Felicitas, die bildende Künstlerin


Fast alle Bildenden Kunstler interessieren sich für Musik. Wenige Musiker interessieren sich für die Bildenden Künste. Interessieren sich nicht überhaupt wenige Leute für sie? Bildende Kunst – steht in meinem Volkslexikon – ist die zusammenfassende Bezeichnung für Bildhauerkunst, Malerei, Graphik (und Kunsthandwerk). Von Eisenbahnern z.B. höre und lese ich mehr als z.B. von Malern. Sind Eisenbahner wichtiger als Maler? Sie sind sicherlich nicht unwichtiger. Vielleicht sollten die Eisenbahner den Malern mal verraten, wer für sie die Werbetrommel rührt. Die Bildenden Künste entwickeln sich unaufhörlich weiter, ohne den grössten Teil der Menschen davon nachdrücklich zu informieren. So weit, bis sie nur noch dem kleinsten Teil der Menschen etwas bedeuten. Felicitas ist die Freundin eines Freundes von mir. Da sie bildhauert, malt, graphikt (und kunsthandwerkt), nehme ich an, dass sie eine Bildende Künstlerin ist. Sie hat also einen Beruf erwählt, der für viele ihrer Berufsgenossen bedeutet, ein Aussenseiter zu sein. Feli macht auf mich nicht den Eindruck, eine Aussenseiterin sein zu wollen. Mein Bruder (18 Jahr, braunes Haar) hat sie photographiert, und ich habe ihr einige Fragen gestellt, um das zu verdeutlichen. Ich will Euch damit nicht in die Gallerien und Kunst-Museen treiben; nur meine ich, dass in einer Musik-Zeitschrift, in der für Coca-Cola und Motorräder geworben wird, auch mal etwas darüber zu lesen sein kann. Frage: Name, Alter? Antwort: Felicitas Sommer, 24 Jahre alt. F: Wie nennst Du Deine berufliche Tätigkeit oder, falls Du sie nicht von der sogenannten Freizeit trennst, Lebensweise? A: Eigentlich habe ich mir noch nie Gedanken darüber gemacht, wie man meine Lebensweise bezeichnen könnte. Sie ist für mich keine Frage der Formulierung.

F: Was tust Du? A: Ich beschäftige mich mit Themen, die mich interessieren, und versuche, meine Interessen, Gedanken und Vermutungen durch Darstellungsformen (Zeichnung, Objekt, Handlung zu konkretisieren und mitzuteilen. Ich sehe keine Bruch zwischen Leben und Tod und versuche, dieses Thema in meiner Arbeit auszubauen. Diese Thematik ist für mich ein wichtiger Pol gegen die anders orientierte Situation, in der ich hier lebe. F: Wie bist Du zu Deinem Beruf gekommen? A: Wahrscheinlich durch meine Kindheit. Ich habe lange in Indien, Pakistan und der Türkei gelebt. Aas und Skelette waren selbstverständlicher Teil der Landschaft und des täglichen Lebens. Das Lebendige wurde nicht vom Toten ferngehalten, beides existierte nebeneinander. Beides bestimmte also die Situation, in der ich aufwuchs. Diese Eindrücke wurden hier in Deutschland durch eine völlig andere Umwelt verdrängt. In der Zusammenarbeit mit W.-J. Seesselberg, Leiter der Klasse für Theater und Film an der Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf, erinnerte ich mich an frühere Interessen und bekam den wesentlichen Anstoss, sie in meiner Arbeit zu untersuchen. F: Siehst Du einen Grund für das geringe Interesse der Jugendlichen für die Bildende Kunst? A: Das geringe Interesse ist ganz allgemein verbreitet. Jüngere Menschen sind sogar noch etwas aufgeschlossener als die ältere Generation. Desinteresse oder auf Oberflächlichkeiten bezogenes Interesse (Kleidung, Schminke, Geld, alles, was chic ist, Materielles) ist heute typisch. Es liegt wohl allgemein an einem Mangel an Initiative. Die Leute sind zu sehr eingespannt, um noch ein Interesse an Kunst zu entwickeln. Es ist zu anstrengend. Seesselberg schreibt in der „Rheinischen Illustrierten „über dieses Problem. Wer sich dafür interessiert, sollte seine Meinung mal lesen.

