Die Welt ist schön
... und das wollen die Foo Fighters in ihrer Musik ausdrücken. Denn ihre Welt wird heute von innigen Einfache-Leute-Wünschen.den Beatles und ihrem Familienleben bestimmt - Söhne inklusive, die fragen: "Papa, wollen wir Rock'n'Roll spielen?"
Von den Panoramafenstern im obersten Stockwerks des Sofitel Hotels breiten sich Münchens Dächer aus. Der Himmel ist so frisch gesaugt und blank gewischt wie das makellose Hotel-Zimmer. Kontrastreicher Auftritt: ein zerknitterter Taylor Hawkins, Schlagzeuger der Foo Fighters. Dieser Vormittag ist nicht sein Freund. Er hat die letzte Nacht kaum geschlafen, lag wach mit seinem iPod im Bett. Taylor gießt sich einen Tee auf. Man spürt die Schicksalsergebenheit, mit der er sich dem neuen Interviewtag stellt. Viel lieber würde er durch die Stadt ziehen, sagt er. Ihn interessiere die musikalische Münchner Vergangenheit der 70er und 80er. „Gibt es das Sugar Shack noch?“ „Nein.“ Achselzuckendes Bedauern.
Erscheinen Nate Mendel: wache Augen, bleicher Teint; auf den ersten Blick der Typ ruhiger Bassist, der nicht freiwillig das Wort ergreift, wenn der übermüdet-aufgezogene Taylor sich warmgeredet hat. Das passt ja: Schnell sind wir uns einig, dass das neue Album ECHOES, SILENCE, PATIENCE AND grace eine Verbindung eben genau zwischen den Polen Rock und Ruhe sucht.
Bei IN YOUR HONOUR waren diese beiden Seiten noch auf zwei Platten verteilt. „Statt schwarz und weiß ist es jetzt grau. Mir gefallt das besser. Wir haben zwar hart gearbeitet, aber wir drehten uns nicht im Kreis, wie schon so oft. Früher nahmen wir eine Platte zweimal auf, waren uns nicht sicher. Wir wollten im mer alles richtig machen. Gil Norton (Produzent des Albums – Anm. d. Red.) hatte jedoch seine eigene feste Vorstellung, wie die Dinge laufen sollten“, erzählt Taylor, während er rauchend versucht, sich auf der Couch in eine möglichst stabile Lage zu winden.
Zum ersten Mal saß Dave Grohl gar nicht am Mischpult. Leicht, lässt Taylor durchblicken, sei ihm das nicht gefallen: „Nachdem wir Gil engagiert hatten, war er zum ersten Mal nicht mehr so involviert in die Produktion. Als er dann zum ersten Mal reinkam und hörte, was Nate da gerade machte, war er etwas überrascht: „Mein Gott, was ist das?! Das ist zu viel Bass, das klingt ja wie ein scheiß Basssolo! Was geht hier vor?!‘ Und Gil sagte: ‚Leb damit!'“
Riecht nach Kompetenzproblemen. Taylor bat Dave zum Einzelgespräch in einen Nebenraum: „Du kannst entweder die ganze Zeit hier sein, oder du lässt Gil einfach sein Ding machen.“ Nein, Dave sei bestimmt kein Kontrollfreak, betont Taylor: „Wenn du Songwriter bist, willst du all das hören, was du dir beim Schreiben unter dem Stück vorgestellt hast. Das ist vollkommen normal.“
Dave Grohl Wird mir in ein paar Minuten, nach dem Gespräch mit Nate und Taylor, im Nebenzimmer begegnen. Ein netter Bandpapa mit wieder langen Haaren und wucherndem Vollbart, der aufspringt und Getränke anbietet. Nach dem oben beschriebenen Meinungsgerangel zu Beginn der Albumproduktion ist auch er inzwischen mit Gil Nortons Arbeit hochzufrieden: „Ich sagte zu ihm, ich will natürlich klingen, gut und kraftvoll, nicht wie ein Computer. Wir haben uns bemüht, Dinge zu vermeiden, die zu perfekt oder mechanisch gewesen wären.“
Und die Sache mit dem Basssound scheint offenbar ein richtig kleiner Kunstgriff Nortons gewesen zu sein: Drummer Taylor begeistert sich: „Wenn du einen Song wie ‚Cheer Up Boys‘ anhörst: Der Bass ist so bewegend, so großartig, so omnipräsent. Ein wenig wie McCartney.“ Angesprochen auf die McCartney-Assoziation sagt Dave tatsächlich: „Wir werden oft mit den Beatles verglichen.“ Kaum ausgesprochen, klingt ihm dieser Satz aber dann doch zu großspurig: „Glaub mir, das ist heiliger Boden, du willst nicht mal dieses Wort in den Mund nehmen. Aber als ich meine erste Gitarre bekam, kaufte mir meine Mutter dieses dicke Buch, ‚The Complete Beatles‘, mit Akkorden zu allen Songs. Ich war elf.“ Ohne Notenkenntnis studierte Dave die Akkordtabellen. Jeden Tag, erzählt er, spielte er sich durch die Stücke und hörte die Alben der Beatles. Es wäre ja ein Wunder, wenn da nicht auch beim heutigen Songwriter Dave Grohl so einiges hängen geblieben wäre.
