Fields Of The Nephilim: Stranger in Paradise


Die Grabes-Nebel, mit denen die britischen Düster-Rocker umgeben waren, haben sich gelichtet. Mit ELYZIUM etablieren sich die Mannen um Magier Carl McCoy als psychedelische Seiltänzer. Ihre Kür: An musikalischer Tiefe gewinnen, ohne dabei in das schwarze Loch der Grufti-Klischees zu fallen. ME/Sounds Redakteur Peter Wagner dribbelte an den Rand des Abgrundes.

Wieder einmal ist es ein Taxifahrer, der es auf den Punkt bringt:

„Astoria Hausboot? Das ist doch in dieser Upper Class-Gegend?“ Fields Of The Nephilim, bis vor zwei Jahren noch eine Insider-Band mit weitaus mehr Kult denn Kohle, spielen in England mittlerweile in der Oberliga. Hatten sie für ihr LP-Debüt DAWNRAZOR 1987 gerade mal zehn Studiotage Zeit, basteln sie nun auf David Gilmours Hausboot „The Astoria“ im Londoner Nobel-Vorort Hampton an den letzten Mixes ihres neuen Albums. Sechs Wochen Studioarbeit im Nacken, macht sich rings um das in den Themsewellen leicht schwankende Mischpult des Pink Floyd-Chefs gediegene Gelassenheit breit. Kein Wunder: ELYZIUM befreit die Band endgültig von den lästigen Vergleichen mit den Gruft-Opas zwischen The Mission und Sisters Of Mercy.

Die Songs sind klarer geworden, bekamen einfachere Rhythmen und haben mehr Raum. Raum auch für Keyboards, die erstmals einen festen Platz im Fields-Sound gefunden haben. Nicht alle Tasten auf dem Album wurden von Ober-Prediger und Sänger Carl McCoy gedrückt: „Wir haben den Live-Keyboarder von Pink Floyd angeheuert, auch für unsere nächste Tour, und wir haben sämtliche Tasteninstrumente von Floyd benutzt.“ Nicht zu überhören auf dem 17-Minuten Epos „The Wail Of Summer“, das mehr als die Hälfte der zweiten Plattenseite ausmacht – seismische Strömungen brabbeln unter der dichten Rhythmusdecke, Schwingungen breiten sich aus wie zuletzt nur in der „Atom Heart Mother“-Zeit von Waters & Gilmour. Musik also, die keine Drogen braucht, weil sie selber wie eine Droge wirkt. Klischees wie „Gruft-Rock“ oder „Vampyr-Cowboys“ hat die Band nicht mehr nötig, und doch schürft ELYZIUM tiefer als alle drei letzten Mission und Sisters-Platten zusammengenommen.

Carl, der außer Exoten wie Peter Gabriels „Passion Sources“ eigentlich nie Platten von der Konkurrenz hört, wiegelt ab: „Es gibt nur eine einzige Gemeinsamkeit von ELYZIUM und Pink Floyd: Diese Musik hörst du am besten nachts. Aber was reden wir über solche Vergleiche. Ich bin ein ziemlich schlechter Sänger in einer reichlich unzugänglichen Kultband.“

Die erste Hälfte dieses Schicksal teilt er mit weitaus prominenteren Kollegen. Schließlich gibt es kaum eine Rock ’n‘ Roll-Band, deren Sänger wirklich singen kann. „Mhhmm … mir fällt jetzt auch keiner ein. Aber ich habe versucht, meine Ideen anderweitig auszudrücken – Malen, Schreiben, Fotografieren. Doch es haut beim Singen noch am besten hin. Und du erreichst in diesen Zeiten die meisten Menschen damit.“

Ob die dann allerdings die Geister-Welt eines Carl McCoy auch verstehen können, ist eine andere Frage. Zumal sogar die Jungs in seiner Band erhebliche Probleme haben mit dem, was der Chef in seinen Texten so von sich gibt: „Natürlich verstehen sie es nicht. Texte versteht immer nur der, der sie geschrieben hat. Aber meine Texte sollen auch nicht verstanden werden.“ Das sagt Tanita Tikaram auch … „Ich spreche nicht davon, welchen direkten Sinn die Worte machen. Mir ist es viel wichtiger, mit den Texten und mit der Art, wie ich sie singe, bei den Leuten Gefühle auszulösen, Ahnungen, im besten Fall vielleicht eine Spur von Gemeinsamkeit. In diesem Sinne ,verstehen‘ die Leute in der Band mich natürlich schon.“

In einem Punkt ist McCoy diesmal weich geworden – erstmals läßt er alle Songtexte auf dem Cover abdrucken. Das allein reicht natürlich noch nicht, um in den Himmel zu kommen. Jenen Ort, in dem Fields offenbar ein Plätzchen beanspruchen. Oder mit dem Album-Titel ELYZIUM wenigstens schon mal einen Platz im göttlichen Plattenregal beanspruchen. „Wer dabei ans Paradies denkt, liegt nicht völlig daneben. Aber nicht im christlichen Sinn.

