Invasion von Planet Glitter
Die Blumenwiesen der Sixties waren verblüht, die Frischzellenkur des Punk in ferner Zukunft. Da stiegen sie Anfang der 70er Jahre vom Pop-Himmel: wahrhaftige Stars in schillernden Gewändern, die das Gesicht des Rock'n'Roll veränderten.
DIE HIPPIES IM LONDONER ROUNDHOUSE REIBEN SICH verdutzt die Augen: Fünf Wesen kriechen da auf die Bühne, die aussehen, als seien sie der kranken Phantasie eines unterbezahlten Groschenromanschreibers auf einem schlechten Acid-Trip entsprungen. Vor allem der Sänger: ein dürrer „rainbow man“ mit Lurex-Strumpfhose und blau-silberfarbenem Umhang, eine bisexuelle Comicfigur aus einer gottverlassenen Galaxis. Was sind das bloß fürTypen und was zum Teufel – wollen die hier? Das Publikum wartet auf Country Joe McDonald, den wortgewaltigen Kämpfer gegen das verhaßte Establishment, und auf Fat Matress, die neue Band des ehemaligen Hendrix-Bassisten Noel Redding. Für namenlose Dilettanten, die sich „The Hype“ nennen und als Fummeltrinen herumstöckeln, ist da kein Platz. Prompt werden die komischen Gestalten aus dem Saal gelacht, gebuht, gepfiffen. Jahre später noch ist Tony Visconti, als „Hype“-Bassist eine der Zielscheiben des Volkszorns an diesem Abend anno 1969, sicher: „Das war die Nacht, in der der Glam-Rock geboren wurde.“ Und das nicht nur, weil sich bei jenem denkwürdigen Konzert zwei künftige Lichtgestalten des Pop im selben Raum befanden: Der Sänger hieß David Bowie – unten im Auditorium stand Marc Bolan.
Das ist ihre Geschichte – und die von Roxy Music, Iggy Pop und Lou Reed, von Sternenmännern und elektrischen Kriegern, vom Rock ’n‘ Roll Animal und vom Rock ’n‘ Roll Suicide, von Glam und Glitter: Wer in den 50er Jahren Elvis und Chuck Berry gehört hatte, in den 60ern die Stones, die Doors und Hendrix durfte sich vielleicht als Rebell fühlen. Doch einzig der Glamrock, jene grell beleuchtete Brücke zwischen in Trümmern liegenden Hippieträumen und dem rotznasigem No-Future-Genöle des Punk, zwischen Altamont und „Anarchy In The UK“ schien für kurze Zeit ein Versprechen einzulösen: „Jeder kann ein Star sein.“ Barney Hoskyns, Autor des Buches „Glam“, bringt es auf den Punkt: „DasTolle am Glam war, daß es um Starruhm ging und um sonst nichts.“ Bowies Manager Tony Defries erklärte vor der „Ziggy Stardust“-Tournee durch die USA, worauf es ankommt: „Ihr müßt euch wie Stars benehmen, um wie Stars behandelt zu werden.“ Und weil auch er das wußte, sang Marc Bolan eine Zeile wie „I drive a Rolls Royce, ‚cause it’s good for my voice“ – und nannte den Song „Children Of The Revolution“ Um Starruhm also ging es – und um Sex. Zwar war die sexuelle Revolution bereits in den 60er Jahren ausgerufen worden, doch erst jetzt schien eine Ära grenzen- und zügelloser erotischer Freiheit anzubrechen. Bowie outete sich – damals allemal noch eine Sensation – als homosexuell (was er später widerrief), David Johansen, Frontmann der New York Dolls prahlte gar „Ich bin trisexuell. Es gibt nichts, was ich nicht ausprobiere.“
