Kaiser Chiefs: Dienst nach Fortschritt


Die neuen Kaiser Chiefs lassen Gimmicks weg und schmettern längere Wörter in ihren Refrains. Aber so groß wie Michael Jackson auf der Höhe von THRILLER wollen sie immer noch werden.

Die Metropolis Studios im Londoner Stadtteil Chiswick sind der Ort, wo die Neugierde befriedigt wird. Zumindest die der Journalisten aus der halben Welt, die an diesem Tag im Dezember hierher gekommen sind, um das zweite Album der Kaiser Chiefs zu hören. Der englische Promoter der Plattenfirma kann seinen Stolz bzw. den seines Unternehmens kaum verbergen, als er von den eigens aus Japan, Australien und Neuseeland angereisten Gästen berichtet. Die öffentliche Uraufführung dieses Albums: ein Ereignis von globaler Bedeutung. Der Mann ist allerdings gleichzeitig auch ein wenig panisch. Denn die Interviewliste ist lang, mehrseitig gar, und er muss zugeben, dass die Band selbst noch gar nicht weiß, wie lange sie heute damit beschäftigt sein wird, der Öffentlichkeit einen zu erzählen. Vielleicht ist es ja ein Glück, dass wir heute als Erste der Band Fragen stellen dürfen (und deshalb auch als Erste den Nachfolgervon EMPLOYMENT hören).

So viel – um die Neugierde des Lesers nicht überzustrapazieren – vorneweg: Aus dieser Neugierde darf getrost schon mal Vorfreude werden. Denn wenn nicht alles, vor allem die Lautstärke der großen Boxen, über die das Album (welches am 23. Februar erscheinen soll) einmal und nur einmal in voller Länge ins Studio gepowert wurde, täuscht, dann werden in gut fünf Wochen geschätzt sieben bis 13 neue Ohrwürmer der Kaiser Chiefs die Gehörhänge bis auf Weiteres blockieren.

Blockieren, nicht verkleben! Die Band hatte ja schon darauf hingewiesen, dass sie auf der neuen Platte auf „gimmicks“ verzichtet habe. Da hat sie keinen Blödsinn erzählt. Im Vergleich zur gewissen poppigen „cheesyness“, den Billigsynthies und ein- bis zweisilbigen Gröl-A-Longs von EMPLOYMENT wirken die Songs tatsächlich „mager“ und „schlank“. Aber sie (glam)rocken auch gewaltig. Die ersten vier Stücke – „Ruby“ (die erste Single), „The Angry Mob“, „Heat Dies Down“ und „Highroyds“ – gönnen dem Hörer überhaupt keine Verschnaufpause, bei Letzterem fühlt sich der sogar kurzfristig an die Queens Of The Stone Age erinnert.

Es lasst sich beim ersten Kennenlernen nur erahnen, welcher der Refrains demnächst in den Indieclubs skandiert werden wird (persönlicher Tipp: der Chorus „We are the angry mob“). Weitere Aufhorcher: „Love’s Not A Competition“, eine atmosphärische, gar The-Cure-artige Akustikgitarren-Nummer; „Everything Is Average Nowadays“, eine Hymne im Geiste von „Teenage Kicks“ von den Undertones; und „Retirement“, der letzte Song des Albums, mit dem auch Blurs parklife gut hätte enden können. Wäre „Retirement“ (Ruhestand) nicht auch ein guter Albumtitel nach „Employment“ (Arbeit, Dienst) gewesen? Nick Hodgson, Drummer, Songschreiberund „Teamcaptain“ der Band, der nach der Listening Session unsere Fragen beantwortet, will damit noch nicht herausrücken. Nur zugeben, dass der Song „einer der ersten war, die für das neue Album geschrieben wurden. Denn nur ein oder zwei Monate nachdem EMPLOYMENT raus war, haben wir uns tatsächlich überlegt, das zweite Album, „Retirement“ zu nennen. „Dem Captain ist trotz (oder gerade wegen) des frühen Interviewtermins sonst zunächst nicht viel zu entlocken. Unser vorsichtiger Vergleich seiner neuen Songs mit den Stompern der Glamrockphase des von ihm geschätzten David Bowie verpufft total. Dann versuchen wir es eben damit: Slade! „Slade sind gut. Oasis waren von Slade inspiriert. Und ich mag Oasis. Insofern ist das schon okay.“