Die eigentliche Übersetzung aus dem Griechischen lautet ‚Ein Platz, an dem sich die Seelen nach dem Tode treffen‘. Und das könnte ja mich die Hölle sein „‚Als Kind haben mich meine Eltern immer in die Kirche geprügelt und ich hatte nie den Eindruck, daß die Menschen dort irgendwie glücklich zusammen waren.“

Ohgottohgott. Woran glaubt denn dann ein Mensch, der schon in zarter Kindheit „Himmel & Hölle“ nicht als ein harmloses Spiel verstanden hat? „An mich. Im Grunde meines Herzens bin ich Schamane. Ich suche mich selbst, indem ich daran arbeite, mich in Einklang mit den wahrhaft bestimmenden Kräften zu bringen. Aber was geht das eine Musikzeitschrift an?“

Absolut nichts, würde Carl über so bewegende Dinge wie Mädchen oder Motorradfahren singen. Doch Musik und Texte der Fields sind prall voll mit okkulten Symbolen, steinalten Mythen, magischen Andeutungen. Zumindest älter als Mohammed und Jesus Christus zusammen. „Gut – ich beschäftige mich viel mit den Dingen, die hinter den Religionen stehen.

Wenn du lange genug forscht, merkst du, daß sie alle den gleichen Ursprung haben. Es ist letztlich ein und dieselbe Macht, an die wir alle glauben. Und doch baue ich mir meine eigene Symbolik auf. Dem kann folgen, wer will. Aber eigentlich will ich nicht, daß man in meinen Privat-Angelegenheiten rumstochert. Die Symbole, die Mythen, der Glauben – das sind doch alles keine Sachen, die mit Sprache erklärt werden können. Das muß man am eigenen Leib erfahren.“

Vielleicht haben Fields-Fans aber keine Lust, auf die göttliche Erleuchtung zu warten. Immerhin spielt Carl in seiner Musik permanent mit Worten und Sätzen, die entsprechend disponierte Labile schmerzlich mißverstehen könnten, „Last Exit For The Lost“ zum Beispiel, ein Song auf der letzten Fields-LP, kann Verzweifelten Mut zusprechen. Oder der letzte Anstoß sein, doch vor die nächste S-Bahn zu springen. „Auch das ist sicher in Ordnung“‚, verteidigt sich Carl, „denn in diesem Falle handelt er wenigstens konsequent. Jedermann istßr sein Tun und sein Leben selbst verantwortlich. Der Tod ist das, was mich, meine Inspiration, meine Ideen und Gefühle am stärksten beeindruckt. Warum sollte ich dann vom Leben singen?“

Eine Spiel mit jener Magie also, die schwarz ist wie der Tod und damit Fields Of The Nephilim auf den ersten Blick zwanglos in die Ecke jener Metal-Bands stellt, die mit eben diesen okkulten Symbolen hantieren. „Das sind Vasallen des Satans“, schäumt Carl, „sie versuchen das Fleisch und haben dabei keine Ahnung, worauf sie sich einlassen. Denen geht es nur um billige Schock-Effekte. Die sollten erst mal etwas darüber lernen, bevor sie mit diesen Machten herumquaksalbern. „

Jetzt blitzen Carls Augen doch ein wenig durch die dunklen Sonnengläser, die er im Beisein Fremder seit Jahren nicht mehr abgenommen hat. Hinter seiner Weigerung sich zu erklären, steckt mehr als nur die Angst, daß seine Geisteswelt durch eine Handvoll profaner Begründungen entzaubert werden könnte: „Es gibt ein paar Menschen in meiner Umgebung, die sich mit denselben Dingen auseinandersetzen. Wenn ich jetzt versuchen würde, all diese privaten Erfahrungen und Gefühle, die in unseren Songs stecken, mit den wenigen Worten zu erklären, die unsere Sprache dafür hat, würde ich diese Gruppe von Menschen mir gefährden. Wir sind keine Zauberer und schon gar keine dämonischen Hexer. Wir sind Suchende in einer Welt, die die Suche nach den tieferen Kräften längst aufgegeben haben. Ich will, daß wir in Ruhe gelassen werden, denn wir schaden ja niemanden. Eines Tages werde ich nicht mehr suchen müssen. Dann höre ich mit dem Singen auf und schreibe ein Buch.“

Einstweiliger Arbeitstitel: The Bible, Vol. II