Glam und seine Attitüden kamen nicht über Nacht: Schon geraume Zeit brodelte es im Untergrund beiderseits des Atlantiks. In den Lofts von New York, vor allem in Andy Warhols „Factory“, wurde am düsteren Gegenentwurf zur freundlichen Beach-Boy- und Hippieseligkeit kalifornischer Prägung gearbeitet. Poeten und Peitschenschwinger, Models und Musiker, Huren und Heilige, Künstler und Kretins erprobten neue Formen der Kunst und zwischenmenschlicher Beziehungen, und den Soundtrack dazu lieferte Velvet Underground. Tausende von Meilen entfernt, im „Swinging London“, traf sich die „In Crowd“ in Clubs wie dem „Speakeasy“ oder dem „Yours And Mine“ in der Kensington High Road. Eine schillernde Meute, androgyn gestylt und selbstbewußt, die auf eine komische kleine Gruppe mit einem großen, gefährlichen Namen abfuhr: Tyrannosaurus Rex. Marc Bolan sang versponnene Fabeln von Elfen und Zauberern und wagte es, ein Album „My People Were Fair And Had Sky In Their Hair, But Now They’re Content To Wear Stars On Their Brows“ zu nennen. Wer ihm seherische Fähigkeiten unterstellen will, der mag in diesem Rattenschwanz von einem Plattentitel von ’68 bereits Aufstieg und Fall des Glamrock beschrieben sehen. Indes bewies Tony Visconti prophetische Gaben, verhieß er Bolan doch eine große Zukunft: „Marc wußte genau, was er wollte und daß er es schaffen würde. Er hatte Talent, Fantasie, großartige Songs, und er sah verdammt gut aus.“ Keine drei Jahre später hatte Bolan den Bandnamen zu T. Rex verkürzt, komplexe Klanggebilde durch griffigen Pop ersetzt, prompt seinen ersten Nr.-1-Hit („Hot Love“) gelandet und in der Sendung „Top Of The Pops“ vorstellen dürfen. Der Auftritt schlug ein wie eine Bombe. Bolans exaltierte Show, seine Glitzerklamotten, reichlich Make-up und Flitter im madonnengleichen Gesicht, dazu Posen auf beinahe halbmeterhohen Plateausohlen: All das machte ihn zum Lustobjekt für Frauen und Männer. Und zum Pionier, wie sich der 1996 verstorbene Plattenproduzent Mike Leander erinnerte: „Er hat das Glamrock-Ding gestartet. Beim Glamrock war nur das Spektakel wichtig. Deshalb machte man auch Platten, die man förmlich sehen und spüren konnte, während Platten in den 60em Platten nur zum Hören dawaren. Das Publikum wurde Teil der Show.“
Doch während Bolans Abstieg – eines riesigen Egos und ebensolchen Kokainkonsums wegen – alsbald begann, glitzerte schon ein neuer Stern am Glamhimmel. Bryan Ferry, ein Kunststudent mit einem Faible für Mode und Jazz, suchte Gleichgesinnte, fand den an Kybernetik, Malerei und Elektronik interessierten Brian Eno (der bezeichnenderweise 1968 ein Buch mit dem Titel „Music For Non-Musicians“ veröffentlicht hatte) und gründete mit ihm, Phil Manzanera, Andy Mackay und Paul Thompson eine Gruppe, die sie nach einem dieser alten, plüschigen Filmtheater „Roxy Music“ nannten. Ferry und Co. umwehte die Aura dekadenter Exzentriker aus den 30er Jahren, man trug Leder, Glitzerblousons im Leoparden- und Tiger-Look oder stilisierte sich zu pfauenhaften Fabelwesen. Natürlich war auch das 1972 erschienene Debütalbum bis ins letzte Detail als Gesamtkunstwerk gestylt. Als Vorband von David Bowie gingen Roxy Music auf Tour, und sofort schoß die fantastische