„Dunkirk“-Kritik: Bitte keine Fragen stellen!


Eine Regielegende hat einen unfassbar packenden „Hirn aus, Action ab“-Film gedreht – dass man sowas mal über Christopher Nolan schreiben würde.

Ist „Dunkirk“ ein Film mit einem besonders hervorstechenden Score von Hans Zimmer? Oder etwa ein wuchtiger Score von Hans Zimmer, um den Christopher Nolan auf Biegen und Brechen einen Film gebaut hat? Ganz sicher kann man sich bei der erneuten Zusammenarbeit von Regisseur und Komponist nicht sein. Denn die Musik, die Sounddetails, die schiere Lautstärke sind der eigentliche Star in Nolans Weltkriegsdrama.

Zum Start von „Dunkirk“: Originalbilder von der Schlacht von Dünkirchen
Am Donnerstag startet „Dunkirk“ in den deutschen Kinos. Und schon vor Kinostart steht quasi fest, dass Nolan ein Meisterwerk geschaffen hat, das auch bei der kommenden Oscarverleihung eine Rolle spielen wird. US-Kritiker flippen förmlich aus, ein britischer Veteran hielt bereits eine Laudatio als Gütesiegel. In Deutschland schließt man sich brav an und bemängelt nicht einmal, dass der Verleih dem heimischen Publikum nicht einmal zutraut, den Film unter eingedeutschtem Titel „Dünkirchen“ interessant zu finden. Dafür kann zwar Christopher Nolan nichts, aber vorauszusetzen, dass der nach Spektakel klingende englische Name der nordfranzösischen Stadt Dunkerque mehr Zuschauer ins Kino lockt als der in deutschen Geschichtsbüchern und Karten gebrauchte deutsche Name Dünkirchen, ist schon dezent beleidigend. Die Deutschen, laut Warner Bros. ein Volk der Geschichtsbanausen.

Welcher Deutsche sollte sich schon für Dünkirchen interessieren?

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Immerhin war die Schlacht von Dünkirchen einer der wichtigsten Schicksalspunkte im Zweiten Weltkrieg. Mehr als 300.000 britische und französische Soldaten waren von den deutschen Streitkräften eingekesselt und mussten vor dem sicheren Tod gerettet werden. Und mitunter auch von Zivilschiffen, welche die Soldaten über den Kanal zurück nach England brachten. Wer mehr über die Schlacht sowie die Operation Dynamo im Jahr 1940 erfahren möchte, der geht bitte zu Google und nicht ins Kino. Denn Christopher Nolan hat kein wirkliches Interesse an Geschichtsunterricht.

Die Zehntausenden Toten, die Fehlplanung vor der Evakuierung, der logistische Aufwand der Rückholaktion: „Dunkirk“ lässt die Dimensionen der Operation Dynamo nur erahnen – um es wohlwollend auszudrücken. Gemein gesagt: Christopher Nolan ist mehr an der technischen Perfektion seines Films interessiert als an den historischen Hintergründen.

Tom Hardy in „Dunkirk“

Einen Film über das Überleben wollte er drehen, keinen Kriegsfilm. So begründet Nolan seinen Ansatz, sich nur auf wenige Soldaten zu konzentrieren, die der Zuschauer zu Land, zur See und in der Luft verfolgt. Die Hintergründe (und Namen) der Männer sind egal, es geht nur ums Heimkommen. „Dunkirk“ zeigt beeindruckend, wie gleich und anonym die Soldaten aussehen, wenn sie in Massen auf Boote drängen oder darin ertrinken. Andererseits fehlen in den Szenen, in denen Hans Zimmers Soundtrack für einige Minuten nicht das Adrenalin der Zuschauer hochkochen lässt, die Anknüpfungspunkte an die wenigen Soldaten, deren Gesichter man im Wasser noch auseinanderhalten kann.

Perfekte Bilder als Nebelkerzen

Ja, Nolan hat ein Meisterwerk erschaffen. Aber eben „nur“ ein rein technisches. In IMAX und 70 mm gedreht, mit echten Flugzeugen, echter Gischt, echten Statisten. Mit diesem teils schmerzhaft direkten Sound und eben Hans Zimmers Score, der wie eine tickende Zeitbombe unter dem Film liegt. Nur eben in der erzählerischen Ebene kann „Dunkirk“ nicht mit seinen Bildern mithalten – und macht sie damit zu einer Nebelkerze.

Am Strand

In einer Art Zeitspielerei wie Nolan sie bereits in „Inception“ angewendet hat, folgt er Tom Hardy für eine Stunde in der Luft, jungen Soldaten für eine Woche am Strand und Mark Rylance als zivilem Kapitän für einen Tag. Irgendwann treffen sich alle diese Parteien, ein großer Spielberg-Moment der Hoffnung entsteht. Lange muss man auf den nicht warten, denn „Dunkirk“ ist mit 107 Minuten ein ungewöhnlich kurzer Film.

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Dennoch fühlt er sich an wie eine Tour de Force. Gewollt durch hektische Bilder und die akustischen Peitschenhiebe Hans Zimmers, der sich in weniger als zwei Stunden gleich mehrfach zum eigentlichen Star krönt. Ungewollt durch die Fragen, die der Film aufwirft, aber nicht beantwortet. Warum sind eigentlich nur zwei britische Flieger in der Luft? Wo genau stehen die Nazis? Und wie sind die Alliierten eigentlich in diese Falle geraten? „Dunkirk“ bedeutet entweder Hausaufgaben oder Vorbereitung. Die spannendste Erkenntnis im Film selbst: Die Briten waren ziemlich egoistisch, sobald Franzosen ebenfalls auf die rettenden Boote wollten.

Einige Minuten mehr Exposition zu Beginn des Films würden helfen, „Dunkirk“ besser einzuordnen. Oder setzt Nolan voraus, dass ein 14 Jahre alter Amerikaner die Details der Schlacht von Dünkirchen kennt? Natürlich nicht. Nolan hat sich mit „Dunkirk“ einen Lebenstraum erfüllt, die Strecke der Operation Dynamo ist er mit seiner Frau schon mehrfach selbst abgefahren. Für alle, die sich noch nicht länger mit der damals größten Evakuierung aller Zeiten beschäftigt haben, hat er einen unfassbar packenden „Hirn aus, Action ab“-Film gedreht – dass man sowas mal über Nolan schreiben würde.

Courtesy of Warner bRos. Picture
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