Keine Zeit zum Leben


Chris Walla ist ein vielbeschäftigter Mann: Er produziert (zuletzt unter anderem die neuen Alben von Nada Surf und den Decemberists), engagiert sich für Tierschutz und Vegetarismus, schreibt eine Kolumne für ein Musikmagazin – und hat ganz „nebenbei“ auch noch eine eigene Band, in der er nicht nur Gitarre spielt, sondern sich und die Kollegen Ben Gibbard, Nick Harmer und Jason Mc-Gerr (der übrigens auch einen Nebenjob hat: als Lehrer an der Seattle Drum School of Music) ebenfalls produziert. Für unser Telefoninterview bleibt ihm unter solchen Umständen – und weil er praktisch schon wieder unterwegs zum nächsten Soundcheck ist – nur zwischen Tür und Angel Zeit, aber eventuelle Bedenken vertreibt er höchst charmant: „Keine Sorge, ich widme mich immer ganz der Sache, mit der ich gerade beschäftigt bin. Da hat alles andere Pause.“

Ist es nicht ein Wunder, daß Chris bei dem Streß noch nicht kollabiert ist? „Ach, ich bin das gar nicht anders gewohnt“, lacht er. „Ich bin jemand, der sehr impulsiv ist. Das haben Menschen, die beruflich kreativ sein müssen, wohl im Blut.“ Impulsiv zu sein heißt hier, auf Zuruf spontan zu arbeiten, ohne groß nachzudenken, die richtigen Knöpfe zu drehen, stets den perfekten Sound zu finden. „Wen« es um Death-Cab-Alben geht, ist das immer noch ein bißchen schwieriger als bei Fremdproduktionen, weil ich da ja selbst stark involviert bin. Aber bei Plans habe ich das Gefühl, daß es mir gelungen ist“, freut er sich. „Schon aufunserem letzten Album Transatlanticism habe ich nach diesem Sound gesucht. Jetzt habe ich ihn endlich gefunden. Das neue Album ist sozusagen mehr Transatlanticism als Transatlanticism selbst.“

In der Tat hat die Band auf ihrem fünften Album all jene Eigenheiten, die die Vorgänger zu Kritikerlieblingen machten, noch perfektioniert. Die charakteristisch schrammelige Gitarre ist streckenweise ein wenig in den Hintergrund getreten, aber die Stimmung, die laut Walla für einen guten Song von entscheidender Bedeutung ist, stimmt punktgenau: „Ein guter Song daß den Zuhörer nicht emotional verwirren, er muß auf angenehme Art ambivalent sein“, sagt er. „Er muß trösten können, wenn man schlecht drauf ist, sollte aber auch in positiven Momenten funktionieren. Nichts ist schlimmer als ein Song, der dir vorschreiben will, wie du dich zu fühlen hast.“ Und es stimmt: Songs wie „Someday You Will Be Loved“ trösten die Gebeutelten, während sie frisch Verliebten unaufdringlich zum neuen Glück gratulieren.

Eigene Privatheiten dieser oder jener Art jedoch sind „der wunde Punkt in meinem Leben „, gibt Chris zu. „Dafür bleibt mir einfach keine Zeit. Ich habe das Gefühl, ich habe unbewußt einer Art Tausch zugestimmt: Mein Beruf füllt mich aus – und macht mich wirklich glücklich, denn ein Nine-to-five-Bürojob würde mich umbringen. Aber für eine Beziehung ist in meinem Leben kein Platz.“ So bleiben dem selbsternannten „Creativoholic“ nur zwei Möglichkeiten: Entweder er hört sich den ganzen Tag – das heißt: wenn er mal ein paar Minuten Pause hat – in positiv-ambivalenter Stimmung sein eigenes Album an, oder er verliebt sich doch mal richtig. Und am besten ganz impulsiv. Daß er und seine Kollegen es verdient haben, von anderen geliebt zu werden, dürfte spätestens jetzt feststehen,

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