Linton Kwesi Johnson – Vertonte Gedichte


FORCES OF VICTORY wurde als bestes Reggae-Album 79 in England gefeiert. Doch Linton Kwesi Johnson sagt, er sei kein Reggae-Künstler, er sei Dichter. Daß ich ihn als Weißer interviewen wollte, schaffte erst mal Distanz, die jedoch bald verschwand…

LKJ fand in Kritikerkreisen sofort große Beachtung, weil sein Reggae nichts mit Rastafari zu tun hatte. Seine Texte handeln von der rauhen Wirklichkeit der Schwarzen in England. Linton selbst kam mit elf Jahren von lamaica nach England. Dort lebte er mit seinen Eltern im armen Schwarzenviertel Brixton. Die ungerechte Welt der schwarzenfeindlichen Schule, Polizei etc. politisierte ihn schon frühzeitig. Mit achtzehn begann er mit der Schriftstellerei. Den Unterhalt seiner Frau, der drei Kinder und sein Soziologiestudium finanzierte er durch unterschiedlichste, nervende Jobs.

Bekannt wurde er, nachdem er im Fernsehen eins seiner Gedichte las. Kurz darauf spielte er für Virgin sein erstes Album DREAD BEAT AN‘ BLOOD ein. Zuerst wollte Virgin, daß er das erste Album der Diamonds toastet, aber Linton wehrte sich dagegen. Im Interview erklärte er mir das: „Ein Toaster nimmt die Musik von einem anderen und überspricht sie mit Worten, die zum Rhythmus passen. Ich tue das nicht. Meine Worte und meine Musik sind jeder ein Teil des anderen. Ich bin kein Toaster, aber ich bin von der Tradition des Toastens beeinflußt. Wenn ich meine Gedichte schreibe, dann habe ich den beat und den Rhythmus im Kopf.“ So kam es auch, daß auf dem neuen Album BASS CULTURE (ME 6’80) ein Jazzsong ist.“ Als Künstler suche ich immer neue Ausdrucksformen. Ich war immer vom Jazz beeinflußt. Das Gedicht „Two Sides Of Silence“ kam aus einem Jazz-Feeling heraus. Es kommt auf die Aussage, das Feeling und das Tempo des Gedichts an, ob ich einen Reggae, Ska, Rock-Steady oder etwas anderes wähle. Es gibt viele Variationsmöglichkeiten.“ Großen Anteil am Stil von LKJs hat sein Mixer und Engineer Dennis Bovell. Bovell gilt als der beste Dub-Produzent Englands. Außerdem wird LKJ von ausgezeichneten Musikern begleitet. Besonders die Bläser sind mir positiv aufgefallen, allen voran der unverwüstliche Rico, der schon auf unzähligen Platten und Konzerten mitgewirkt hat. Absolutes Markenzeichen seiner Musik ist aber sein markanter, unverkennbarer Sprechgesang. Viel wichtiger als die Musik ist für LKJ selbst die Aussage seiner Lieder. Seine vertonten Gedichte erzählen entweder Geschichten aus dem Leben der Schwarzen in England wie „Inglan Is A Bitch“ (England ist eine Hure), das aus der Sicht eines westindischen Emigranten geschrieben ist, oder „Street 66“, das von einer Grass- und Bluesparty von schwarzen Jugendlichen handelt, die abrupt von den Bullen unterbrochen wird. Oder es sind Anklagen gegen die Übergriffe der Polizei („Sonny’s Lettah“), gegen die Faschisten („Fite Dem Back“) auch ein zärtliches Liebeslied, wie „Loraine“.

Sollte jemand glauben, LKJ würde nach dem Schema verfahren weiß = schlecht, schwarz = gut, der wird spätestens durch das Lied „Black Petty Booswah“ eines Besseren belehrt, denn hier greift LKJ den schwarzen Mittelstand an, weil dieser, so LKJ, zum größten Teil jegliches Solidaritätsgefühl für die schwarze Arbeiterklasse verloren hat. Mit Rasta und Jah-Lobpreisungen haben seine Texte so gut wie nichts zu tun. LKJ sieht die Rastaidee dann auch recht kritisch: „Rasta ist für die Schwarzen in der Karibik wichtig. Es ist ein Ausdruck unserer Empfindungen und Gefühle und ein Versuch, eine Identität zu finden – eine andere Identität als die koloniale. Es ist eine vielschichtige Sache und Rasta hat seine negativen Seiten. Rasta ist nur dann wichtig, wenn es für eine revolutionäre Veränderung brauchbar ist, aber wenn man nachdenkt, muß einem klar werden, daß Rasta dafür nicht geeignet ist. Ich bin also für die positiven Aspekte und schiebe die negativen beiseite.

Noch viel kritischer als Rasta sieht LKJ das Musikbusiness: „Es stinkt“, sagt er. „Ich finde es sehr traurig, daß wir in einem Gesellschaftssystem leben, wo das Kapital die Art und Weise der Kunst bestimmt. Schallplattenfirmen z.B. sind ein Business, bei dem die Inspiration eines Künstlers ausgebeutet wird. In diesem Business geht es um ein Maximum an Profit für ein Minimum an Einsatz. In einem System, in dem das Kapital alles bestimmt, wird auch die Kunst als Konsumartikel angeboten – du kannst sie in einem Kaufhaus kaufen wie eine Schachtel Zigaretten.“ Wenn LKJ solche Worte spricht merkt man, daß er das nicht aus einem linken Chic heraus tut, sondern daß er mit voller Überzeugung hinter seinen Thesen steht. Als Konsequenz daraus will er bald sein eigenes Label gründen, denn er glaubt, daß die Plattenfirma, auch wenn er nicht so einen großen Umsatz wie Superstar Marley macht, schon genügend Geld an ihm verdient hat. Das Geld, das er selbst verdient, steckt er größtenteils in die politische Organisation Bace Today, in der er selbst auch mitarbeitet. Race Today ist ein Zusammenschluß von Schwarzen, die gegen den täglichen Rassismus in England kämpfen. Außerdem geben sie ein radikal-politisches Magazin heraus. Ihr Büro ist völlig verbarrikadiert, weil sie täglich mit Bombenanschlägen der Neofaschisten rechnen müssen. Der Rassismus in England ist aber nicht nur eine Sache der ultrarechten Kräfte. Auch in der momentan regierten konservativen Partei treibt er seine üppigen Blüten. Daher sind die meisten staatlichen Institutionen gegen den Rassismus, so LKJ, nur dazu da, den Widerstand der Schwarzen in Bahnen zu lenken, um ihn kontrollieren zu können.

Nach dem Interview folgte der Live-Auftritt im Bremer Übersee-Museum. Viele, der relativ zahlreichen Besucher, waren ziemlich verwundert, weil LKJ ohne Band auftrat und lediglich Bänder übersprach. Aber auch ohne Band brachte er, der von zwei Tänzern begleitet wurde, die seine Texte in Bewegungen umsetzten, ein starkes Feeling über die Rampe, so daß ich mich auch heute noch gerne an den Abend erinnere…