John Watts: Going On
Leidet John Watts unter einem übersteigerten Ego oder waren die von ihm an die Luft gesetzten Fischer Z-Musiker nicht flexibel genug?
Zumindest im Interview ließ sich der wortgewandte Psychologe nicht die
Butter vom Brot nehmen.
Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht“, pflegte mein vor Jahren verblichenes Säufer-Ich gelegentlich zu lallen. (Übrigens eines seiner ganz wenigen Erkenntnisse.) Da lädt die EMI Mitarbeiter und Journalisten aus der letzten Ecke Europas ein, um sie mit einem beschaulichen Teekränzchen tödlich zu langweilen. Sinn der Aktion: die Vorstellung der neuen John Watts-LP.
Jeder der Anwesenden sitzt in einer barocken Orangerie an einem noch barockeren Tisch auf einem barocken und äußerst unbequemen Stuhl und wird permanent von einer Kellnerin mit der Teekanne malträtiert. Der Star, sprich Mr. Watts, betritt die Arena. Klatschen der EMI-Claqueure. Die neue LP wird aufgelegt und umgedreht und umgedreht und umgedreht … mit dem Resultat, daß vielen Geladenen, einschließlich mir, besagte Platte umgehend zum Halse raushängt. Anschließend die obligatorische Party: Besichtigung der Raubtiere. Damit auch der portugiesische und griechische EMI-Vertreter weiß, wie die Künstler seiner Firma hautnah aussehen, hat man alle verfügbaren Bands herangekarrt. Das geht von der John Watts Band über Duran Duran, Classix Nouveaux, Gang Of Four bis zu Bumble & The Beez. Der Grieche schaut jedoch wenig beeindruckt – sitzt den ganzen Abend geistesabwesend in der Ecke – in Gedanken wahrscheinlich bei den lauen Abendlüften eines Mittelmeerstrandes.
Für mich nimmt die Fete eine glückliche Wende, als ich auf Gesinnungsgenossen treffe: John King von der Gang Of Four sowie die neue Band Bumble & The Beez. Die mögen solch dröge Feierlichkeiten genausowenig („Das gehört zu den wenigen Kompromissen, die wir machen“) und können wunderbar zynisch lästern. King demonstriert mir außerdem äußerst anschaulich seine jüngst erworbenen Kung Fu-Künste – und Bumble & The Beez („We’ve got a stupid name, but we’re quite a left wing group“) kennen sich überraschend gut mit deutscher Politik und Kultur aus („You’re german? Do you know Bärtold Braucht?“).
Informiert und artikuliert ist auch John Watts. Und sympathisch. Beim Interview am folgenden Nachmittag sitzt mir ein mittelgroßer Endzwanziger gegenüber – mit kurzem Haar, wachem Blick und Aknenarben, die auf eine picklige Jugend schließen lassen. Hier in der BRD ist er bekannter als in seiner englischen Heimat. Mit der letzten LP seiner mittlerweile aufgelösten Band Fischer Z, RED SKIES OVER PARADIESE, schaffte er gar den Sprung hoch in die deutsche Charts. Warum hat er das erfolgversprechende Projekt aufgelöst und sich eine neue Begleitband (Dave Purdeye, Bass und Derek Ballard, Drums) gesucht?
„Es ist schwer, mit einer testen Band Veränderungen und weitere Entwicklungen zu verwirklichen. Ein einzelner Künstler kann sich nach Belieben verändern, wenn du aber noch zwei, drei Leute bei dir hast, können die das nicht in gleichem Maße nachvollziehen, und: Wir waren eine hart arbeitende Band – 500 Auftritte während drei Jahren. Die Jungs hatten keine Lust mehr auf Weiterentwicklung und das permanente Touren. Wenn z. B. eine 40-Tage-Tour anstand meinte David, unser Bassist: „Können es nicht auch 10 oder 5 Tage sein?“ Es gab einfach kein gutes Feeling mehr. Wir waren müde – und ich glaube man hat uns das angemerkt. Manche Leute haben mir das Auswechseln der Band übelgenommen und behauptet: „Watts ist ein großes Ego – er will den alleinigen Einfluß“. Das trifft in meinem Fall jedoch nicht zu. Schließlich habe ich diesen Einfluß immer gehabt.“
Wie erklärst du es eigentlich, daß du in der BRD größeren Erfolg hast, als in England?
„Weil mein Image und modischer Stellenwert in England minimal ist. Das merkt man auch am neuen Album. Es entspricht überhaupt nicht dem momentanen Trend, es ist eine auf einfachem Wege entstandene und an den roots orientierte Platte. Für das englische Publikum habe ich kein einfach zu identifizierendes Image. Ich bin nur ich.“
Vielleicht hättest du dich als Pirat verkleiden sollen?
„So ist es“, sagt er und lacht. Als ihr mit Fischer Z begonnen habt, hat man euch als New Wave Act bezeichnet. Wie stehst du heute dieser Etikettierung gegenüber?
„Ich war immer von der Energie beeindruckt, die von Punk und New Wave ausging. Punk hat uns die Power gegeben, Fischer Z zu verwirklichen. Was ich an New Wave besonders mag, ist die rigorose Einstellung, jegliche Energie musikalisch umzusetzen. Gerade bei einem Liveauftritt. Das war bei Fischer Z so und das ist auch heute noch der Fall.“
Wie denkst du über die Entwicklungen, die momentan in England passieren, beispielsweise die New Romantics?
