Lollapalooza ’96: Schall und Rauch


Metallica— - Soundgarden - Wu-Tang Clan - Ramones - Rancid- Screeming Trees— - Psychotica

Viel war im Vorfeld diskutiert worden, ob denn die sechste Auflage des Lollapalooza-Festivals noch etwas mit dem Begriff „Alternative“ zu tun hätte. Mit-Initiator Perry Farrell (Porno For Pyros) hatte sich bereits im Vorfeld medienwirksam abgesetzt und erzählte jedem Reporter (auch denen, die es nicht hören wollten), daß der vielbeschworene Spirit des musikalischen Wanderzirkus‘ dem Kommerz anheim gefallen sei, daß in den letzten Jahren alles viel besser gewesen sei, und überhaupt. Man muß kein Experte sein, um festzustellen, daß ein Festival, dessen Headliner seit Wochen die Pole Position der Charts inne hat, nicht wirklich „alternative“ ist. Dem Publikum war diese Diskussion – gelinde gesagt – scheißegal. Tausende von New Yorkern – angefangen von braven College-Kids über das freakige Szene-Volk bis hin zu grauhaarigen Althippies strömten schon am frühen Nachmittag bei strahlendem Sonnenschein und gut 28 Grad im Schatten auf die kleine Insel zwischen Manhattan und Queens. Die ersten Bands des Tages, Psychotica und die Screaming Trees, bekamen die meisten von ihnen (inklusive des Schreibers dieser Zeilen) allerdings nur r+ am Rande mit. Bevor man das Gelände ‚-Betreten durfte, mußte man nämlich erst – wie am Flughafen – durch einen Metalldetektor latschen, während einen ein überaus höflicher Police Officer fragte, ob man denn irgendwelche Waffen oder Glasflaschen aufs Gelände mitzunehmen gedenke. Nach Drogen wurde weder gefragt noch groß gesucht. Ein Gutteil der Besucher schleppte denn auch ohne mit der Wimper zu zucken und ohne große Versteckspielchen diverse minder legale Kräuter in Mengen an den Sicherheitskräften vorbei, für die einem hierzulande umgehend die Bürgerrechte aberkannt werden. Drinnen gab’s dann alles, was man so braucht, um ein Festival dieser Größenordnung zu überstehen. Neben zahllosen Freß- und Trinkständen (by the way, 3 Dollar, sprich 5 Mark, für ein kleines Cola sind ebenfalls nicht gerade „alternative“) gab’s auch noch reichlich Gelegenheit, sich tätowieren und/oder piercen zu lassen, Rückenmassagen (20 $) zu genießen, Riesenratten aus Sumatra zu bestaunen oder Geräte zur effektiven Anwendung der mitgebrachten Kräuter zu erwerben. Auf zwei Nebenbühnen konnte man Schlangenmenschen sowie Bands wie Ben Folds Five, Ruby, Cornershop oder Girls Against Boys begutachten. Nachdem die Gruppe von Shaolin-Mönchen kurz nach 3 Uhr damit fertig war, ihre Körper mit Übungen zu malträtieren, die jeden Chiropraktiker an den Rand des Wahnsinns getrieben hätten, wurde es auf der Hauptbühne langsam ernst. Rancid stürmen die Bühne und sorgen – unterstützt von einer mehrköpfigen Bläser-Sektion mit Highspeed-Versionen von ‚Time Bomb‘ oder ‚Ruby Soho‘ für einen ersten Höhepunkt. Was folgt, ist ein weiteres Abschiedskonzert der Ramones. Und zur Überraschung aller präsentieren sich Joey und Co. in absoluter Topffittpi- Nicht genug damit, daß sie KlastÜbt wie ‚Rock And Roll Highschool‘, „I Wanna Be Sedated‘, ‚Rockaway Beach‘ oder ‚Pet Sematary‘ in selten gehörter Frische runterrotzen, nein, Joey macht zwischen den Songs Ansagen und entledigt sich auch noch seiner Lederjacke (Kenner wissen, daß beides so gut wie nie vorkommt). Vor das große Finale mit Soundgarden und Metallica hatten die Veranstalter den „Mystery Act“ plaziert. Das besondere dabei. Für jeden Lollapalooza-Gig wurde ein anderer angesetzt: Zur Wahl standen Waylon Jennings, die Cocteau Twins, Cheap Trick, Devo, Steve Earle, Rage Against The Machine, die Violent Femmes und der Wu-Tang Clan. Letzterer kam in New York zum Zug. Was soll man sagen? Knapp 20 Clan-Mitglieder (inkl. Ol‘ Dirty Bastard) rappen in verschiedenen Formationen zu dumpfen Beats, die vom Band kommen, warnen eindringlich vor AIDS („America Is Dying Slowly“) und beschießen das Publikum unterdessen mit Wasserpistolen. Naja. Punkt 20 Uhr ist es dann soweit: Soundgarden betreten die Bühne. Und legen gleich voll los: ‚Spoonman‘, ‚Pretty Noose‘, ‚Ty Cobb‘. Das volle Paket. Dazu tragen Chris Cornell, Kim Thayil und vor allem Bassist Ben Sheperd mit versteinerter Mine ihre Instrumente durch die Gegend als gelte es einen Coolness-Wettbewerbzu gewinnen. Auch als das Publikum in seiner Begeisterung damit beginnt, Becher und Rasenteile auf die Bühne zu werfen, bleibt Cornell kühl: „Wer Zeug wirft, der soll hier raufkommen und seinen Mann stehen. Dann werde ich es ihm in den Hals stopfen.“ Das sitzt. Ebenso wie ‚Black Hole Sun‘, das Cornell solo vorträgt. Vielleicht der bewegendste Augenblick des Festivals. Und auch wenn sich das Quartett mitunter deutlich an Led Zeppelin orientiert, dieser Auftritt belegt in seiner Kompaktheit und Wucht einmal mehr, daß Soundgarden ohne Zweifel zu den ganz großen Rockbands unserer Tage zählen. Was sie nicht zuletzt Cornells großartigem Organ und Thayils atemberaubenden Gitarrenspiel zu verdanken haben. Metallica demonstrieren dann, was man unter dem Begriff „Stadionrock“ zu verstehen hat: All die Stereotypen und testosteron-triefenden Rockismen, gegen die das Feuilleton jahrelang angeschrieben hat, treten hier geballt auf: Simple Anmache („You want some fuckin‘ noise?“), Feuerwerk und Flammenwerfer, Riffrock und Refrains. 100 Minuten lang donnern Hetfield und Co. durch ihren mit Hits nur so gespickten Set (‚One‘ fehlt ebensowenig wie ‚Enter Sandman‘, ‚Nothing Else Matters‘, ‚The Unforgiven‘ oder ‚Untill It Sleeps‘). 100 Minuten, die weder „alternative“ noch sonst was waren, sondern einfach nur Spaß machten. Und mehr sollte man von einem guten Rockkonzert eigentlich auch gar nicht verlangen.