Gutes neues Jaar
Aus einem Club-Hype wird Art-House: nicolas jaar aus New York gilt als Wunderkind einer veränderten Techno-Generation.
Im letzten Jahr ist etwas Seltsames geschehen. Als an einem sommerwarmen Montagabend der DJ und Produzent Nicolas Jaar in einem Berliner Club sein Set begann, standen die Besucher auf allen möglichen Erhöhungen. Sie drückten sich an den Wänden hoch, lauschten wie bei einem Konzert und ließen sich dann in geschmeidige Tanzbewegungen gleiten. Die Tänzer raunten seinen Namen in die blaue Stunde, seine Sets wurden als Podcasts veröffentlicht und wenig später verneigte sich die Fachpresse mit Wunderkind-Verkündungen. Sogar Lifestyle-Spalten suchten wieder nach Umschreibungen für Clubmusik.
Die müssen für Nico Jaar allerdings anders klingen. Mit 14 begann der New Yorker, der einige Jahre in Chile lebte, mit der Komposition elektronischer Musik. Das war 2004. Er nennt den 90er Sound aus Bristol, Ricardo Villalobos und auch Jazz aus Äthiopien als Einflüsse, er remixte Ellen Allien, editierte den Klassiker „Feeling Good“ und veröffentlichte mit seinen Singles „Mi Mujer“ und „Time For Us“ Clubhits auf dem New Yorker Hype-Label Wolf And Lamb, die bereits eine eigene Sprache hatten. Er verdrehte Tempi, machte Gesangsstimmen zu glaubhaften Harmoniebringern und verkündete mit den Kollegen Soul Clap und Art Department eine neue Club-Epoche der Romantik. „Diese Tracks habe ich für den, Markt‘ produziert. Es gibt einen Hype um sie, weil es einen Bedarf für sie gab. Mein Album wird sich keinen Marktbedürfnissen anpassen“, sagte Jaar bereits im Herbst vorigen Jahres, und in der Tat, das Debüt Space Is Only Noise entspricht nicht den Erwartungen, aber genau deswegen ist es so gut.
Nico Jaar studiert vergleichende Literaturwissenschaften an der Brown University. Wenn er nicht durch die Welt fliegt. Und er würde gerne auch Filme machen. Sein Album hat nicht mehr so viel mit Techno oder House zu tun. Es ist vor allem eine vertüftelte Auslotung durch Sound, ein Abtasten der Umgebung. Erst bei Track 4 schleichen sich Songstrukturen ein. Nach Höhepunkten heischende Hörer finden erst spät durch luftige Beach-House-Elemente Erleichterung. Runtergefahrene Vocals, Atmos, Verästelungen. Es sei „crookedness“, die ihn in Musik interessiere. Und das Wörterbuch übersetzt es mit Verworfenheit. Wie auch schon in seinen anderen Produktionen scheint Jaar – fernab von Minimalismus – unnötiges auszulassen, ohne Verzicht zu üben. In den Zwischenräumen tun sich seine Universen auf. Auf seinem Debüt entsteht das Verlangen nach Tanz nicht durch die direkte Aufforderung einer Kickdrum, sondern allein durch den Platz, den Jaar für sie geschaffen hat.
Albumkritik S. 86
But hype can only be a bad thing. It’s just dangerous that a label or artist is hot. That’s why I am constantly changing what I am doing.