„And I just quit my job“: Wie Beyoncé mit nur einer Zeile ganz TikTok gegen sich aufbringt
Unsere Gegenwart scheint später nun tatsächlich Geschichte zu werden. Zeit also, sich in dieser Kolumne die popkulturelle Gegenwart genau anzugucken. Was passiert? Und wie und warum hängt das alles zusammen? Hier Folge 19, in der Julia Friese erklärt, warum Beyoncé, Drake und Düsseldorf Düsterboys sehr unterschiedliche Sommer hatten.
Drei Beobachtungen:
1. house beats
Es liegt eine Lethargie in der Gegenwart. „Ab und zu schau ich mir selbst beim Kochen zu“, singen die Düsseldorf Düsterboys in „Ab und zu“. Es ist ein Blues, der wie schwaches Licht auf eine Pfütze fällt. Den eigenen, zähen Alltag reflektierend. Der in einer Playlist fast nahtlos in die muted Steeldrum von Drakes „Down Hill“ übergeht. „I can’t remember when last did we feel familiar“, singt Drake darin. Ja, er singt. HONESTLY, NEVERMIND ist sanft melancholischer House. Die Tanzfläche scheint weit weg. Eine Erinnerung. „We spent last summer so differently“, singt Drake und hat recht. Last Summer. Der war doch 2019.
In diesem Sommer sind viele krank, in der Hitze, allein zu Hause, bestellen im Internet, während man draußen dem Sterben der Geschäfte zusehen kann. Längst ist es ein Show-Room, das Geschäft. Ein Ort, an dem man Waren in die Hand nimmt, die man ohnehin nur online bestellen kann. Auf YouTube begeht man mit „The Proper People“ verlassene Malls, die kurz vor ihrem Abriss noch neon beleuchtet sind. Da piepst doch was? Ist das eine Alarmanlage, die beschützt, was lange weg ist, oder der Synthie aus Drakes „Massive“? Vielleicht auch eine Maschine auf einer Intensivstation, auf einem weißen Flur, dem alle Pfleger*innen, entsetzt über die Umstände ihres Berufs – zu wenig Personal, zu wenig Geld –, gekündigt haben.
2. und leere büros
„Du Geringverdiener!“ ist die Beleidigung der Stunde unter Jugendlichen, Schülern, die wahrscheinlich noch keinen Job haben. „And I just quit my job“, singt Beyoncé in „Break My Soul“ über dem Korg-M1-Preset-Beat, der 1993 mit Robin S und „Show Me Love“ berühmt wurde. Beyoncé singt, dass sie so hart gearbeitet hat, nein, so hart „gearbeitet wurde“, dass sie nachts nicht schlafen kann. Etwas, das sie häufiger in Interviews erzählte. Sogar in einem Essay 2011 mal darüber schrieb, wie sie sich dann ein Jahr Urlaub nahm.
Ihre Zeile „And I just quit my job“ erregt die Gemüter. Das „Forbes“-Magazin zitiert den CEO einer Suchmaschine, dass Beyoncé arg unsensibel sei, den aktuellen sozialen Kontext nicht mitdenke. Eine Millionärin, die nun Menschen motiviere, ihre Jobs zu kündigen, kurz vor der so sicheren Rezession. Auf TikTok folgten wütende Videos, was Beyoncé sich anmaße, so zu tun, als verstünde sie die Working Class. Kunst wird sehr wörtlich genommen dieser Tage.
@peoplesoracle Beyoncé is not your friend! #breakmysoul #beyonce #celebrityculture #classsolidarity ♬ original sound – The People’s Oracle
Dall-E – ein Kofferwort aus Dalí und Wall E – heißt eine künstliche Intelligenz, die man online mit einem Satz oder auch nur ein paar Worten füttern kann, und schon generiert sie Bilder dazu. „Selbstermächtigte Frau hat gekündigt und reitet ein Glaspferd“ kann sich die KI genauso vage vorstellen wie unser Gehirn. Gibt man Dall-E das Wort „doctor“, zeigt sie einem Bilder von allein weißen Männern in weißen Kitteln. Dall-Es Bilder sind oft beunruhigend. Die Gesichter verzerrt. Die Augen leer.
3. something is off
Der Begriff der Liminalität wurde von dem schottischen Ethnologen Victor Turner geprägt. Er beschreibt einen Schwellenzustand, in dem sich Individuen befinden, nachdem sie sich von der herrschenden Sozialordnung gelöst haben. Als Liminalität werden heute aber nicht nur Zustände, sondern auch Orte beschrieben. Lange, leere Flure, Unterführungen. Computerspiele spielen schon seit Langem mit Übergangsräumen wie endlosen Büros. Ohne Möbel und ohne Menschen verlieren diese Räume ihren Zweck. Sie werden unheimlich.
AmazonBilder von liminal spaces werden seit 2020 oft geteilt. Denn der pandemische Zustand fühlt sich wie ein Schwellenzustand an. Wir sind in unserem 9-to-5-Game gestört. Für „Break My Soul“ hat Beyoncé kein neues Video aufgenommen, sondern Tanzszenen ihrer alten Videos zusammenschneiden lassen. „And I just quit my job“, singt sie also nicht lippensynchron. Something is off. Wir lesen „Automaton“ von Berit Glanz, ein Roman über eine Clickworkerin, die für geringen Lohn Zeitstempel in Videos setzt. „We spent last summer so differently“, singt Drake. „Ab und zu schau ich mir selbst beim Kochen zu“, singen die Düsseldorf Düsterboys.
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 09/2022.