ME-Gespräch

Lizzo im Interview: „Du bist nicht fett, du bist wunderschön“


Lizzo schreibt Pop-Hymnen gegen Schönheitsnormen und für Selbstachtung. Humor ist dabei ihre ultimative Waffe. Obwohl der Grund dafür gar nicht lustig ist. Wie Lizzo sich dennoch ihr Selbstbewusstsein bewahrt, verriet sie Alysse Gafkjen im großen ME-Interview.

Wieso haben so viele Menschen Angst vor dem Wort „fat“? Das fragt sich die US-amerikanische Rapperin und Songwriterin Lizzo schon lange. Sie schreibt Pop-Hymnen gegen Schönheitsnormen und für Selbstachtung. Humor ist dabei ihre ultimative Waffe. Obwohl der Grund dafür gar nicht lustig ist.

Lizzo wurde 2019 bei unserer Preisverleihung in der Kategorie „Style“ ausgezeichnet. Seht hier die Highlight-Galerie zur Veranstaltung – der nächste IMA kommt bestimmt!

Udo Lindenberg | IMA – International Music Award in der Verti Music Hall in Berlin am 22.11.2019
INTERNATIONAL MUSIC AWARD 2019: Unsere Fotos von der Preisverleihung – mit Udo Lindenberg, Peaches, Sting und Co.

25.515.344 – So viele Einträge erscheinen, wenn man bei Instagram #selflove ins Suchfenster tippt. Frauen im Fitnessstudio, Frauen beim Yoga, Frauen im Café, mit Moleskin-Notizbüchern und Milchherzchen im Cappuccino, Frauen … ja genau: Man sieht darunter nur Frauen. Selbstliebe scheint das neue Allheilmittel, damit frau an den Anforderungen der spätkapitalistischen Welt nicht zerbricht: Wenn du dich nur genug selbst liebst, wird alles gut! Man kann dieses Mantra oberflächlich als neoliberale Marketingmasche entlarven: Du bist überlastet? Nimm doch einfach ein Bad und belohne dich dafür, wie viel du leistest, statt auf der Straße gegen das System zu demonstrieren – dann bist du morgen auch wieder fit fürs Büro!

Für viele Frauen – gerade für diejenigen, deren Haut nicht weiß ist und deren Körper nicht ins enge Schönheitskorsett passen – ist radikale Selbstliebe jedoch vor allen Dingen eine Überlebensstrategie in einer Gesellschaft, die sie systematisch abwertet. Wenn die US-amerikanische Rapperin Melissa „Lizzo“ Jefferson also auf Twitter postet: „I give myself goosebumps every fucking day“, ist das nicht weniger als die Rückeroberung der Deutungshoheit über ihre eigene Person. Denn als Künstlerin hat sich Lizzo ihre Lorbeeren im Pop-Olymp längst verdient: 2014 war sie als Feature-Gast auf PLECTRUMELECTRUM, dem 36. Studioalbum von Prince, zu hören. Nach unserem Interview wird sie von Berlin aus zum Videodreh mit Missy Elliott fliegen, die als Feature-Gast auf einem Song von Lizzos dritten Album CUZ I LOVE YOU dabei ist. Und dann war da ja noch die Sache mit RuPaul.

„Meine Musik feiert das Überleben“

2018 saß sie als Gastjurorin in der Jury der beliebten US-amerikanischen Reality-Show „RuPaul’s Drag Race“. Spricht man Lizzo darauf an, strahlt sie über das ganze Gesicht. Mittlerweile sitzt sie auf der Couch in einem belanglosen Berliner Hotelzimmer, auf der sie heute ihren Interviewmarathon hinlegt. Lizzo trägt eine kinnlange schwarze Perücke, ist kaum geschminkt und klagt lautstark über ihre eigene Müdigkeit. Zwischen den Interviews legt sie kurze Powernaps ein, sodass sie den Beginn unseres Gesprächs noch im Liegen verbracht hat. Doch Lizzo ist ein Profi und kann wie auf Knopfdruck in den Entertainer-Modus schalten. Dieses Talent blieb auch RuPaul nicht verborgen.

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Bei der „Lip Sync Challenge“ performten damals zwei Drag Queens in der Show Lizzos Empowerment-Hymne „Good As Hell“. Die handelt von Selbstachtung und dem wichtigen Schritt, sich aus Beziehungen zu befreien, die einem nicht gut tun. RuPaul habe ihr später im Backstage gesagt: „Du hast es drauf, Girl! Du brauchst deine eigene Show!“ Wie eine schnippische Drag Queen schiebt Lizzo dabei den Kopf von links nach rechts und imitiert RuPauls energisches Fingerschnipsen. Dafür, dass ihre eingängigen Pop-Hymnen besonders auch in der queeren Community beliebt sind, hat sie eine logische Erklärung: „Meine Musik feiert das Überleben. Die LGBTQ-Community hört das und versteht: ,Ja verdammt, sie hat auch Scheiße durchgemacht, sie ist eine von uns!‘ Dafür steht meine Musik. Außerdem sind meine Songs supercatchy und Schwule haben einfach den besten Musikgeschmack der Welt“, fügt sie hinzu und lacht lauthals auf.