Lieber schreibt Nick Hodgson die jetzt straighteren, aber auch kantigeren, schrofferen Songs der Weiterentwicklung seiner Band vor allem als Live-Act zu: „Wir waren fast zwei Jahre auf Tour. Wir fingen in kleinen Clubs an, als Headliner spielten wir bald größere Hallen, dann gingen wir mit den Foo Fighters in Amerika auf Tour, spielten in Arenen, zusammen mit U2 in den großen Stadien in Europa. Wir mussten also einfach immer lauter und größer werden. Wir sind da einfach irgendwie reingewachsen. Und diese Entwicklung hat auch auf dem Album Spuren hinterlassen.“

Ansonsten bestätigen sich während unseres Gesprächs die Vermutungen, die wir schon nach dem ersten Interview mit seinen Kollegen Sänger Ricky Wilson und Bassist Simon Rix zweieinhalb Wochen zuvor gehegt hatten (MUSIKEXPRESS 1/2007): Da war und ist festzustellen, dass bei den Kaiser Chiefs – trotz der selbst proklamierten Spielführerschaft von Hodgson – nicht nur der unbedingte Wille zur Einheit, sondern ein von jeher grundlegendes Einverständnis in allen Bandfragen herrscht: Ich kenne Simon und Peanut seit 18 Jahren und Whitey und Ricky seit zehn“, sagt Hodgson aus. „Wir müssen nicht mehr rausfinden, wer wir sind, wer wie tickt. Es ist wie in einer Fußballmannschaft.“ Ist Simon dann eher der Mann fürs zentrale defensive oder offensive Mittelfeld? Da muss er lachen. „Keine Ahnung.“ Aber auf jeden Fall ist das Team bestens eingespielt, sagt der Captain. In Trainersprache. „Ich würde sagen, die Stimmung war sehr inspiriert und alles ist einfach passiert“, berichtet Hodgson über die Aufnahmen. „Wenn etwas funktionierte, wusste es jeder sofort. Und wenn etwas nicht funktionierte, musste noch nicht einmal jemand etwas sagen, wir haben dann einfach aufgehört zu spielen und mit etwas anderem weitergemacht.“

Es werden aber auch ohne die expliziten Ausführungen durch den Chef schnell die Spielregeln klar, durch die sich die Kaiser Chiefs im großen Spiel Popbusiness behaupten wollen:

