Kindgerecht
Punk legte Zahnspangen an und feierte eine zweite Pubertät. Und aus den USA kam 1999 voll die neue Härte.
Anfang September in München, Kunstpark Ost. Auf der zugigen Fläche des Spaßgeländes soll Joe Strummer bei einem der letzten Open Airs des Jahres das Publikum auf The Offspring einstimmen. Doch die Punk-Ikone hat keine Chance bei den Kids. Clash-Klassiker wie „London Calling“, „Straight To Hell“ oder „Rock The Casbah“ werden gnadenlos ausgepfiffen. Angenervt bellt Strummer: „Ohne mich hätte es The Offspring gar nicht gegeben.“ Er hat Recht. Hören will das trotzdem niemand. Erst als Offspring-Sänger Dexter Holland zu Hilfe eilt, lässt sich das junge Publikum zu einem Anstandsapplaus herab. Später am Abend wird es noch richtig johlen. Vor allem als Holland Papp-Aufsteller der Backstreet Boys mit einem Baseball-Schläger bearbeitet. Der Generationswechsel im Punkrock wurde 1999 endgültig vollzogen. Ausgerechnet von einer Band, die uns „Ob-La Di Ob-La-Da“ nochmal unter dem Titel „Why Don’t You Get A Job“ verkaufen wollte. Statt Parolen gab’s endgültig nur noch Party. Konsequent auf Party setzte 1999 auch die Bloodhound Gang. Die machen zwar seit vier Jahren schon Musik, der ganz große Coup vom Indie-Hit „Fire, Water, Burn“einmal abgesehen – gelang aber erst jetzt: Mit „Hooray For Boobies“, ihrem Nummer-Eins-Album, parallel dazu mit „The Bad Touch“ ihrer Nummer-i-Single. Wohlgemerkt, ein Song, der mit seinem stampfenden Synthie-Rhythmus vollkommen untypisch für den dreckigen Bloodhound-Sound ist. Eine Nummer,die laut Bloodhound-Boss Jimmy Pop Ali „nach Schwulendisco“ klingt und mit Zeilen wie „we’ll do it doggy style so we can both waten X-Files“ daherkommt. Auf dem Album gab’s dann unter anderem noch ein Telefonat von Ali mit seiner Mutter zu hören, in dem er sie fragt, ob sie nicht ein Wort wüßte, das sich auf Vagina reimt. Müßig zu erwähnen, dass die Deutschland-Tour im Herbst komplett ausverkauft war. In seiner Heimat Amerika bekommt das seltsame Quintett übrigens keinen Fuß auf den Boden. Dort gibt’s nämlich schon genügend Spaßpunks wie Blink-i82 oder Lit und Crossover-Clowns wie Kid Rock. Die singen zwar alle weniger über Sex, dafür lassen sie sich gern mit Pornostars fotografieren. Für hiesige Geschmäcker wohl (noch) nicht ganz das Richtige. Ganz nach dem Geschmack des deutschen Publikums war hingegen das neue Werk der Red Hot Chili Peppers.“Californication“, das Quasi-Comeback-Album (endlich war Gitarrist John Frusciante wieder dabei), schoss hoch in die Charts. Ebenso die Neue von Rage Against The Machine („The Battle Of Los Angeles“). Ähnlich gut lief es für Richard Patrick und seine Band Filter und deren „Title Of Record“, noch besser für Patricks ehemaligen Kollegen Trent Reznor, der mit dem neuen Nine Inch Nails-Opus“The Fragile -da waren sich die Kritiker ausnahmsweise einig-das „The Wall“für die Neunziger ablieferte. Ansonsten war der New Rock mit Bands wie Creed („Human Gay“), Korn, Limp Bizkit und Godsmack („Godsmack“) weiter auf dem Vormarsch. Marilyn Manson („The Last Tour On Earth“) sowie Metallica („S &M“) beschränkten sich auf Live-Alben, dafür waren Guns N 1 Roses plötzlich wieder da. Ebenfalls mit einem Live-Album und einem neuen Song. Der hieß „Oh My God“ und war auf dem Soundtrack zum Arnold Schwarzenegger-Epos „End Of Days“.