Dockville Festival


Das Spiel mit den Gegensätzen gelingt dem Indie-Festival auf Europas größter Flussinsel, dem Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg, auch in seiner vierten Runde. Bericht über einen Ort, wo Bühnen Vorschot, Horn und Spinnaker heißen.

Wir wären dann wieder da“, läutet Judith Holofernes den ersten Herzschlag-Moment beim Dockville ein. Mainstream? Ach, scheißegal, komm in meine Arme! „Denkmal“, „Nur ein Wort“ und auch ein paar neue Songs aus dem Neuling brING MICH NACH HAUSE spielen die mittlerweile zur Familienband angewachsenen Helden – Banjo und Quetschkommode inklusive. Großartig. Enttäuschend dagegen das Indie-Angebot: Egal ob die an mangelndem Charisma leidenden Cats On Fire oder die ihrer Langweiligkeit mit Schlipsen Ausdruck verleihenden Friska Viljor.

Grandios allerdings die zwischen Melancholie und Raserei balancierende Sophie Hunger, die Spieldosen-Elektronikerin Gustav und das Londoner Geschwister-Trio Kitty, Daisy & Lewis, deren Rockabilly-Blues so gar nicht zu den urbanen Hipstern passen will, die mal eben vom Szeneviertel hergerennradelt sind.

Zu denen passen Bonaparte besser, die wie üblich ihre wildgewordene Karnevalsau durchs Dorf treiben. Mit Tiermasken, gigantischem Stoffpenis und anderen Fetisch-Accessoires wälzt sich das Berliner Kollektiv in seiner inszenierten Ekstase. Was neulich noch Kult war, ist heute auch nicht mehr als halt ein nackter Arsch. Da können auch Songs wie „Anti Anti“ und „Too Much“ das Gähnen außerhalb der ersten zehn Reihen nicht aufhalten. Erholt werden kann sich von den Kostüm-Maniacs im spitzzackigen Holzwurmgebilde, in dem das Neutronics-DJ-Team ein vierstündiges Set gibt, das vor allem Menschen über 30 auf den Plan ruft. Neutronics, das sind Neu!-Begründer Michael Rother, Sonic Youths Steve Shelley und der Hamburger Multimediakünstler Thomas „Tobec“ Beckmann, deren Performance alles andere als neu ist. Statt der erwarteten innovativen Soundbastelei dudelt ein unambitionierter Mix aus bekannten Jazz-, Funk-, und Soulnummern über die Spanplattenkulisse.

Am frühen Sonntagabend kramen dann Slime in der Musikgeschichte. Gut, dass einem der Festivalkodex Biergenuss auch schon vor 19 Uhr erlaubt. Denn ohne ist der Politpunk von Songs wie „Wir wollen keine Bullenschweine“ und „Schweineherbst“ nur der halbe Spaß. Eine Freundin erzählt, mit 14 habe sie sich vor Slime gefürchtet. Das ist vorbei, heute spielt die Band um Sänger Dirk „Dicken“ Jora sogar beim Hippiefestival „Umsonst & Draußen“, und auch hier in Hamburg stehen Blumenkinder zwischen Irokesen- und Antifapulliträgern vor der Bühne.

Das Dockville beweist erneut, dass es ein Meister im Spiel mit Gegensätzen ist. Rund 20.000 Besucher werden Zeuge. Und der Regen kommt immerhin erst ganz zum Schluss, bei Headliner Jan Delay. Der will das wilde Wetter dann „einfach wegschmusen“. Doch der Regen behält seine Würde, verbittet sich solche Offerten und weist den Rapper stürmisch zurück.

msdockville.de