Kate Bush’s Fantasia


Aller guten Dinge sind drei, dachten wir uns. Darum findet Ihr in diesem MUSIK EXPRESS eine Schallfolie mit drei Titeln von Kate Bushs LP Nummer drei NEVER FOREVER: „Delius“, „Blow Away“ und „Egypt“. Wer allerdings in absehbarer Zeit mit einer neuen Tournee rechnet, wird sich noch etwas gedulden müssen – oder er verzichtet freiwillig auf die nächsten drei Kate Bush-LPs.

r e jbeen a rockstar häve the money to ‚lÜStoy Drearhers“, Kate Bush A^ls Kate Bush inmitten der /M Blütezeit von Punk und .ZiNew Wave plötzlich wie ein Märchenwesen auftauchte, hielten viele für eine Weile den Atem an. Ihr „Wuthering Heights“ kam wie aus einer anderen Welt und schwebte infolgedessen über den Dingen. Als sie diesen Song 1978 in der damals noch lebendigen Münchener Rocksendung „Szene“ präsentierte, konnten sich der Überlieferung zufolge die Boomtown Rats (damals noch als „Punks“ klassifiziert) vor Begeisterung kaum halten. Das musische Kind aus gutbürgerlichem Haus umjubelt von denen, die sich für Rebellen hielten…

Die Hingabe, mit der sie sich von vielen Dingen faszinieren läßt, mag bei vielen den Eindruck erwecken, bei Kate Bush handele es sich um ein Wesen, das sich jenseits von allem Irdischen in ästhetischen Spinnereien ergeht. Ist sie weltfremd? Nicht unbedingt. Sie hat nur die seltene Gabe, an das Gute und Schöne zu glauben. Sie liebt den Klang der Fingerglöckchen von Krishna-Leuten. Sie nahm darum Kontakt zu einer Hare Krishna-Gruppe auf, und der Mönch Ranshar besuchte sie mit seinen Leuten im Studio. Kein Gedanke an die zweifelhaften Hintermänner im Fernen Osten, die gutgläubige Jungs für sich betteln lassen. Ranshar verbreitete so viele positive Vibrationen im Studio und überließ ihr die Fingerglocken für einen Song. Kate ließ sich faszinieren. Warum den einzelnen in seiner positiven Ausstrahlung entwerten, wenn das Zweifelhafte weit weg ist? „Hare Krishna ist eine warme, offene Religion. Die Leute bringen dir kleine Geschenke und du kommst dir plötzlich so selbstsüchtig vor. Dir wird bewußt, wie hart wir hier doch sind. Hier in England sind die Krishna-Leute sehr unbeliebt. Aber ich glaube das ist nur der Mangel an Respekt, den man ihnen entgegenbringt, weil man sie nicht versteht.“

So erhielt Ransha neben Roy Harper, Peter Gabriel und Herbie Flowers auf der Plattenhülle ebenfalls eine persönliche Widmung von Kate, die sich bei allen für positive Inspiration und Vibration bedankt.

Kate Bush hat ihr neues Album, NEVER FOR EVER, (vergl. Longplayers) diesmal übrigens wirklich selbst produziert, obwohl sie auf ihrer zweiten LP ebenfalls schon als Produzent vermerkt war. Das Ergebnis läßt sich hören. Die dritte LP klingt selbstverständlicher, fließender als der Vorgänger. Kate freut sich ganz offen so etwas zu hören, denn LIONHEART, das gibt sie zu, war unter Druck zwischen zahlreichen Promotionverpflichtungen entstanden.

Die Arbeit mit den Musikern fand sie aufregend, obwohl es nicht einfach war, die Kommunikation aufzubauen. „Du kannst nicht immer mit einfachen Begriffen auskommen, wenn du musikalische Dinge vermitteln willst. Wir haben uns aber fantastisch verstanden. Das größte Problem für mich war, ihnen meine Ideen zu erklären, also versuchte ich es dann mit Bildern. Alle Klänge besitzen Bilder. Ich finde, das ist der einfachste Weg, so etwas zu vermitteln, denn die normalen Fachausdrücke sind einfach unzureichend. Musik ist doch schließlich so voll von Gefühlen… manchmal hat man nur eben unterschiedliche Vorstellungen von Bildern.“

Bilder. Bei Kate Bush geschieht alles in Bildern. Ihre Songs sind Bilder. Abstrakte, stimmungsvolle, geheimnisvolle, skurrile, ruhige, aber auch akhonsgeladene. Sie spielt mit Situationen: hier nur zart angedeutet — dort direkt und realistisch. Manchmal ist ein Song so verfremdet, daß ich sie erst nach der Geschichte fragen mußte. Manchmal jedoch steckt in einer einzigen Zeile endlos viel. Da ist einmal „Delius“, für mein Empfinden, einer der schönsten, befreitesten Titel, aber eben sehr abstrakt. Delius war ein zeitgenössischer Komponist, der vor etwa zwanzig Jahren starb. Zerstört von einer heimtückischen Syphillis, verbrachte er Jahre im Rollstuhl, unfähig seine Hände, ja sogar seine Stimme zu gebrauchen. Unzählige Mitarbeiter hatten schon vergeblich versucht, sein klägliches Grunzen auf Notenpapier zu übertragen, bis eines Tages ein junger Mann namens Eric Fenby zu ihm kam. Ihm gelang es schließlich, die Ideen des Meisters festzuhalten. Vor Jahren hatte der Regisseur Ken Russell („Lisztomania“) Delius‘ Geschichte (in seriöser Form!) für das englische Fernsehen verarbeitet. Es war dieser Gegensatz zwischen der unerfreulichen, zerstörten Erscheinung dieses Mannes und seiner Musik, die Kate zu diesem Song inspirierte. „Army Dreamers“ dagegen schrieb sie für die Jungs, die verzweifelt, weil sie keinen anderen Platz im sozialen Gefüge fanden, schließlich zur Armee und dort zugrunde gehen. Und hier offenbart sie allein in einer einzigen Textzeile das Elend einer ganzen Generation: „Er hätte Rockstar werden können, aber ihm fehlte das Geld für eine Gitarre…“

