Hexenküchen-Fashion


Wer gut gekleidet ist, entscheidet Wäis Kiani. Heute vor dem Stilgericht: Keith Richards und Johnny Depp

Wenn aus „angry young men“ ältere Herren werden, verlieren sie oft die Orientierung in ihrem mühsam ausgeklüngelten Stilkonzept. Und so irren sie fortan schwerelos und über aller Kritik stehend durch ihren Lebensabend, oder auch die zweite Lebenshälfte. Genau das scheint den beiden Herren hier widerfahren zu sein. Johnny Depp und Keith Richards haben zwei Generationen von Frauen auf der ganzen Welt in den Wahnsinn getrieben, aber damit muss auch mal Schluss sein, finden sie, denn Sexyness kostet einfach zuviel Kraft, und außerdem stört es nun mal beim Dauerbreitsein.

Nichts löst den Sex-Appeal eines Mannes so sehr auf wie altersbedingter Haarausfall, das ahnen die Herrschaften Depp und Richards natürlich, deshalb verdecken sie ihre lichten Häupter schlau mit Borsalinos und ihre stecknadelgroßen Pupillen auch nachts hinter gefärbten Brillen. Johnny liebt immer noch Schmuck, deshalb hat die kleine, diebische Elster auch beim „Fluch der Karibik“-Dreh einige Accessoires mitgehen lassen und sie sich um den Hals und als Blickfang neben das Gemächt gehängt. Das daneben baumelnde Tuch ist, natürlich, zum Naseputzen oder um sich Bierreste aus dem Bart zu wischen. Keith findet, die Regel „ab 35 Hemd drinnen!“ gelte für Rockgreise nicht und trägt seins deshalb in wampenfreudlicher Länge gemütlich als Kleid über der Hose. Gemütlich und vor allem bandscheibenschonend sollte in diesem Alter auch das Schuhwerk sein: Die türkisen Treter sind die Mephisto-Hexenküchen-Fashion-Adaption, denn ein Mann in dem Alter braucht griffige Gummisohlen. Denn was nützen die coolsten Rockerstiefel, wenn man wegen der glatten Ledersohlen von jeder Palme stürzt?

Zum Glück sterben solche Männer mittlerweile langsam aus, denn heutzutage kann sich niemand mehr so konsequent zugrunde richten. Man wird in Rehab geschickt, muss ständig ins Gefängnis wie Pete-Schatz oder stirbt an einem schäbigen polytoxen Überdosis-Cocktail wie DJ AM und Heath Ledger, weil die Dealer alle mehr Dreck als Drogen liefern. Den reinen Stoff, der Keith, Mick, Ronnie und Entourage früher wenigstens in kleinen Dosen Satisfaction versprach, gibt es heute gar nicht mehr. Deswegen sind Männer aus diesen Zeiten wie ein Direkteinspritzmotor, sie sterben nie ab, und wenn es doch einen Atomkrieg geben sollte, werden sie uns alle, zusammen mit Lady Gaga und den Schaben, überleben. Mit oder ohne Sneaker.

Wäis Kiani

Die Mode-Kolumnistin und Bestseller-Autorin („Stirb, Susi!“) schreibt und lebt in Zürich.