Single „Virginia Piain“ die Charts hinauf. Ein weiteres Album („For Your Pleasure“) folgte im Frühjahr 1973, doch dann verließ Brian Eno die Gruppe. Im Fegefeuer der Eitelkeiten hielt der Snob länger aus als der Schöngeist. Fortan formte Ferry Roxy Music zum Vehikel für seine Dressman-Rock-Fantasien, was ihm den Spitznamen „Byron Ferrari“ eintrug. Eno hingegen veröffentlichte vielbeachtete Soloalben, begründete das Ambient-Genre, versuchte sich in allerlei Kunstformen, war ständig an irgendwelchen es – wie im Film zwischen den Protagonisten Brian Slade (Bowie) und CurtWild (Pop) – tatsächlich zum Äußersten kam, darf getrost bezweifelt werden. Wie auch immer: Ihre Zuneigung generierte ein Monster von einem Glam-Album, „Raw Power“ von Iggy & The Stooges, ein von Bowie produziertes Beben mit Songs, die „Gimme Danger“, „Penetration“ oder „DeathTrip“ hießen und auch so klangen. Und mit „Search And Destroy“, dessen erster Vers lautet: „I’m a street-walkin‘ cheetah with a heart full of napalm. I’m the runaway son of the nuclear A-bomb. I’m the world’s forgotten boy, the one who searches to destroy.“ Spätestens mit dieser musikalischen Splitterbombe wurden die 60er Jahre atomisiert. Und Iggy jaulte und schrie die Apokalypse herbei, schnitt sich bei Auftritten in den nackten Oberkörper, rieb sich Wachs in die Wunden und lebte überhaupt mächtig ungesund. Zu allem Überfluß gab es Ärger um Bowies Abmischung des Albums und mit Manager Deines, der Iggy unter Vertrag genommen hatte (und rauswarf, als der sich in einer TV-Show danebenbenahm). Man verlor sich aus den Augen und traf sich wieder, Mitte der 70er Jahre in Berlin, wo Bowie zwei Projekten zugange, hielt Vorträge, schrieb philosophische Essays, kurz: Er entwickelte sich zu einer Art grauer Eminenz für Fragen der Ästhetik.
Die Jahre 1972/73 sahen fraglos die größten musikalischen Triumphe der Glam-Ära – und an allen war David Bowie beteiligt. Er hatte bislang einige gute, doch vergleichsweise konventionelle Alben eingespielt. Jetzt holte er zum großen Schlag aus: Gelangweilt vom Wirbel um seine Person, schuf er sich eine neue Identität, wurde zu „Ziggy Stardust“, zum Superstar vom anderen Stern, der am Ende „Rock ’n‘ Roll Suicide“ begehen und den er doch nie wieder richtig loswerden sollte. Auf die Bühne kamen Ziggy und seine Band „The Spiders From Mars“ in schillernden Raumschiff-Uniformen, Zentrum der als Multi-Media-Spektakel aufgezogenen Show waren Bowie und sein kongenialer Gitarrist Mick Ronson. Im gleichen Jahr trafen Bowie und Manager Tony Defries in New York Lou Reed und Iggy Pop. Zwischen Ziggy, dem bleichen britischen Alien, und Iggy, dem Rock ’n‘ Roll Animal aus Detroit, entwickelte sich ein Art transatlantischer IiebesafFäre, die Regisseur Todd Haynes in „Velvet Goldmine“ thematisiert. Ob Alben von Iggy Pop („The Idiot‘ und „Lust For Life ) produzierte, garantiert glamfrei, aber ähnlich wie „Low“ und „Heroes“, seine eigenen Impressionen vom Leben in der Frontstadt, narkotische Meisterwerke. Bowie ging sogar mit Iggy auf Tour, saß aber bei Konzerten irgendwo in den Kulissen hinter den Keyboards.
