Joe Cocker: Rotterdam, Ahoy


Da steht er – eine Ruine von Mann: struppiger Bart, verwittertes Gesicht, ein ordentliches Brauereigeschwür vor sich hertragend. Da steht er und rudert mit den Armen wie eine Windmühle. Da steht er und gibt den geschundenen, mißhandelten Bluesmann, das stets ausgebeutete Opfer widriger Mächte und böser Menschen. Da steht er als singendes Woodstock-Denkmal, einer, der der Erosion tapfer standhält. Mit 43 Jahren – das zeigte das Konzert im Rotterdamer Radsport-Stadion „Ahoy“ – steht Cocker aber auch wieder da, wo er schon einmal war: an der Spitze. Die Alben Civilized Man, Cocker und Unchain My Heart sind Bestseller; der Krächzer ist hierzulande ein gern gesehener Bühnengast.

Heute kann er es sich leisten, zwischen zwei Songs mit seiner Trunksucht zu kokettieren, indem er ins Bühnendunkel die kesse Frage nach einem kalten Bier richtet. Dann, die kühle Dose in der Hand, beißt er sich weiter durch sein hitreiches Repertoire.

Nichts wird ausgelassen! Mit der Routine von gut 20 Bühnenjahren präsentiert er alte und neue Klassiker: „You Are So Beautiful“, „Seven Days“, „Civilized Man“, „You Can Leave Your Hat On“, „Shelter Me“, „Up Where We Belong“, „Don’t You Love Me Anymore“.

Doch Cockers Performance hat nichts Leichtes, Lockeres oder gar Souveränes. Das Erlebnis hat dramatische Nuancen: Mitleid und Furcht für diesen spastisch verkrümmten Körper, der die Melodien aus sich herausquält; für diese geschundene Kehle, die in hohen Lagen nur noch skizzenhaft phrasiert: für diesen leicht schwankenden Barden, der seine Zeilen zerkaut, ganze Silben verschluckt – die Kunst der Andeutung jedoch zur wahren Meisterschaft entwickelt hat.

Cocker ist ein Malocher – auch und gerade als Sänger. Schon nach wenigen Stücken ist aus dem gut sitzenden Anzug das Kostüm einer Vogelscheuche geworden. Er schwitzt. Er zieht sein Jackett aus. Das Hemd lugt durchnäßt aus der Hose. Mit tapsig-unbeholfenen Tanzschritten dreht er sich im Kreis, spielt imaginäre Gitarren, verspreizt die Hände, schließt die Augen und krächzt sich den Blues von der Seele.

Die Dramaturgie des Abends, der Wechsel zwischen Beschleunigen und Bremsen, zwischen Laut und Leise, stimmt bis ins Detail. Seine gerade erst zusammengestellte Band spielt druckvoll, kompakt, nur hier und da durch kleine Premieren-Unsicherheiten gehandikapt. Die Neun-Mann-Formation macht immer dann Randale, wenn Cocker zu ermüden scheint. Herausragend – auch in optischer Hinsicht, ist der daumenflinke Pretenders-Bassist T.M. Stevens, der Cockers Unbeweglichkeit durch Bühnenartistik ausgleicht.

Auf produktionstechnische Mätzchen hat man – zum Glück – verzichtet. Denn hier geht’s um nichts anderes als Rhythm & Blues, der seine Breitenwirkung durch Anleihen beim amerikanischen Mainstream-Rock bezieht, um einen Sänger, dem in seinen besten Momenten das Schwierigste gelingt: das Publikum zu berühren!