Humor ist ihre ultimative Waffe und Lachen ihr Bewältigungsmechanismus

Lizzo war nicht immer so selbstbewusst wie heute. Aufgewachsen in Houston, Texas, fing sie als Teenagerin an zu rappen. Mit 21 lebte sie ein Jahr lang in ihrem Auto, wollte den Sprung in das Musikgeschäft unbedingt schaffen und setzte sich exzessiv auf Diät. Heute, knapp zehn Jahre später, hat sie gelernt sich selbst zu lieben und feiert sich selbst sooft sie kann – nicht ganz ohne Selbstironie: „No baby I’m not snack at all, look, baby, I’m the whole damn meal“, singt sie im Video zu ihrem Song „Juice“, während sie im 80s-Setting in Spandex-Leggings Aerobic macht. Humor ist ihre ultimative Waffe und Lachen ihr Bewältigungsmechanismus. Dabei ist ihre Erklärung für diese Strategie gar nicht so lustig: „Wenn eine schwarze Frau für ihre Rechte einsteht, ist sie aus irgendeinem Grund angsteinflößend für weiße Leute. Dafür kriegt man nicht so viel Aufmerksamkeit. Deshalb ist mein Aktivismus humorvoll. Wenn ich alles so sagen würde, wie ich es eigentlich gerne sagen möchte, würde ich kein Gehör finden.“

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Lizzo kämpft für Body Positivity und gegen einseitige Schönheitsnormen. Und sie ist froh, dass dies mittlerweile zu einem Mainstream-Thema geworden ist. Trotzdem nervt es sie, wenn ihr in Interviews immer wieder dieselben oberflächlichen Fragen gestellt werden, etwa, was Body Positivity für sie bedeutet. „Emotionale Erklärarbeit“ nennt man diese ermüdende Aufgabe: marginalisierten Menschen wird aufgebürdet, der Mehrheitsgesellschaft immer wieder erklären zu müssen, in welcher Form sie diskriminiert werden. Schwarze Menschen müssen Weißen erklären, was Rassismus bedeutet, Frauen erklären Männern Sexismus, und die Notwendigkeit von Body Positivity lassen sich die Dünnen erklären von … Tja, welcher Ausdruck ist da jetzt überhaupt angemessen? Übergewichtig? Dick? Fett?

„Es ist nicht kompliziert, die Leute haben einfach nur Angst, die Dinge beim Namen zu nennen“

Während des Interviews gerät man selbst manchmal ins Straucheln, windet sich um Wörter herum, hat Angst, etwas Beleidigendes zu sagen, sagt stattdessen: „Es ist kompliziert zu beschreiben.“ „Nein, weißt du, es ist nicht kompliziert, die Leute haben einfach nur Angst, die Dinge beim Namen zu nennen“, entgegnet Lizzo schlicht und man fühl sich ertappt. Sie hat recht. „Es ist doch verrückt, dass es überhaupt als kontrovers oder polarisierend gilt, das Wort ,fett‘ zu verwenden. Wenn ich mich selbst als fett bezeichne, sagen die Leute: ,Nein, du bist nicht fett, du bist wunderschön!‘ Als ob das eine das andere ausschließt!“ Lizzo hat sich mittlerweile etwas in Rage geredet. Ihrer Erfahrung nach haben aber vor allem weiße Menschen ein Problem mit dem Wort „fett“.

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„In meiner Kultur ist es ein Kompliment, wenn du einen fetten Arsch hast. Ich habe immer gelacht, wenn Weiße in Fernsehshows fragen: ,Sieht mein Hintern in dieser Hose fett aus, Donna?‘ Als wäre es das Schlimmste auf der ganzen Welt! Wo ich herkomme, sagen die Jungs: ,Yeah, sie hat einen fetten Arsch!‘ Es ist also auch ein kulturelles Ding.“ Trotzdem – oder gerade deshalb – bedürfe es für dicke Menschen immer besonderer Abwägung, was sie auf Social Media posten. Postet eine dünne Frau, wie sie Burger isst, bekommt sie Applaus dafür, wie sie es schafft, trotzdem so schlank zu sein. Bei einem dicken Menschen tummeln sich unter demselben Post plötzlich lauter Gesundheitsexperten.

Lizzos Humor ist entwaffnend

„Gott hat mich glücklicherweise mit der Fähigkeit gesegnet, dass mir so was einfach scheißegal ist“, ist Lizzos Antwort auf die Hater. Wenn sie Lust hat sich zu filmen, während sie eine mit Spiegeleiern und Bohnen überbackene Kartoffel isst, dann macht sie das. Weniger als politisches Statement, sondern vor allem weil es einfach verdammt witzig ist. „Es gibt Menschen da draußen, deren Job ist es, jeden Tag im Keller ihrer Mutter aufzuwachen, zu Anime-Pornos zu masturbieren, eine Tonne McDonalds-Kram zu fressen und Leute anzugreifen, die im Internet die beste Version von sich selbst zeigen … Also, ich will nicht über Leute schimpfen, die zu Anime-Pornos masturbieren. Da ist schon gutes Zeug dabei …!“

Lizzo covert Harry Styles' „Adore You“ in der BBC Radio 1 Live Lounge

Lizzos Humor ist wirklich entwaffnend. Sie wirkt unumstößlich und lässt sich von niemandem reinreden. Wünscht sie sich nicht trotzdem manchmal, einfach nur eine ganz normale Sängerin zu sein, ohne politische Agenda? „In meinem Kopf bin ich eine normale Sängerin ohne politische Agenda. Ich komme ja nicht in den Raum wie Olivia Pope (die toughe Anwältin aus der Serie „Scandal“ – Anm. d. Aut.) werf’ mich in einen Anzug und versuche Probleme zu lösen. Ich bin nur hier, um Spaß zu haben, gute Musik zu machen und Leute zum Lächeln zu bringen.“ Und das tut sie.

Dieser Artikel erschien erstmals im ME 05/19.

 

Sascha Baumann