1. Bloß nicht andere Erfolgsrezepte kopieren und/oder die eigenen Popformeln überstrapazieren.

2. Clever, aber nicht zu clever sein. (Wilson meint zur viel zitierten Cleverness der Band: „Manche Bands wollen unbedingt zeigen, wie clever oder poetisch sie sind. Dass sie mehr über die Welt wissen als andere und deswegen darüberschreiben müssen. Das machen wir nicht. Aber wir können, wenn wir wollen, dumme kleine Songs wie ,Na Na Na Na Na‘ schreiben, einen Song, der ähnlich ist, wie zu McDonald’s zu gehen. Du wirst nicht satt, es ist nicht gut für dich, es ist sogar moralisch falsch, aber trotzdem gibt es etwas in dir, das es mag.“) 3. Um jeden Preis, in möglichst jeder Hinsicht anders sein als all die anderen Kapellen da draußen. (Hodgson erwähnt unter anderem das Tragen von „gestreiften Blazern“ in den Anfangstagen der Band als ein Kriterium des Andersseinwollens.) 4. Unbedingtes Selbstvertrauen an den Tag legen. (Wilson: „Du würdest staunen, wie überzeugt man von sich ist, wenn man eine Million Platten verkauft hat.“) 5. Die Ambition haben, noch größer, wenn nicht die größte aller Bands zu werden (siehe auch: Oasis, Mando Diao etc.). So erklären sich wohl auch Hodgsons Abschweifungen auf eine konkrete Frage, wie nach den „natürlicher“ klingenden Orgel- und Piano-Sounds auf dem neuen Album: „Als wir EMPLOYMENT aufnahmen, wollten wir anders sein. Danach haben uns einige Dinge selbst eingeholt, der ganze Synthie-Kram zum Beispiel. Also entschieden wir, das nicht mehr machen zu wollen. Vergiss es! Ich will, dass wir möglichst weit weg von dem sind, was all die anderen Bands machen. Verstanden? Ich erinnere mich daran, als ich ein Kind war, war Michael Jackson der Lieblingspopstar von allen. Du konntest jeden fragen, jeder hätte immer Michael Jackson genannt.War ja auch logisch, er hatte gerade Thriller und BAD gemacht. Also er stand dort, an der Spitze, und das ohne jede Frage. Und dann gab es die Liga aller anderen Popstars, da konnte man dann fragen: Magst du den? Magst du die? Aber Michael Jackson stand einfach über allem. Und ich will, dass wir genau dorthin kommen.“

Viel mehr ist aus Nick Hodgson an diesem Tag in 20 Minuten (es warten ja noch einige um die halbe Welt gereiste Journalisten) nicht herauszuholen. Glücklicherweise hatten sich Ricky Wilson und Simon Rix zuvor schon als perfekt eingespieltes Interview-Doppel bewiesen und einige Fragen längst beantwortet. Zum Beispiel nach etwaigen Spannungen, mit anderen Bands zu sprechen. Denn die bleiben ja meist nicht aus, wenn man sich hinstellt und klar vernehmlich einen Anspruch auf die Thronfolge im britischen Pop anmeldet (wobei noch zu klären wäre, ob dort immer noch Oasis oder doch Coldplay regieren …). Hatte Wilson nicht in der ME-Titelgeschichte im September 2005 behauptet, auf der gemeinsamen NME-Tour mit Bloc Party, The Futureheads und The Killers, die für alle Bands einen entscheidenden Karrieresprung bedeutete, „ein paar gute Freunde gefunden “ zu haben?

Ricky WILSON: Nun gut, wir hängen nicht mit irgendeiner dieser Bands ab. Wenn überhaupt, dann mit Bloc Party. Russell, der Gitarrist, lebt mit meiner Freundin zusammen in einer Wohnung. Es gibt also eine Verbindung. Ich habe ihr neues Album gehört und muss sagen, von den drei von dir genannten Bands mag ich ihres am liebsten.

SIMON Rix: Ich würde die ganzen Leute auch gerne wieder treffen und schon auch gerne sagen können, dass wir befreundet sind. Aber die Telefonnummern habe ich nur von Bloc Party …

Ihr habt damals von den „ähnlichen Erfahrungen geredet, die euch mit diesen Bands verbinden. Das ist ja auf andere Weise nun wieder der Fall. Habt ihr denn mit Bloc Party über das „schwierige zweite Album “ geredet. Erfahrungen ausgetauscht?

WILSON: Nein, haben wir nicht. Dazu machen wir dann doch zu sehr unser eigenes Ding. Es gibt ja diese Bilder von den Rolling Stones, auf denen sie gemeinsam mit Donovan in Südfrankreich abhängen. So etwas müssen wir nun wirklich nicht tun.

Rix: Außerdem ist es in der Tat schwierig, mit allen möglichen Bands richtig befreundet zu sein. Wir versuchen immer, nett zu allen zu sein, aber es herrscht doch auch eine Art Wettbewerb. Wenn wir beispielsweise bei einer Preisverleihung sind und zwei Awards gewinnen und eine Band, mit der wir befreundet oder bekannt sind, leer ausgeht, ist es ganz normal, dass Spannungen aufkommen. Ich denke, das wird besser werden, sobald jeder mal sein zweites, drittes Album rausgebracht hat, seine Rolle gefunden hat.