Dass seine eigene Musik Menschen bewegen kann, vermag nach all der Zeit in Dave immer noch etwas auszulösen. Am 25. April vergangenen Jahres stürzte im australischen Beaconsfield eine Mine ein. Zwei Bergleute konnten erst nach zwei Wochen befreit werden. „Einer der Bergarbeiter bat darum, ihm einen iPod mit unserer Musik drauf runterzulassen. Man mailte mich an, ob ich davon gehört hätte. Das hat mich echt berührt – diese Vorstellung, dass etwas, was du gemacht hast, jemand anderem helfen kann, so etwas zu überleben.“
Vor einer Show in Sydney wurde Dave zugetragen, dass einer der Bergmänner am nächsten Tag zum Konzert kommen wolle. Noch im Hotelzimmer schrieb er daraufhin das Instrumental „The Ballad Of The Beaconsfield Miners“: „Ich wollte ihm etwas zurückgeben, was er mir gegeben hatte. Und ich wollte das Gefühl haben, dass ich etwas Gutes mit meinem Leben gemacht habe.“
Ein guter Wunsch, ein ehrlicher Einfache-Leute-Wunsch. Überhaupt erweckt keiner der vier den Eindruck, das Leben als Popmusiker habe ihn zum Star deformiert. Auch Taylors Party-und-Drogen-Zeit liegt hinter ihm, sagt er. Das Bild, das er von sich und der Band zeichnet, ist unglamourös bis zur Banalität: „Wir führen ein normales, geregeltes Leben wie du. Wir leben mit unseren Familien, bringen den Müll raus, gehen zum Lebensmittelladen. Ich wohne am Rand von LA. Ich bin mit meinen Nachbarn befreundet, gehe mit dem Hund spazieren, esse beim Mexikaner die Straße runter.“
Nate Mendel, einst Student der Geschichte und des Journalismus, erfüllt ja ohnehin das Klischee vom stillen Bassisten. Er ist ein Beobachter. Während Taylor plaudert und plaudert, studiert er die Szenerie. Taylor immerhin ahnt, dass der Nate hinter dem Bassistenklischee ein ganz anderer sein könnte: „Er wollte Politik-Journalist werden und die Haie dieser Welt interviewen.“
Doch Nate hat noch ganz andere Talente. Vor zwei Jahren spielte er in dem Independent-Film „Our Burden Is Light“ mit. „Nur eine kleine Rolle in einem kleinen Film“, schränkt er sofort ein. Doch schon als Kind habe er gerne geschauspielert, gibt erzu und verblüfft damit Taylor: „Das wusste ich gar nicht. Verrückt, Nate ist die am wenigsten extrovertierte Persönlichkeit unter uns. Als wir aber mal ein Video drehten, wurde Nate gebeten, ein bisschen zu schauspielern. Dave und ich sahen uns an: ‚Der macht das tatsächlich gut!'“
So einiges an Foo-Fighters-Rock, ein paar Gastspiele hier und da, ein wenig Filmerei: Hinter der Showfassade blieb in den letzten Jahren genügend Zeit für Heim, Herd, Familie. Dave redet – wie fast jeder junger Vater – gerne über seine Tochter, ein gutes Jahr alt: „Bevor das Kind kam, sagte jeder: ‚Oh Mann, wenn du ein Baby hast, wirst du nie mehr schlafen!‘ Ich erinnere mich, dass ich dachte: ‚Ich habe doch eh nie geschlafen. Das ist keine große Sache.“ Die „große Sache“ begann ihm allerdings nach der Geburt zu dämmern: „Du denkst über Dinge nach, die du dir vorher nicht vorstellen konntest: über Generationen, das Leben, den Tod, Liebe, Schmerz, Mitleid, Einfühlungsvermögen.“
Dave Grohl reiht auch gerne große Begriffe aneinander, um sich und seine Kunst zu beschreiben. Eine typische Sentenz geht so: „Wenn du über Leben, Tod, den Raum oder das Beten schreibst, hat das nicht notwendigerweise etwas mit der konventionellen Vorstellung von Religion zu tun. Aber wenn du über Liebe, Familie, Heimat oder allgemein Schönheit schreibst, siehst du es dir hinterher manchmal an und denkst: Das hört sich wie ein Gebet an.“ Da sitzt ein glücklicher Mann, der uns mitteilen möchte, dass das Leben schön sein kann.
Platz zwei der am wenigsten extrovertierten Persönlichkeiten in der Band dürfte Gitarrist Chris Shiflett belegen. Während Dave wie ein Schüler rauchend auf seinem Stuhl kippelt, sitzt er, die Hände gefaltet, vorgebeugt auf der Sofakante, schaut interessiert, lächelt, schweigt. Kein Wort zur neuen CD. Erst in dem Moment, in dem es privat wird, fängt er zu erzählen an. Nein, Schlaflieder singe er nicht am Kinderbett, auch wenn seine Kinder gerne Musik hören. Generationskonflikt inklusive. Allerdings ist das ein ziemlich ungewöhnlicher Generationskonflikt: „Mein Sohn liebt die Foo Fighters! Das ist süß, doch manchmal macht es mich wahnsinnig. Er hört uns die ganze Zeit.“
Der Vater griff zu ungewöhnlichen Mitteln. Jetzt hat er Love Gun von Kiss entdeckt. Das habe ich ihm untergeschoben.“ Dave muss so lachen, dass sein Kippelstuhl gefährlich wackelt. Seine Tochter habe eben angefangen, sich zur Musik zu bewegen. Dave weiß, sie liegt damit genau im „Entwicklungsplan“: Der Papa hat einen E-Mail-Babyratgeber abonniert. Andere Söhne wollen mit dem Papa Eisenbahn spielen, bei Chris zu Hause streckt der Sohn den Kopf durch die Tür und quiekt: „Papa, hören wir uns Rock’n Roll an?!“ Dann greift er zu seinem Plastikschwert, das ist seine Gitarre, und hüft durch die Wohnung. Es muss ein eigenartiger Moment sein, wenn Chris Shiflett leise die Tür zuzieht und dahinter zum Luftgitarren-Foo-Fighter wird. www.foofighters.com