John Foxx – Schizophrenie mit Methode
Hinter der stilisierten Fassade scheint das Individuum John Foxx zunächst gar nicht greifbar zu sein. Daß zwischen Schwarz und Weiß auch Schattierungen und Emotionen liegen, konnte Steve Lake im folgenden Interview feststellen.
Und nochmal wieder ins „Portobello Hotel“ in London, Ladbroke Grove, wo die Interview-Maschinerie auf Hochtouren läuft. Vier Pressemenschen rotieren das ganze Wochenende, bis an die Zähne bewaffnet mit Sony-Walkmans, Profi-Tonbandmaschinen, alten Kassettenrecordern, gelegentlich sogar mit Notizblock. Die Plattenfirmen karren die Stars herbei —- Stars, die (zufällig!) gerade neue LPs vorzustellen haben. Nun, so verdient man seinen Lebensunterhalt. Dieser Abend gehört John Foxx, und ich habe das kürzeste Los gezogen: das letzte Interview. Trostpreis: ein längerer Baraufenthalt.
In dieser übersättigten Medienwelt erscheint es außergewöhnlich, daß die anderen Journalisten alle lächelnd von der Begegnung zurückkehren. „Er ist wirklich ganz anders als seine Musik“, sagen sie und schütteln den Kopf..
Da ist etwas Wahres dran. Alle Eindrücke, angefangen bei dem roboterhaften Pulsieren von „I Want To Be A Machine“ und den strikten Taktangaben der Syn-Drums bis zu dem surrealen Text von „Plaza“ (I remember your face/ from same shattered windscreen“) — sogar die Publicity-Fotos, der geometrische Haarschnitt, das ausdruckslose Gesicht ohne den Anflug eines Lächelns — all das verführt dazu, in ihm den strengsten Technokraten zu sehen. Und doch strahlt John Foxx eine ganz eigenartige, nordenglische Freundlichkeit aus, die ebenso verwirrend wie in die Irre führend ist. Eine Offenheit, die — schwarz/weiß gedruckt — nicht festzuhalten scheint. Aber so ist John Foxx: Er lacht über die Komplexität dieser scheinbaren Widersprüche und ist gern bereit, sie in Einzelheiten zu besprechen.
Ja… hahaha… gute Frage, nicht wahr? Ich habe sie mir selbst auch oft genug gestellt, und ich habe viele Antworten parat. Ich komme aus Chorley in Lancashire, und dort mußte man in der Lage sein, sich mit den Menschen zu unterhalten, sie zu verstehen, sich ihnen anzupassen — oder man hätte ganz einfach nicht überleben können. Aber das ging immer nur bis zu einem bestimmten Grad, denn darüberhinaus hätten die Leute einem nicht folgen können.
Ein Dialog, der darüber hinausging, war für mich nur durch’s Schreiben möglich. Und das bedeutet, sich mit sich selbst zu unterhalten. Ich habe mich schon sehr früh daran gewöhnt, nie zu erklären, was ich wirklich dachte oder tat. Nicht, weil ich es etwa verheimlichen wollte, sondern weil ich wußte, daß unter jenen Lebensbedingungen dort einfach kein Raum dafür war. Ich entwickelte die notwendige Art von Schizophrenie: Einerseits rannte ich mit einer Bande Kumpels herum und machte da echt mit, andererseits schrieb ich im Kämmerlein meine Gedichte. Und ich sag dir, wenn du dort in der Schule erzählt hättest, daß du Gedichte schreibst, wärst du in zwei Tagen ein toter Mann gewesen!