„Da gibt es einige Trends, die durchaus interessant sind. Die Gruppen hier haben sich allerdings primär auf Single-Produktionen eingestellt. Bands wie Duran Duran, Depeche Mode oder Haircut 100 machen teilweise hervorragende Singles. Ihre LPs jedoch sind meist nur Füllwerk und daher unterm Strich ziemlich lau. Außerdem sind sie stark auf Video fixiert.
Sie machen deshalb meist keine oder nur schlechte Liveauftritte.
Darin unterscheiden sie sich auch erheblich von den Punkbands der Endsiebziger -und das ist der Punkt, der mich stört. Sie sind sterile Studio-Produkte.
Dieser sogenannte technologische und elektronische Fortschritt wie z. B. Video birgt auch noch andere Gefahren in sich. Er hält die Leute in ihren Löchern fest. Es ist schlimm, wenn 13+ 14jährige schon dazu erzogen werden, alles vom häuslichen Fernsehen aus zu konsumieren. Zu einem Konzert gehen, heißt ja nicht nur, sich eine Band anzusehen. Es ist auch eine soziale Aktivität.“
Aus solch klugen Worten (und das meine ich ernst) erkennt man den analytisch denkenden Menschen. John Watts hat Psychologie studiert und auch praktisch in Kliniken gearbeitet. Wie stark hat sich das in seinen künstlerischen Aktivitäten niedergeschlagen?
„Es hatte starken Einfluß auf das erste Album WORD SALAD, weil ich mich bis dahin fast ausschließlich mit dieser Thematik beschäftigt habe. Es ist auch heute noch gegenwärtig – doch mein Interesse ist künstlerischer und nicht akademischer Natur.“
Deine Texte, auch die der neuen LP, sind offensichtlich sehr analytisch. Ein Song beispielsweise heißt „I Know It Now“. Was weißt du jetzt?
„Der Song handelt zunächst einmal vom Ertrinken. Ich wäre in Portugal fast ertrunken. Dieser Unfall hat mich letztlich auch dazu bewegt, Fischer Z aufzulösen. Verstehst du, ich wäre beinahe krepiert und hätte nie etwas anderes gemacht als Fischer Z! Eine Sache, auf die wir eigentlich alle keinen Bock mehr hatten.
„I Know It Now“ handelt zwar oberflächlich vom Ertrinken, ist aber trotzdem allgemeingültig. Du merkst auf einmal in so einer Situation, wie lächerlich viele Dinge sind die du vorher hundertprozentig ernst genommen hast. Dinge, über die du dir den Kopf zerbrochen hast und die dich verwirrt haben. Es war eine bizarre Situation. Ich war nur 200 Meter von der Küste entfernt, konnte jedoch wegen einer starken Störmung nicht mehr zurück. Ich trieb also dort vor mich hin und sah am Strand Kinder mit einem Ball spielen und dachte bei mir, „Das wäre wirklich eine Farce, hier 200 Meter von den spielenden Kindern – einfach abzusaufen!“
Außerdem schossen mir alle die Sprüche meines Managers durch den Kopf wie: „Du kannst Fischer Z jetzt nicht auflösen. Du hast dir doch gerade erst eine Karriere aufgebaut“. Das alles war mir auf einmal völlig unwichtig. Nun ja, wie du siehst, bin ich letztlich doch noch mit dem Bauch voll Wasser herausgefischt und wiederbelebt worden.“
Ein Lieblingsstück auf der neuen LP ONE MORE TWIST ist ein Uptempo-Rocker namens „One Voice“. Dort beschwört John eine neue Generation, die das „blowin‘ in the wind“ endgültig satt hat. Wen meint er damit?
„Die gesamte junge Generation in Europa, die teilweise bemerkt hat, daß die USA den europäischen Kontinent als potentiellen Kriegsschauplatz betrachten. Heute ist es im Gegensatz zu den Sechzigern, als die Friedensbewegung eine reine Hippie-Domäne war, eine ganze Generation, die aufsteht und protestiert. Das geht quer durch die Bank: Punks, Skinheads, Hippies, Gewerkschaftler, Intellektuelle. Außerdem sind die Protestler nicht mehr ausschließlich junge Leute. Es ist eine sehr breit gefächerte Bewegung. Deshalb: „One Voice“.
In der Fischer Z-Story vor einem Jahr im ME erwähntest du ein Theaterstück, an dem du arbeiten wolltest. Ist es fertig und wovon handelt es?
„Letztes Jahr habe ich es geplant, dieses Jahr schreibe ich es und hoffe, daß ich es in zwei, drei Jahren abgeschlossen habe. Über den Inhalt möchte ich noch nichts erzählen nur, daß es einiges mit Psychologie zu tun hat. Die Musik zu diesem Theaterstück wird aber das nächste Album sein, das ich nach ONE MORE TWIST veröffentliche.“
Es gab sicher noch einiges von und über John Watts zu erzählen. Egal, ob meine Fragen nun in eine künstlerische, politische oder sehr persönliche Richtung gingen – in allem ließ er eine äußerst fundierte Meinung erkennen. Und auch wenn ich seine neue LP für nicht so überzeugend wie das Debüt WORD SALAD halte, bleibt eins festzuhalten: Dieser Mann hat etwas zu sagen – es lohnt sich, ihm zuzuhören.