tommi Eckarts Projekten in den 80ern, das vor allem wegen seines letzten Auftritt von sich Reden machte.
Tommi: Es gab vorher schon andere Bands: BCX, eine Gitarrenband. Mit denen hatte ich aber nur zwei Auftritte. Dann spielte ich noch bei den Brigaden der Sehnsucht und den Alternativen Arschlöchern. Dann kam Gorilla Aktiv. Die gab es relativ lange, wir haben auch in Holland und Dänemark gespielt.
Inga: Hast du das Cover gemacht?
Tommi: Nee, das hat Ian gemacht.
Inga: Könnte aber von dir sein.
Tommi: Legendär war unser letzter Auftritt im Tanzlokal „Größenwahn“, einer Wavedisko in München. Wir haben Tonabnehmer an Boote angeschlossen uns darauf Percussion gespielt. Wir sind als Seemänner verkleidet aufgetreten und haben uns in unserer Glaubwürdigkeit als Seeleute so ernst genommen, dass wir uns eigens mit Wasser übergossen haben.
Im Mai 2010 spielte die Band auf der Weltausstellung in Shanghai.
Tommi: Jede Nation durfte sich in einem kulturellen Rahmen vorstellen. Am deutschen Tag war (der damalige) Bundespräsident Horst Köhler anwesend. Wir haben später überlegt, ob wir ihn dazu bewegt haben, das Handtuch zu werfen (lacht). Vielleicht wollte er auch eine Band gründen.
Inga: Wir haben früher schon mal in China gespielt, vor drei Jahren. Das war ein super Auftritt und anscheinend hat sich das rumgesprochen, so dass man uns noch mal eingeladen hat.
Tommi: Es gibt bestimmte Gremien, die darüber entscheiden, wer bei diesen offiziellen Anlässen auftreten soll. Dort wird gecheckt, wie man das Land nach außen repräsentiert. Auch wenn es komisch klingt, aber man fühlt sich geehrt, wenn man für ein solches Programm ausgewählt wird.
In einem Musikexpress-Interview im März 2002 beschreibt Inga Humpe den peinlichsten Moment ihres Lebens: Auf einer Party macht sie aus Verzweiflung – die Toilette ist besetzt – in eine Einkaufstüte.
Inga: Das habe ich erfunden. Ich wollte eine gute Geschichte erzählen. Es hat mir jemand diese Geschichte erzählt und ich habe sie einfach zu meiner gemacht. Ich finde sowieso: Die Presse ist der beste Ort, um wild zu lügen.