Die volle Härte
Papa Roach sind die Aufsteiger des Jahres 2000. Den Amis haben sie bereits eingeheizt. Jetzt rocken sie Deutschland.
„Haltet eure Hörner in die Luft“, brüllt Coby Dick. Prompt strecken sich hunderte Hände mit gestreckten Zeige- und kleinen iFingern empor, der Decke des New Yorker Irvine Plaza entgegen. Die dicht gedrängte Anhängerschar in dem mittelgroßen Club lässt an der alten Rock’n’Roll-Weisheit keinen Zweifel: Der Teufel hat die beste Musik. Ein paar Sekunden genießt der temperamentvolle Mikro-Maniac den Anblick, dann rocken Papa Roach weiter wie die Hölle.
P-Roach, wie die Gruppe von Insidern genannt wird, sind die Aufsteiger des letzten Jahres. Ihr Album „Infest“ sackte in Amerika Doppel-Platin ein, die Single „Last Resort“ eroberte Platz vier der nicht gerade rockfreundlichen Single-Charts in Deutschland. Ihr Rezept für das Erreichen einer derart großen Hörerschaft ist die Kombination aus den drei Faktoren Härte, Melodie und leidenschaftliche Texte. Die Durchschlagskraft von Papa Roach ähnelt der von Rage Against The Machine, ihre Harmonien haben bisweilen etwas von Nirvana.
Die Texte schließlich stammen mitten aus dem Leben von Sänger Coby Dick. „‚Last Resort‘ beispielsweise ist ein Titel über einen meiner besten Freunde“, berichtet Coby am folgenden Tag beim Interview. „Er durchlebte eine Situation, in der er über Selbstmord nachdachte und ihn sogar versuchte. Er war total am Ende, hat die Sache aber durchgestanden und am Ende überlebt.“ Wer den Vierer auf der Bühne erlebt, ist von der Routine des Teams aus Vaccaville überrascht. Papa Roach haben anderen aufstrebenden Bands gegenüber einen gewaltigen Vorteil: Es gibt sie schon seit sieben Jahren. „Infest“ ist bereits das vierte Rundstück der alten Hasen. In dieser Zeit haben sie ihren dynamisch federnden Stil entwickelt, der die Anhänger massenhaft zum Hüpfen zwingt. Der mitreißende Croove von Basser Tobin Esperance und Trommler Dave Buckner sowie die packende Rhythmus- oder Solo-Gitarre von Jerry Horton sind der Antrieb für diesen quicklebendigen Cocktail aus Rock, HipHop, Punk und Hardcore.
Frontmann Coby Dick trifft nicht nur den richtigen Ton in der Ansprache der P-Roach-Sympathisanten, er hat auch keine Scheu, ihnen Dinge mitzuteilen, die in Zeiten von Materialismus und Gier nicht so recht angesagt sind. In dem Song“Between Angels And Insects“ etwa singt er aus vollem Herzen gegen das Geld. „Es geht darum, wie man ohne Geld und Besitz glücklich wird“, erläutert er. Meine Familie war arm, aber ich hatte immer Freunde und war ein glückliches Kind.“ Seine Eltern waren Hippies, die in einem indianischen Tipi lebten. „Ich war vier, als mein Vater uns verließ. Meine Mutter kümmerte sich um mich. Es dauerte noch sechs Jahre, bis wir unseren ersten Fernseher hatten. Ich war trotzdem happy. Daher weiß ich: Reichtum ist nicht das endgültige Ziel im Leben.“ Aber in den USA dreht sich doch alles ausschließlich um den Dollar, oder nicht? „Das sind die einen – und wir sind wir. Wir denken anders. Wir lieben unsere Fans, unsere Familie und Freunde. Und wir stehen nun mal auf die Energie, die wir in die Menge rauspumpen.“
Eine weitere gute Gelegenheit dazu bot sich für die rockenden Schaben bei der „Anger Management-Tour“ im letzten Jahr zusammen mit den Megastars Limp Bizkit und Eminem. Unterwegs führte Gitarrist Jerry jeden Tag penibel Buch (einzusehen im Internet). Die Show in Rosemont, Illinois beispielsweise erwies sich als neue Erfahrung für den Saiten-Haudegen: Obwohl er acht fette Lautsprecherboxen hinter sich hatte, war die Menge so laut, dass er seine Klampfe nicht hören konnte. Und in Denver hatten sie das letzte Mal in einem Club namens „Lion’s Liar“ gespielt, vor genau zehn Leuten, von denen ganze zwei wegen Papa Roach gekommen waren. Diesmal spielten sie im Pepsidome, vor 20.000 Fans…
Zurück ins Irvine Plaza von New York. Angesteckt von der adrenalin-schwangeren Athmosphäre nimmt Coby Dick Anlauf und springt einen atemberaubenden Salto ins Publikum, das alle Hände voll zu tun hat, den fliegenden Kalifornier aufzufangen. „Ich bin ein aufgedrehter Typ“, sagt der stets schwarzgekleidete Sänger später, „deshalb sind solche Aktionen für mich ganz normal.“ Und wie erklärt sich Coby die enormen Reaktionen auf seine Texte in einer Zeit, in der vorwiegend seichte Lyrik die Popmusik dominiert? „Viele Menschen haben die gleichen Situationen erlebt, über die ich schreibe. Das bindet uns noch enger an sie, als wenn wir nur Musik hätten. Wir machen eben emotionale Musik mit emotionalen Texten.“ www.paparoach.com