Hank Williams: Leiche auf Tour
Suff und Drogen waren dabei, seine Karriere zu ruinieren. Um zu retten, was zu retten war, machte sich Hank Williams auf den Weg zu einem Comeback-Konzert. Die Reise wurde zum Sinnbild seines Lebens - mit einem ebenso grotesken wie tragischen Ende.
Der Schneesturm, der im Südosten der USA wütet, wird kurz vor Silvester 1952 so heftig, dass bereits gestartete Flugzeuge zurückgeholt werden. Das widrige Wetter hat dem 19-jährigen Studenten und Taxifahrer Charles Carr einen Job als Chauffeur eingebracht: Sein Fahrgast muss von Montgomery, Alabama, durch West Virginia bis nach Canton, Ohio, wo er am Neujahrstag mit Hawkshaw Hawkins und Homer & Jethro auftreten soll. Der schlanke, blasse Mann neben Carr, dem der himmelblaue ’52er Cadillac gehört, ist 29 Jahre alt und einer der erfolgreichsten Popstars der USA, und er ist, als Carr am 31. Dezember gegen Mitternacht bei Blaine in Tennessee von einem Polizisten angehalten wird, seit etwa zwei Stunden tot. Bis davon jemand Notiz nimmt, wird jedoch noch einige Zeit vergehen.
1952 brachte für Hank Williams nach drei Jahren sagenhaften Erfolgs und ununterbrochener Präsenz in den Single-Top Ten eine Kette von Rückschlägen und Abstürzen. Der Sänger, Gitarrist und Songwriter, von dem niemand genau sagen kann, wieviele Lieder er wirklich geschrieben hat – seine eigene Schätzung liegt bei 500 -, hat sich im Januar von seiner Frau Audrey getrennt, die auch seine Managerin war und Sohn Randall Hank Jr. nach der Scheidung bei sich behält. Seither ist die dunkle Seite in Williams, zuvor meist vom Erfolg überstrahlt, deutlicher als je zum Vorschein gekommen. Der Sohn eines Weltkriegssoldaten, Zeit seines Lebens infolge einer unbehandelt gebliebenen Rückenmarkskrankheit (Spina bifida occulta) von Schmerzen, mentalen Störungen und zunehmender Inkontinenz geplagt, hat, obwohl seine Platten nach wie vor gut laufen, im August wegen seiner notorischen Sauferei den mühsam erlangten Platz in Nashvilles Grand Ole Opry verloren und ist wieder dort gelandet, wo alles begann: auf der Straße, beim Tingeln von Club zu Club. Er will, er muss beweisen, dass er nicht am Ende ist, dass er den Dämon besiegen kann. Die Flasche Whiskey, die Hank dabeihat, ist in dieser Angelegenheit allerdings kein guter Begleiter.
Der Polizist, der den Cadillac anhält, nachdem Carr ihn bei einem gewagten Überholmanöver beinahe frontal gerammt hätte, heißt Swan Kitts. Carr erklärt ihm, er müsse Hank Williams nach Ohio bringen; es sei Hanks erster Auftritt mit seinen alten Nashville-Kollegen seit Monaten, er dürfe sich auf keinen Fall verspäten. Kitts wirft einen Blick in den Cadillac, sieht den regungslosen Williams auf der Rückbank und sagt: „Der Kerl sieht ja aus wie tot.“ Als er erfährt, dass Williams wegen seiner Rückenschmerzen eine Morphiumspritze bekommen und danach ein paar Drinks genommen hat, lässt er ihn in Ruhe. Carr folgt Kitts nach Rutledge, wo er wegen rücksichtslosen Fahrens eine Geldstrafe von 25 Dollar aufgebrummt bekommt. Gegen 1 Uhr morgens fährt er weiter Richtung Canton.
Auf der Geburtsurkunde stand ein falscher Name: „Hiriam“ Williams hieß in Wirklichkeit Hiram, aber auch dieser Name gefiel dem Jungen nicht, der am 17. September 1923 in einer Blockhütte nahe Georgiana, Alabama, zur Welt kam, und sobald er sprechen konnte, nannte er sich Hank. Hank ist vier Jahre alt, als sein Vater, der unter den Nachwirkungen eines Gasangriffs während seiner Zeit ais Soldat im Ersten Weltkrieg leidet, in ein Hospital eingeliefert wird; während der zehn Jahre, die er dort verbringt, lässt sich seine Mutter Lilly scheiden.
Als Hank sieben wird, kauft ihm Lilly als Belohnung für gute Schulnoten eine gebrauchte Gitarre. Sein erster Song, den er 1934 am Mittagstisch in der Greenville High School vorträgt, handelt, wie sich die Lehrerin Flora Heartsill erinnert, von einer Ziege, die Blechdosen frisst und dann Ford-Autos auf die Welt bringt. Hanks Vorbild ist der schwarze Straßensänger Rufus Payne alias Tee-Tot. Hank: „Ich putzte Schuhe, verkaufte Zeitungen und lief diesem alten Neger hinterher, damit er mir Gitarrespielen beibringt. Für eine Lektion gab ich ihm 15 Cents oder was ich halt gerade hatte. „Von Tee-Tot lernt Hank die nötigen Akkorde und, wichtiger, die Leute mit Aufrichtigkeit zu fesseln, statt ihnen mit musikalischer Brillanz imponieren zu wollen. Und nicht zuletzt infiziert er den Tungen mit dem Blues-Virus. Das Leben tut sein Teil dazu: Nur eine Woche nach dem Einzug brennt das neue Haus der Familie Williams in Georgiana nieder; Hank rettet nur ein Schlafanzugoberteil, seine Schwester die Hose dazu.
