Jahrmarkt der musikalischen Attraktionen


Wenigergroße Namen als im Vorjahr, aber keineswegs weniger interessante. Viele Newcomer und ein paar Big Ones machen die allnovemberliche Sause beim Bayerischen Runkfunk zum Bummel durch den Jahrmarkt der musikalischen Attraktionen.

Im Zuge der Umbenennung seines Jugendradios von Bavarian Open Radio zu on3radio hat der BR folgerichtig auch sein von den Münchner Indie-Folks heißblütig geliebtes Hallenmasters, das sich in den letzten fünf Jahren zu einer zünftigen Münchner Institution gemausert hat, umgetauft. Geliebt wird es immer noch, was allein schon am wieder einmal vergeblichen Versuch, Anfang November noch ein Ticket auf dem regulären Vorverkaufsweg zu ergattern, festzumachen und auf die stets geschmackssichere Zusammenstellung des Line-ups zurückzuführen ist.

Ein (Noch-)Geheimtipp im diesjährigen Line-up war die Würzburger Songwriterin Karo, die einen Seelenstriptease hingelegt hat, der seinesgleichen sucht. Ihre zerbrechlichen Lo-Fi-Songs brauchten nur ihre Stimme, eine leicht angezerrte Stratocaster und punktuell ein Schlagzeug vom Band, um das Studio 3 inklusive der komplett angetanzten TV On The Radio gefangen zu nehmen. Ein gewaltiger, ihr vorauseilenden Farne, den die Mittzwanzigerin da bereits entfacht hat, wohlgemerkt: ohne ein Album draußen zu haben (soll Anfang 2009 kommen). Zeit, das Erfühlte zu verarbeiten, blieb im engen Schedule (leider) nicht. Lieber schnell die Area gewechselt, damit wir eins der vielen bass-, beat- und elektrolastigen Themen an diesem Abend nicht versäumen: Die portugiesischen Buraka Som Sistenia, die schon länger von den Szene-Hipstern durch Angesagthausen getrieben wurden, konnten nun endlich ihren ursprünglich aus Angola stammenden und in Lissabon aufgepimpten Kuduro-Sound in die bayerische Landeshauptstadt importieren und ans bewegungswillige Volk bringen, was problemlos gelang. Einen Arm in die Luft gereckt und drauflosgesprungen, so sah der eigenwillige, aber auf die direkt in die Hüfte fahrenden Boiler-, Break- und Technobeats passend zugeschnittene Tanzstil aus. Wicked!

Ganz im Gegensatz zum Auftritt einer der Durchstarterinnen des letzten Jahres. Hatte uns Santogold im Juni 2008 mit ihrem eklektischen Debüt noch so gefiasht, dass wir es zur Platte des Monats gekürt haben, entpuppte sich der Vortrag von Ms. White als nicht mehr als eine Santi-Playback-Show. Gerächten zufolge hatte Santi kurz vor dem Festival ihre Tourband gefeuert und war deswegen nur mit DJ und zwei Background-Sängerinnen (oder besser: -Steherinnen – die bewegten nur ihren Mund) angereist. Doch auch dafür klang die Chose sehr, als ob man im Vorfeld den Entschluss „Spielen wir halt die MP3S und gehen dazu g’scheit ab“ gefasst hätte. Bis auf zwei Songs soll Santi nicht mal selbst gesungen haben.Da kamen die Lachsfischervon Port O’Brien gerade recht. Auch wenn ihr handgemachter Folk-Rock ein wenig enthusiastischer dargereicht hätte werden und ein wenig mehr Punch hätte aufweisen können, verströmte das mittlerweile in Oakland, Kalifornien, ansässige Quintett jede Menge Charme. Man nehme nur die mit offenen Armen angenommenen und konsequent umgesetzten Mitsingübungen („Ohhh-oh-oh-oh-oh-ohohhh!“) vor ihrem Festgesang „I Woke Up Today“, die bewiesen: auch ein Indie-Auditorium grölt gern mal mit.

War es eben noch bierselig-bodenständig, wurde es eine Türweiter bei TVOn The Radio anständig ätherisch. Gewohnt sicher beherrschten die Brooklynites ihr vielschichtiges Experimental-Rock-Set, doch irgendwie konnte ihre extraterrestrische Erhabenheit dieses Mal nicht den dicht gedrängt zugestellten Saal durchdringen. Dabei mühte sich Sänger Tunde Adebimpe redlich, hauchte, flehte und raunzte um sein Leben. Und auch die Schreddergitarren-Einschübe von David Andrew Sitek nervten dieses Mal nicht, sondern schnitten, wie es sich gehört, direkt ins Gehörgangfleisch. Vielleicht hätten ein paar Magic Mushrooms Abhilfe geschaffen, vielleicht war der Hirnficksoul von TVOTR für diesen Abend auch einfach zu sophisticated. Der Menge gelüstete es, so schien’s, vielmehr nach einem herzhaft-blutigen Hüftsteak, was ihr die drei Nachwuchsmetzgermeister von der Schlachthofbronx fachgerecht zusägten. Wer vor deren Geballer keine Vorstellung von Minimal-Techno hatte, hatte sie fraglos danach (wenn auch eine falsche). Eine saftige Bassline wird mit stampfigen Knallerbeats garniert – fertig ist das neues Dance-Genre Munich Bass, worin sich die Sendlinger als die Zinedine Zidanes unter den Fleischernerwiesen: Hier filigran, dort „Auf die Fresse!“ -je nachdem, ob gerade das Fett vom Muskelfleisch getrennt oder zerhackt und zerlegt werden muss.

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