Sinnloses Sterben akzeptiert sie nicht, aber ihre Einstellung zum Tode ist geprägt von östlichen Kulturen. Zumindest bemüht sie sich, dies so zu verarbeiten. „Es existieren so viele östliche Bräuche, bei denen der Tod eines Menschen mit Singen und Tanzen begleitet wird. Hier in unserer Welt scheint es jedoch keine schlüssige Lösung für das Problem des Sterbens zu geben. Die Menschen sind verschreckt, verwirrt und verängstigt, wenn sie damit konfrontiert werden. Im Fernen Osten sieht man den Tod eines Menschen doch offenbar als etwas Positives an. Wenn hierzulande jemand stirbt, dann denken wir doch eigentlich nur an uns und was wir jetzt ohne ihn anfangen sollen. Es fasziniert mich, wie sich menschliche Wesen zueinander verhalten. So wie wir uns benehmen, beeinflussen wir doch die ganze Welt. Wir erliegen der Illusion, Götter zu sein, obwohl wir selbst kontrolliert werden. Es ist ein riesiger Teufelskreis. Manchmal merkte ich, wie ich regelrecht darin verlorengehe. Leben und Tod sind die beiden entscheidenden Kräfte im Dasein des Menschen.“

In „Blow Away (for Bill)“ verarbeitet sie das Thema „Sterben“ dann auch in einer fast kindlichen Vision: zum Trost für alle, die sich wie ihr Musiker Bill davor fürchten. „Ich las einen Artikel über Menschen, die den Tod schon einmal erlebt haben und unabhängig voneinander dasselbe erzählten: Als ihr Herz aussetzte hätten sie ihren Körper an einer Art Schnur verlassen, sich durch einen langen dunklen Korridor bewegt und sich wirklich glücklich gefühlt. Keine Traurigkeit… und dann erfuhren sie, daß sie noch nicht bleiben durften und mußten durch den langen Tunnel zurück. Diese Situation habe ich eigentlich mehr im Scherz dann auf einen meiner Musiker angewandt, der meinte, der Tod würde ihn einmal von seiner Musik trennen. Ich dachte mir aus, daß er, wenn er stirbt, in einen Raum kommt, in denen alle von Buddy Holly über Jimi Hendrix bis hin zu Elvis Presley bei einer riesigen Session versammelt sind. Alle Stars, die gestorben sind, glücklich beisammen. Ich fand, das sei eine schöne Idee, ihre Musik zu erhalten.“

Die Arbeit an diesem Album hat Kates Energie vollends in Anspruch genommen. Der Versuch, nebenher noch Tanzunterricht zu nehmen, mußte scheitern. „Die Zeit im Studio hat mich völlig isoliert, aber sie war nicht vergeudet, schon allein wegen der Erfahrungen, die ich dort machen konnte. Aber das Tanzen ist für mich eine ungeheuer wichtige Disziplin; ein entscheidendes Bindeglied zu meiner Musik. Ich habe jetzt seit Mona ten nicht mehr getanzt und merke auch, daß mein Körper völlig eingerostet ist und längst nicht so fit wie er eigentlich sein sollte.“

Die Frage nach einer neuen Tournee beantwortet sie dann auch mit einem Seufzen. Ihre erste Tour, eine Kombination aus Musik und intensiver Körpersprache, hatte wenige unbeeindruckt gelassen. Auch Kate und alle Mitwirkenden haben diese Art zu arbeiten geliebt. Nur ging das alles leider nicht ohne finanziellen Verlust über die Bühne, ganz zu schweigen von der physischen und psychischen Erschöpfung, die Kate am Ende überkam. „Am Morgen nach der Tour konnte ich mich kaum noch bewegen. Ich brauchte einen ganzen Monat, um mich wieder wie ein Mensch zu fühlen.“ Ganz davon abgesehen, daß eine Tournee wie Kate sie sich vorstellt (eine Einheit von Musik, Bewegung, visuellen Dingen und Texten) etliche Monate an Vorbereitungszeit beansprucht, nimmt sie ihr eben auch die Kraft, die sie in drei Alben investieren könnte. „Ich muß mir das alles sehr gut überlegen,“ erklärt sie, „aber im Moment bin ich noch nicht soweit.“

Aber es wird eine neue Tournee geben, wenn auch nicht heute und morgen. Wenn die erste auch nur der Embryo dessen war, was Kate sich für die Zukunft vorgenommen hat, wird die neue Show mit Sicherheit auch wieder auf derselben Basis, nämlich der intensiven Ausdrucksform des menschlichen Körpers, funktionieren. Das ist die Schule des alten Pantomimen Lindsay Kemp, ihres Lehrers. Kate Bush verehrt ihn: „Er ist inspiriert!“