Aber ich war entschlossen, dort zu bleiben… ich habe absichtlich die Aufnahmeprüfung für eine weiterführende Schule nicht bestanden, weil ich bei meinen Kumpels bleiben wollte… bei der Gang… und ich wußte, daß keiner von ihnen auch nur die Bohne Chance hatte, in die Realschule zu kommen. So habe ich mich immer geteilt, und ich benutze fast automatisch die oberflächlichere, die angepaßte Seite m ein er Person, wenn ich mich mit Leuten unterhalte.“
Bis jetzt ist jedoch wenig von dieser Leutseligkeit in seine Musik eingegangen, welche zumindest bis METAMATIC einschließlich extrem kalt und scharf wirkt. Seit Ultravox ist Foxx die Stimme, die tausend verbissene „industrielle“ Synthi-Bands ins Leben gerufen hat.
„Persönlich gebe ich nie zu, daß ich in einer speziellen Situation erschreckt oder verwirrt bin. Vielleicht äußere ich mich ein paar Monate später darüber, aber nur ganz selten gebe ich eine spezifische Darstellung meiner Gefühle. In der Musik kann ich es. Ich kann den Augenblick wieder aufleben lassen und etwas schaffen, das einschüchternd, bedrängend oder öde wirkt. Ich kann versuchen, jene Elemente zu isolieren, die mir dieses Gefühl vermitteln.
Es mag vielleicht komisch klingen, aber ich habe schon immer viel Vergnügen daran gefunden, in Melancholie zu verfallen. Das ist eine Traurigkeit, die nicht wirklich traurig ist, ein sanftes Gefühl, das dich irgendwie fortträgt. Ein positives Gefühl. Das gelingt mir am besten, wenn ich arbeite und Ideen auftauchen und ich von ihnen in eine Richtung getragen werde, für die ich nicht verantwortlich bin. Eine Art medialer Gefühlssituation, obwohl sie ganz so mystisch auch wieder nicht ist. Es stimmt, daß meine frühe Musik und meine frühen Texte eher depressiv waren, aber das weist eigentlich nur auf die Unvollkommenheit meiner Arbeit hin. Es bedeutet nicht, daß ich notwendigerweise so fühle. Es war nur so, daß ich diesen Gefühlen damals am nächsten kommen konnte.“
Natürlich müssen diejenigen, die in Foxx’s Songs nach Aufschlüssen über seinen Charakter suchen, sich mit den atmosphärischen Stimmungsbeschwörungen zufriedengeben, denn in seinen Texten verrät er absolut nichts. Der Gedanke ist wohl durchaus berechtigt, daß die obskuren Textzeilen zusätzlich eine Maske des Selbstschutzes bieten. “ Oh ja, ein sehr, sehr guter Selbstschutz (er lacht), aber das ist Teil der Bemühung und des Wunsches, die Songs nicht persönlich auf mich zuzuschreiben, sondern zu versuchen, sie durch eine dritt ePerson zu vermitteln — und diese dritte Person war ‚The Quiet Man‘, den ich vor langer Zeit stilisierte. Ja, es ist überaus angenehm und beguem, sich einer dritten Person zu bedienen, wenn man eigentlich sagen will: ‚Ich bin‘. Dabei handelt es sich um eine Ersetzung, die Patienten in der Psychiatrie ständig an sich selbst erleben. In ihren Träumen erschießt eine Ersatzperson jemanden, den sie nicht leiden können — in Wahrheit jedoch ist es ein Teil ihrer eigenen Person, der die Tat vollbringt. Und genauso mache ich es.“
In der Tat ist John Foxx von nichts mehr fasziniert als von den Manipulations-Möglichkeiten, die ein Image und eine stilisierte Persönlichkeit bieten. Er akzeptiert sämtliche Fehlinterpretationen mit offenen Armen und findet ein diebisches Vergnügen darin, in Pressekommentaren über seine Konzerte und seine Platten Dinge zu lesen, die wenig oder gar nichts mit seinen Intentionen zu tun haben.