1937 zieht die Familie nach Montgomery, wo Hank seinen ersten Talentwettbewerb gewinnt und die Drifting Cowboys gründet. Obwohl er es bald zu einer gewissen lokalen Bekanntheit bringt, ist seine Mutter mit Hanks Karriereeifer ebenso wenig zufrieden wie Audrey Mae Sheppard, die er im Dezember 1944 heiratet. Ihr gelingt es, den Schüchternen zu einer Fahrt nach Nashville zu überreden, wo Hank den Produzenten Fred Rose kennen lernt. Der verschafft ihm einen Vertrag mit MGM und schickt ihn nach dem ermutigenden Erfolg der Single „Move It On Over“ 1948 mit dem „Louisiana Hayride“, einer prestigeträchtigen Radioshow und fahrenden Konkurrenz zur Grand Ole Opry, auf Tournee. Der Rest ist Musikgeschichte: 1949 nimmt Williams gegen Roses Rat Emmett Millers 24 Jahre alten Jodler „Lovesick Blues“ neu auf- die Platte steht 16 Wochen lang auf Platz eins der US -Country-Charts und ist der Anfang einer Hitserie, die drei Jahre anhält und Hank ein Jahressalär von astronomischen 200.000 Dollar einbringt, ihn aber auch durch häufige Reisen von zu Hause und der Familie entfremdet. Immer öfter ertränkt Williams seinen Kummer, fällt von der B ühne, vergisst Texte oder taucht zu Konzerten erst gar nicht auf, bis ihn im Herbst seine Band und sein väterlicher Partner Fred Rose sitzen lassen.
Im Oktober sagt er zu der 19-jährigen Polizistentochter Billie Jean Jones: „Wenn du noch nicht verheiratet bist, wird dich der alte Hank heiraten“ – der Traum vom neuen Familienglück ist jedoch nur von kurzer Dauer. Vielleicht hat Williams das Ende da schon geahnt: Am 20. Dezember erscheint die Single „1*11 Never Get Out Of This World Alive“. Sie erreicht Platz eins, aber der Triumph kommt für Hank drei Tage zu spät.
Irgendwann Wahrend der frühen Morgen stunden des Neujahrstages 1953 wird Charles Carr klar, dass mit seinem Fahrgast etwas nicht in Ordnung ist. Als er im Skyline Drive-In hält, um einen Kaffee zu trinken, schüttelt er den Sänger, aber der reagiert nicht. Gegen halb sechs hält Carr an Burdette’s Pure Oil Station in Oak Hill, West Virginia, und sagt, es gebe ein Problem. Beim örtlichen Krankenhaus ziehen zwei Pfleger Hank Williams aus dem Wagen und tragen ihn in die Notaufnahme. Dort wird um 7 Uhr morgens sein Tod festgestellt, der nach Schätzungen der Ärzte mindestens sechs Stunden zuvor eingetreten sein muss. Todesursache: Herzversagen. Der Begräbnisunternehmer Joe Tyree erinnerte sich später: „Der Name Hank Williams sagte mir nichts, bis ich hörte, dass er ein Sänger aus dem Radio war. Aber was wirklich los war, ist mir erst aufgegangen, als die Telephone zu klingeln anfingen.“
Zu Hanks Begräbnis am 4. Januar strömt die größte Menschenmenge, die Montgomery je gesehen hat; obwohl die Trauerfeier ins City Auditorium verlegt wird, ist die Straße schwarz vor Menschen, die keinen Platz bekommen haben. Aber als Hank starb, war er wahrscheinlich der einsamste Mensch der Welt. „I’m So Lonesome I Could Cry“ heißt nicht umsonst einer seiner größten Songs.
Es fehlt nicht an musikalischen und anderen Denkmälern für den Mann, der den Begriff „Country“ neu definierte, obwohl er selbst seine Musik als „Folk“ bezeichnete. 1997 wurde die Straße von Georgiana nach Montgomery in „Hank Williams Memorial Lost Highway“ umbenannt. Und in Montgomery steht das 1999 eröffnete Hank-Williams-Museum. Eine der schönsten Widmungen kam 1988 von Leonard Cohen, der mit „Tower Of Song“ deutlich machte, wo und wie Hank Williams weiterlebt: „Ich fragte Hank Williams: Wie einsam kann man werden? Hank Williams hat nicht geantwortet, aber ich höre ihn die ganze Nacht husten, hundert Stockwerke über mir, im Turm der Lieder.“