Wilson: Ja, diese Dinge werden sich legen, aber im Moment gehst du zu solchen Veranstaltungen, nimmst dir vor, mal mit den Leuten was zu trinken, tust es dann aber nie. Das letzte Mal, als ich Kasabian getroffen habe, haben wir noch darüber geredet, uns unbedingt mal auf ein Pint Bier oder zwei treffen zu müssen. Aber so eine good nightout kommt dann doch nie zustande. Ich würde das gerne mal machen, aber dazu sind wir einfach zu beschäftigt. Und wenn wir nicht beschäftigt sind, dann bin ich in Leeds, meiner Heimatstadt. Und dort gehe ich in keinen der angesagten Clubs, in die andere Leute so gehen. Das wäre auch fürchterlich. So kommst du zwar in die Zeitung, aber aus den falschen Gründen.

Bei aller gewollten Aufmerksamkeit für die Kaiser Chiefs, trotz der gesunden Portion Großmäuligkeit, aber auch gerade wegen des unbedingten Selbstvertrauens in die eigenen Fähigkeiten als Songschreiber, das diese Band an den Tag legt, wird sie wohl auch in Zukunft kein großes Schlagzeilenthema für die britische Yellow Press werden. Was ja nicht heißen muss, dass sich die Musiker deshalb all den Freuden, die das Leben als Popstar mit sich bringen kann, völlig entziehen …

Wilson: Ich würde niemals sagen, dass wir kein Rock’n’Roll-Leben führen, dann würden wir ja als Langweiler dastehen. Aber ich denke, der Punkt ist, dass wir uns nicht verändert haben, seitdem die Leute angefangen haben, unsere Musik zu mögen. Früher sind wir jede Nacht ausgegangen, bis in die Puppen aufgeblieben und haben Bier getrunken.

RIX: Ricky und ich waren vor ein paar Wochen auf der After-Show-Party der Premiere des Tenacious-D.-Films mit Jack Black und haben dort viele britische Stars getroffen und mit ihnen zusammen gefeiert. Und am Tag danach habe ich meine Kumpels aus Leeds getroffen, die mich fragten, was ich denn gestern so gemacht hätte. Und dann habe ich erzählt, ja, ich war auf dieser Veranstaltung, der und der und der waren auch da. Ich klang wie ein totales Arschloch …

Wilson: Die Sache ist die: Wir hatten einen großartigen Abend, es war sehr komisch. Aber genau das ist es eben: Es war komisch. Wir haben uns darüber lustig gemacht, mit diesen Leuten auszugehen. Aber wir dachten nicht, dass wir jetzt gerade etwas besonders Cooles tun. Wir haben die ganze Zeit nur gelacht, und der Abend endete in einem schwulen Strip club, wo wir zu 70er-Jahre-Disco-Musik getanzt haben.

Über den Dingen stehen (oder dies wenigstens vorgeben). Das ist wohl die wichtigste Lektion, die die Kaiser Chiefs aufgrund ihrer Erfahrungen im Popgeschäft gelernt haben. Es sei an dieser Stelle auch gerne nochmals an das Scheitern der Vorgängerband Parva erinnert und an die anfängliche Zurückhaltung der Plattenindustrie, die Kaiser Chiefs unter Vertrag zu nehmen – trotz damals bereits vorhandener Songs wie „I Predict A Riot“ oder „Oh My God“. Und vergiss auch nie, woher du kommst! Und sag das der Welt! Wenn sie es denn hören möchte. „Meine Mutter wäscht meine Wäsche“, erzählt Wilson, „weil sie das einfach viel besser kann als ich. Aber dafür sind Mütter ja auch da, oder? Ich schäme mich auch nicht dafür. Sie freut sich darüber. Außerdem habe ich noch nie in meinem Leben ein Hemd gebügelt.“

Nun, das hat Michael Jackson wohl auch nicht.

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