F: Wie siehst Du die Position Deiner Tätigkeit innerhalb der Gesellschaft? A: Bisher nimmt die Gesellschaft gar nicht Stellung dazu. Wenn jeder Einzelne bereit wäre, seine Vorurteile gegenüber der Bildenden Kunst abzulegen, wären wir einen grossen Schritt weiter. F: Ich meine, wenn man etwas von den Leuten will, muss man sie dazu veranlassen. Aber weiter. Hast Du Vorbilder in irgend einer Hinsicht? A: Nein. Leider nein. F: Interessierst Du Dich für Pop – Musik? Wenn ja, welche Interpreten gefallen Dir am besten? A: Mein Interesse bezieht sich weniger auf bestimmte Interpreten als auf bestimmte Stücke (Lieder). Z.B. In-A-GADDA-DA-VIDA oder CEREMONY von den Spooky Tooth und Iron Butterfly. Einiges von Deutschen Gruppen gefällt mir auch sehr gut. Sie sind für mich wie Leidensgenossen; auch sie werden zu wenig beachtet. F: Was meinst Du zu „Rauschgiften“? A: Zu Rauschgiften meine ich gar nichts. Ich nehme keine. F: Welche Rolle spielt Geld in Deinem Leben? A: Keine besondere. Für Wohnung (meine Eltern leben in der Türkei), Auto, Essen und Arbeitsmaterial muss welches da sein. F: Treibst Du Sport? A: Nein. Du? F: Siehst Du oft TV? A: Nein; das Programm ist zu beschissen. F: Gehst Du oft ins Kino? A: Nein; weil das Programm noch beschissener ist als im TV. F: Liest Du Bücher, Zeitschriften oder Zeitungen? A: Hauptsächlich Naturwissenschaftliche Bücher. Zeitungen oder Zeitschriften lese ich nur in extrem langweiligen Situationen. Z.B. in Wartezimmern. F: Hast Du einen festen Freund? A: Ja. F: Willst Du heiraten und Kinder kriegen?

A: Weder zum einen noch zum anderen fühle ich mich momentan veranlasst.

F: Hast Du schon einmal Auszeichnungen für Deine Arbeiten erhalten? Ausstellungen abgehalten? Wie waren sie besucht?

A: Um Auszeichnungen muss man sich bemühen. Das habe ich noch nicht getan. Ausgestellt habe ich schon öfters. Die Eröffnungen sind immer viel stärker besucht als die folgen Tage; sie sind für viele Leute ein gesellschaftlicher Anlass. Ich stelle gern aus.

F: Wie kann man Deiner Meinung nach mehr Leute für Bildende Kunst aktivieren?

A: Zu erst müsste man die Presse daran hindern, Fehlinformationen, Sensationsmache und Leeres Geschwätz zu verbreiten. Das Fernsehen wäre eine ideale Unterstützung. Die besten Möglichkeiten bietet der Unterricht in den Schulen. Letztlich geht es doch darum, nicht die Leute für Kunst zu aktivieren, sondern für alles, was den Menschen betrifft. Schon in der Erziehung müssten sie an geregt werden, eigenständig zu denken und zu handeln.

F: Was halst Du von der Friedensbewegung in der Pop -Musik?

A: Das Thema Krieg kann man lange diskutieren. Man kann eine menschlich-emotionelle oder politisch-ökonomische Einstellung haben dazu. Kriege sind so alt wie die Menschheit. So lange sich nicht das Wesen aller Menschen grundlegend ändert, wird es Krieg in irgend einer Form immer geben. Gefühlsmässig verabscheue ich jegliche Gewalt. Die Friedensbewegung in der Pop – Musik kommt leider nicht so recht zum tragen. Sie verläuft irgend wie in geistiger Passivität und Rauschgift – Ferien. Es gibt eben zu wenige Menschen, die in der Lage sind, eine Situation ganz zu erfassen, um dann die Konsequenzen daraus zu ziehen.

F: Hast Du sonst noch etwas auf dem Herzen?

A: Ja, viele Grüsse an meine Tante Hertha in Posen.