Doch zurück ins London des Jahres 1972 und zu einem fast rund um die Uhr arbeitenden David Bowie. Für Mott The Hoople, eine chronisch erfolglose, weil schmählich unterschätzte Band um lan Hunter und den späteren Spiders- und Dylan-Gitarristen Mick Ronson schrieb er – zwischen zwei Telefonaten, wie die Legende uns glauben machen will – den Song, der zu einer der Glam-Hymnen schlechthin werden sollte: „All The Young Dudes“. Bowie produzierte das gleichnamige Album und betreute auch das „magnum opus“ eines anderen Seelenverwandten: Lou Reeds epochales Werk „Transformer“ mit dem lässig-lasziven Megahit „Walk On The Wild Side“. Binnen kurzem allerdings verwandelte sich Reed unter dem Einfluß illegaler Substanzen zum Zombie und frönte einer abgeschmackten Glamrock- Variante, die in einem simulierten Heroinschuß auf der Bühne und kakophonischer „Metal Machine Music“ gipfelte Glücklicherweise bekam „Tante Lou“ irgendwann wieder Boden unter die Füße.
David Bowie widmete sich derweil – man schrieb mittlerweile das fahr 1973 – dem Nachfolgealbum für „Ziggy Stardust“. „Aladdin Sane“, eine An Tagebuch der 72er US-Tour, zeigte ihn – wie das Wortspiel im Titel („A lad insane“) suggerierte – am Rande des Nervenzusammenbruchs. Es wurde das finale Feuerwerk des Glitter-Genres. Der strahlende Glam-Rock schien einfach zu implodieren. „Musik sollte nicht dauernd hinterfragt, analysiert oder zu ernst genommen werden. Sie sollte aufgemotzt werden, in eine Hure verwandelt, in eine Parodie ihrer selbst“, hatte Bowie einst gefordert. Glam, das war die Pressekonferenz von Bowie, Iggy Pop und Lou Reed 1972 im Dorchester Hotel, bei der Reed – mit Wasserleichenteint und schwarzen Fingernägeln – Bowie vor den Augen der Presse auf den Mund küßte; Glam, das war „Warn bam thankyou mam“ statt „Give peace a chance“; das war Marc Bolan, der den „Jeepster“ schuf und den „Metal Guru“; das war der Nicht-Musiker Eno, der zu „Virginia Piain“ herumhüpfte und den Synthesizer jaulen ließ; Glam, das waren Zeilen wie: „You’ve got your mother in a vvhirl, because she’s not sure if you’re a boy or girl.“
Aber nun saßen Geschäftsleute am Ruder, ertönte überall der Bubble-Glam der Fließbandschreiber Chapman und Chinn, enterten Retorten-Aas wie Sweet und Mud, Suzi Quatro und Gary Glitter die Charts. Sogar kernige Rocker wie Mick Jagger oder Rod Stewart gerierten sich kurzzeitig als geschminkte Gecken. Immerhin lärmten diesseits des Großen Teiches noch Slade, die Radaubrüder um Noddy Holder und Dave Hill, sowie Cockney Rebel, bei denen Steve Harley Sinn für Selbstinszenierungen bewies, jenseits des Ozeans die trashigen New York Dolls, der mit Guillotine und Gewürm hantierende Alice Cooper sowie die bizarren Sparks. Lots of fun. Aber Glamour?
Zeit also, sich neuen, vielleicht ernsteren Dingen zuzuwenden. Doch nicht, ohne dem wie kaum eine andere Pop-Spielart geschmähten Glamrock Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: Denn ohne Glam wären Punk und New Wave kaum denkbar, wäre Queen wohl eine Durchschnittsrockband geblieben, Elton John ein unscheinbarer Pianist, Prince „just anothersoulbrother“, und selbst Madonna womöglich nur ein „material girl“. Nicht auszudenken. Unterdessen mehren sich Hinweise, David Bowie plane eine Wiederbelebung von „Ziggy Stardust“. Bowie arbeitet an einem Film über sein legendäres alter ego, will dafür atich alte, bis dato nicht fertiggestellte Songs aus seiner Glam-Phase ausgraben. Ein „Rock ’n‘ Roll Suicide“ am Ende des Milleniums? „You’re too old to lose it, you’re too young to choose it.“ Can you hear me, Major Tom?