„Die Existenz in den Medien macht dich tendenziell zu einer eindimensionalen Person, die dafür bekannt ist, eine einzige Qualität zu haben, einen einzigen Charakteraspekt — unter Ausschluß aller anderen. Nur so wird man zu einer Medienpersönlichkeit: Im banalsten Bereich zum Beispiel ein Sexsymbol, oder ein Symbol von Geschwindigkeit, von Männlichkeit oder sonstwas. Und wenn du dich damit identifizierst, dann bist du verloren, wie wir an so berühmten Beispielen wie Marylin Monroe oder James Dean erfahren haben. Sie verwechselten das, was sie selbst waren, mit dem, was die Industrie verlangte. Aber sie zählten zu den ersten naiven Opfern. Seither ist vieles geschehen, und inzwischen kann man eigentlich ganz lässig seinen Spaß mit diesen Einschränkungen haben. Natürlich können diese Dinge aber auch viel subtiler wirken. Ich kann damit umgehen, denn ich bin kein so bedeutender und beeindruckender Star. Das will ich nicht werden und werde es auch niemals sein, weil ich nicht bereit bin, nur einen Aspekt überzubetonen, um im großen Spiel mithalten zu können. Daher bin ich schwerer identifizierbar, und ich halte meinen Erfolg in einem Bereich, den zu kontrollieren ich mich in der Lage sehe.
Was die Entstellungen betrifft, so machen sie mir viel Spaß. Verstehstdu, wenn man einen Song schreibt, dann schafft man einen Bereich, in den die Leute etwas von sich selbst hineinprojizieren können. Die alte abgegriffene Floskel: ‚Du kannst nur rausholen, was du reingetan hast‘. Meiner Ansicht nach schafft ein Künstler nicht Inhalt. Er schafft nur den Bereich, den formalen Bereich, in den sich die Leute hineinversetzen können, in dem sie sich selbst wiederfinden können.
Ich mochte nieSongs, dieso spezifisch waren, daß sie nur eine Dimension hatten. Alle frühen Punk-Songs —- „Get out on the street, Londons burning“ und dergleichen — besitzen heute nur noch einen antiquierten, zeitgebundenen Wert. Wie Zeitungen von gestern. Und mir war zu jener Zeit klar, was da passierte. Also hielt ich mich raus und schrieb stattdessen Systems Of Romance‘. Ich bin der Meinung, daß die politische Dialogfähigkeit der Punks einfach zu naiv war, um sich mit Wörtern auszudrücken. Ich meine, niemand ist weniger qualifiziert, über Politik zu reden, als ein Rockmusiker, Ende. Ich unterhalte mich lieber mit einem Busfahrer über Politik.“
Eigenartigerweise haben sowohl Foxx wie seine ehemalige Band Ultravox jetzt LPs herausgebracht, in deren Titel Bezüge zu einem Symbol festzustellen sind, das der Geschichte der Politik noch zeitlich vorausliegt. Die Platte von Ultravox heißt RAGE IN EDEN, und die neue Foxx-LP heißt THE GARDEN.
„Ich habe eigentlich nicht speziell an den Garten Eden gedacht, sondern mehr an einen einfachen Garten der Freude. Aber mir ist schon klar, daß es da Verknüpfungen gibt. Der Garten Eden ist eine ungemein wichtige Metapher, weil jeder ein solches Ideal in sich hat, aber dann muß er ran und sich den Realitäten der Welt stellen. Also geht man hinaus, tut, was man tun muß, und hat vielleicht die Möglichkeit, wieder zurückzukehren und sich einlach an den Dingen zu erlreuen — ohne zu versuchen, ihnen die eigenen Wünsche aufzuerlegen. Mir ist bewußt geworden, daß es mir selbst so ging. Ich habe lange Zeit gekämpft und dann schrittweise eingesehen, daß es besser ist, die Dinge geschehen zu lassen. Seither ist für mich alles viel einfacher geworden.“
Die Platte ist in einem Landhaus in Surrey aufgenommen worden, und einige Spuren wurden tatsächlich unter freiem Himmel eingespielt. Foxx hat sich offensichtlich sogar so weit gehen lassen, daß er den Vögeln und den Bäumen ein Mitspracherecht einräumte! Seine Zusammenarbeit mit den Musikern Duncan Bridgeman, dem Bassisten Joe Dworniak und dem Schlagzeuger Phil („Ich glaube nicht, daß ich seinen Nachnamen je gehört habe“) war ähnlich frei.
