Kiss me, Kate!


Ende April startete Kate Bush mit großem Aufgebot ihre in eine Europa-Tournee eingebettete Tour durch Deutschland. Sie trat an, obwohl sie krank war. Beim ersten Konzert in Hamburg sah es so aus, als würde ihr ein Erkältungsvirus die Stimme rauben. Ärzte verordneten ihr totales Sprechverbot. Auf einer Party, die die Plattenfirma EMI ihr zu Ehren organisiert hatte, wurde sie stumm herumgeführt. Am nächsten Tag lag sie bis zwei Stunden vor Konzertbeginn im Bett und wurde mit Spritzen hochgepäppelt wie ein Leistungssportler. Dann stand sie strahlend auf der Bühne und konnte doch singen.

Die Entscheidung, den ersten Auftritt der Deutschland-Tour nicht abzusagen, habe sie selber getroffen, sagt Kate. Eine verständliche Entscheidung: zu lange hatte sie für diese Tournee gearbeitet, zu schwierig war es gewesen, alle Leute für die Show zusammenzubekommen, zu heiß war sie selbst darauf, sich auf der Bühne zu präsentieren. Dafür mußte sie allerdings zwei Stunden lang zittern, denn trotz der medizinischen Pferdekur stand das Hamburger Konzert ständig auf der Kippe. Mehrere Titel wurden im Programm von vornherein gestrichen, bei anderen spürte man in hohen Lagen, wie Kates Sirenenstimme plötzlich anfing wegzukippen. Der Zusammenbruch kam dennoch erst ganz am Ende; bei der Zugabe, bei „Wuthering Heights“, ihrem ersten Single-Erfolg aus dem vergangenen Jahr. Der Song zählt zu ihren schwierigsten Stücken, und sie schaffte gerade noch die erste Hälfte. Dann machten die Stimmbänder nicht mehr mit, und die Band fing Kate geschickt auf, spielte den Song instrumental zu Ende, als wäre es nie anders gewesen. Kaum jemand im ausverkauften Congress Centrum merkte, was los war; kaum jemand sah auch genau hin, als Kate für eine letzte, in frenetischen Beifall verpackte Verbeugung zurück auf die Bühne kam und bleich, gerädert, total erschöpft inmitten ihrer Bühnenmannschaft stand. Zwanzig Jahre ist Kate jetzt alt, aber deswegen schont sie niemand. Obwohl sie doch immer noch eher eine Märchenfee denn eine Rocklady ist.

Noch vor einem Jahr, nach dem aufsehenerregenden Erfolg ihrer wunderschönen Debut-LP „The Kick Inside“, war von einer Tour keine Rede. „Eine Tournee“, sagte Kate Bush damals in einem Interview mit dem MUSIK EXPRESS, „stell ich mir ziemlich ermüdend und anstrengend vor. Mein eigentliches Talent ist das Songschreiben, und dafür brauche ich Zeit.“ Einen Strich durch diese Rechnung hat ihr wohl ihre Kreativität gemacht, deren Stärke und Vielseitigkeit auf zwei Langspielplatten nicht unterzubringen war. Und die EMI wird ihr wohl auch ein paar Tips ins Ohr geflüstert haben, getreu der alten Regel, daß sich Platten mit Hilfe von Konzerten noch immer am besten verkaufen.

Vier Monate lang hat Kate mit etlichen Leuten zusammen in enger Gemeinschaft intensiv an ihrer Show gearbeitet. Vier Monate, in denen die Geschichten, die sie in ihren Songs erzählt, für die Bühne regelrecht inszeniert wurden. Jeder Song ein eigenes kleines Theaterstück, oder besser: ein eigenständiger Teil einer großen Multimedia-Revue. Von Song zu Song wechseln Musik und Licht, Kostüme und Dekorationen. In einigen Songs tritt der Zauberer Simon Drake auf, und fast immer agiert Kate mit zwei tanzenden Schatten, die ihre eigenen Bewegungen verstärken. Stuart Arnold und Gary Hearst heißen diese beiden fantastischen Tänzer, die wesentlich dazu beitragen, daß aus Kates Show die einzigartige Verknüpfung von Musik. Licht und Bewegung besonders herausragt. Sie selbst singt meist in ein kleines drahtloses Spezialmikrofon, das mit einer Halterung an ihrem Körper befestigt ist und vor ihrem Mund liegt ohne sie zu behindern. Ein Song allerdings kommt vom Playback, denn hier steigert sich Tanz in einen Bewegungsrausch, bei dem die Tänzer sie durch die Luft wirbeln, und da kann sie nun wirklich nicht mehr singen.

Höhepunkt des Abends ist nicht einer der Single-Hits von Kate Bush, sondern der Song „James And The Cold Gun“ von ihrer ersten LP. Da geht es um einen Wildwest-Helden, der mehr und mehr seine Seele an sein Gewehr verkauft: „You’rea coward James/You’re running away from humanity/ You’re running out on reality/ It won’t be funny when they/ Rat-a-tat-tat you down.“ Auf der Bühne gerät das zu einem blutrünstigen Drama, an dessen Ende Kate ihre Tänzer, die Band, die Background-Sängerinnen abknallt, eingehüllt in weiße Nebelschwaden und vorangepeitscht von einem orgiastischen Gitarrensolo (das auf der Platte aus Zeitgründen stark gekürzt wurde). Da zeigt die Märchenfee auf einmal ein ganz anderes Gesicht, und die Verblüffung beim Publikum ist zunächst riesengroß, ehe sie der Begeisterung weicht.

In Frankfurt, wo die Tournee auslief, erstreckte sich das Buschfeuer noch über vier oder fünf Zugaben, genau weiß ich das nicht mehr. Am Ende aber war allen Leuten klar, daß man diese Kate Bush in keine Schublade packen kann. Macht sie Rock oder Pop oder Show oder Cabaret? Und wie macht man das alles überhaupt mit neunzehn, zwanzig Jahren, erst zwei solche Alben und dann so eine Show? Als sie ihr Debutalbum erstmals als fertige Schallplatte gehört hat, erzählt Kate, da sei ihr plötzlich klargeworden, daß ihre Songs auch eine visuelle Dimension hätten. Vorher, als sie eh noch ein bißchen lazy und ein bißchen drifty war, habe sie an sowas überhaupt nicht gedacht. Aber dann hat es sie wohl gleich so gepackt, daß sie sogar ihr eigenes Geld in die Show investiert hat.

Vielleicht gibt einer der beiden neuen Songs aus der Show nähere Auskunft über Kate Bush. Der Song heißt „Violin“. Und die Geige, sagt sie, sei das Instrument des Teufels und habe schon immer herhalten müssen als Symbol für „mania“, für Manie und Wahnsinn. „In der Geschichte“, erzählt Kate, „gibt es viele mad fiddlers!“ Und unbekümmert fügt sie hinzu, sie habe als junges Mädchen auch jahrelang Geige gespielt…