Frontalunterricht in Größenwahn
Die Berliner S-Bahn verkehrt am Abend des U2-Konzerts nur gerüchteweise; ins Olympiastadion nimmt man die – U2, zum Verzücken der spanischen Touristen, gefühlt 70% der Besucher. U2 zelebrieren eine Mixtur aus Parteitag und Hochamt, aus Pop, Politshow und Kult. Das spiegelt der Bühnenaufbau: Was Bono „unsere kleine Raumstation“ nennt, ist ein monströser, hochkomplexer, von allen Seiten einsehbarer Multifunktionspavillon, dessen Herz gleichsam als visueller Datenträger funktioniert. Die Erwartung einer „Demokratisierung des Konzerterlebnisses“ ist Quatsch, aber egal. Zur Mitte des Abends beginnt der Frontalunterricht in Sachen Trivialpolitik, gereicht in leicht verdaulichen Häppchen. Bei „Sunday, Bloody Sunday“ färben sich die 500.000 Pixel der Leinwand zu Ehren der iranischen Opposition grün, es gibt ein Geburtstagslied für Nelson Mandela, eine Grußbotschaft von Desmond Tutu, auch Michael Jacksons wird gedacht, mit ein paar Takten von „Man In The Mirror“ und „Don’t Stop ‚til You Get Enough“ in „Angel Of Harlem“. Manchmal gelingt es aber auch, eine für 90.000 Anwesende verblüffende Intimität herzustellen. „Stay (Far Away, So Close)“ gibt’s akustisch, bei „One“ beschwört Bono die Verbindung der Band zu Berlin. Lachen kann er auch: „Rockstars are small guys!“, sagt er, als er sich zur Zugabe in eine mit roten LED-Lämpchen besetzte Jacke zwängt. Das streift die Grenze zum Größenwahn. Aber dem Papst wirft ja auch keiner vor, dass er katholisch ist.