„Auf METAMATIC habe ich konsequent meinen Willen durchgesetzt, aber diesmal ließ ich den Zufall mitspielen. Ich habe zugelassen, daß manche Dinge nach eigenen Gesetzmäßigkeiten abliefen — normalerweise hätte ich sie kontrolliert— und ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis.“
Eine der festverwurzelten Antipathien, die als erste verschwanden, war die gegenüber akustischen Instrumenten. Der Bassist Dworniak war ausschlaggebend daran beteiligt, indem er vorschlug, statt der Perkussionsmaschinen, die fast schon zu Foxx’s Markenzeichen geworden waren, einen echten Schlagzeuger einzusetzen. Phil, seit zehn Jahren Dworniaks Partner, brachte einen Schlagzeugstil mit, der irgendwo zwischen Disco und Reggae liegt und die Songs auf unerwartete Weise ergänzt. Foxx war so angetan von dem Ergebnis, daß er akustische Gitarre, Geigen und Celli mit einbezog und sogar versuchte, „richtig natürlich zu singen“. Unter Zuhilfenahme von Stimmen-Synthesizern baute er eine Sequenz von Gregorianischen Gesängen auf, die auf dem „Vaterunser“ basiert und zum Zentralstück der LP wurde.
„Manche der verwendeten Ideen mögen vielleicht im Hinblick auf meine persönliche Entwicklung paradox erscheinen, aber die Fähigkeit, Paradoxes zu akzeptieren — das habe ich von Zen und vom Surrealismus gelernt— ist ein sehr wichtiger Schritt im Denkprozeß, im Erwachsenwerden.
Ich war immer der Ansicht gewesen, Musik habe mit Organisation zu tun, aber diesmal ließ ich ein freies Spiel zu. Was dabei herausgekommen ist, ist viel besser als etwas, das ich hätte planen können. Ich denke, man könnte es Improvisation nennen, nur handelt es sich um Improvisation mit Musikern und Ideen — nicht um Improvisation, die aus der Meisterschaft an einem Instrument geboren wird.
In der Vergangenheit waren die Melodien schon fixiert, wenn ich ins Studio ging. Und wenn etwas klar durchkonzipiert ist, dann gewinnt es an Symmetrie und Perfektion, aber gleichzeitig verliert es auch etwas anderes, eine bestimmte Feinheit, etwas Mysteriöses… ich kann das nur als eine emotionale Qualität beschreiben. Ich glaube, es ist uns bei THE GARDEN gelungen, diese Qualität zu erhalten.“
Foxx’s Mitarbeiter scheinen seinen Enthusiasmus zu teilen und drängen gegenwärtig den Sänger, aer ansonsten vor Tourneen zurückscheut, mit diesem Material auf Tour zu gehen.
„Natürlich würde ich es gern tun, aber ich habe da meine Aversionen. Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen, aber alle anderen Aspekte einer Tournee sind nervtötend Die eineinhalb Stunden auf der Bühne sind intensiv genug in sich selbst, aber die restlichen zweiundzwanzig Stunden machen mich total kaputt. Ich habe Freunde, die blühen auf einer Tour und durch den damit zusammenhängenden Lebensstil geradezu auf, aber unglücklicherweise bin ich ganz und gar nicht so. Jedesmal, wenn ich von einer Tour zurückkomme, brauche ich mindestens zwei Monate, um meinen Kopf wieder in den Griff zu bekommen. Ich verliere so sehr die Orientierung, daß ich nicht mehr weiß, wer ich eigentlich bin.“
Sollte das vielleicht das Berufsrisiko eines Image-Manipulators sein?