Marcus Wiebusch übers Texten


„Ich kann die Welt in drei Wörtern erklären, wenn ich denn müsste", heißt es in „"Nacht", einem Song von Kettcar. Wenn das stimmt, muss Marcus Wiebusch ja ein Meister seines Fachs sein. Aber: Wer sagt uns denn, dass er mit "Ich" Sich Selbst meint?

Dieser Tage erscheint das dritte Album der Hamburger Band um Sänger Marcus Wiebusch. Es heißt Sylt. Beachtung fanden Kettcar in der Vergangenheit vor allem für ihre Texte, die gern mit dem von Marcus selbst geprägten Begriff „befindlichkeitsfixiert“ versehen wurden. Der ME wollte wissen, wo und wie die Wörter, die die Welt erklären, entstehen und hat Marcus in seinem Schreibzimmer in Hamburg-Altona besucht: ein fensterloser Kellerraum im Altbau in einer kopfsteingepflasterten Seitenstraße.

Wir gehen die gefährlich steile Steintreppe hinunter. Der Gemeinschaftsvorraum steht voll mit Gerumpel, Bionade-Kisten, Blumenkübeln, Nippes. Die Einrichtung seines Schreibzimmers, das ehemalige Studio eines Radioproduzenten, ist spartanisch. Eine hellbraune Arbeitsplatte dient als Schreibtisch, der Computer ist nicht ganz auf dem neuesten Stand, auf der alten, schwarzen Mini-Stereo-Anlage stapeln sich CDs von Niels Frevert bis Jawbreaker. Die weiße Betonwand ist kaum dekoriert. Nur ein selbst gemachter Fotokalender hängt genau über dem Schreibtisch des Künstlers. Vom vordersten Bild strahlt der ältere der beiden Söhne mit Pudelmütze auf dem Spielplatz.

Das ist der Ort, an dem du deine Texte schreibst?

Es gibt natürlich keinen Ort, an den ich immer gehen kann, und dann kommen die Geistesblitze. 70 Prozent eines Songs bestehen aus dieser einen guten Idee, die man haben muss. Die restlichen 30 Prozent sind Arbeit und auch ein bisschen Inspiration. Wo ich die Idee für jeden einzelnen Song hatte, weiß ich nicht mehr. Ich habe aber immer ein Büchlein dabei, in das ich Sätze und Ideen, das, was man als Kern des Songs bezeichnen kann, schreibe. Für die weitere Arbeit komme ich dann hier runter in mein Kellerloch.

Wo kommen diese Kernsätze und Ideen her, was inspiriert dich ?

Wichtig ist, dass ich viel lese und viel gucke. In Phasen, in denen ich mir weniger Filme ansehe und lese, schießen mir nicht so viele Ideen durch den Kopf. Dabei hat die Idee oft gar nicht so viel mit dem zu tun, was ich lese, es ist oft nur so ein Gefühl. Wenn ich mich mit guter Kunst umgebe, fühle ich mich freier, meine eigenen Ideen ans Licht zu führen.

Inwiefern ist der Prozess des Songschreibens ein Sammeln uon Ideen?

Ich schreib gern mal 200 Sätze für einen Song auf. Manche Songs entstehen aus einer konkreten Idee oder einem Satz, von dem ich dann ausgehe und etwas herumbastle. Dann wird es lyrischer. Wenn es darum geht, dass ich eine Geschichte transportiere, dann ist als Erstes der emotionale Kern des Songs da. Danach kommen je nach Tagesform, Zeit und Glück weitere Ideen, und ich schreibe auf, schreibe auf, schreibe auf. Und von diesen 100 bis 200 Sätzen streiche ich dann so viele raus, dass 13,14 Sätze und drei Minuten Popsong übrigbleiben. Ich finde das Format des Popsongs geil. Das ist der Boden, auf dem ich mich bewege.

Deine Texte, z. B. in dem Song „Am Tisch , den du zusammen mit Niels Frevert singst, sind oft losgelöst von den Situationen, in denen sie spielen. Man muss erst mal verstehen, in welchem Kontextsie stehen, um den emotionalen Kern zufassen. Spielst du da mit dem Hörer?

Klar. Ich will diese offenen „Projektionsflächen“ zulassen, um die Texte spannend zu halten. Ich benutze diese Art von offener Sprache, in der man mit Sätzen konfrontiert wird, ohne genau zu wissen, worum es geht, aber so ein Gefühl hat, worum es gehen könnte. Solche Gefühle zu wecken, ist für mich das Magische an Lyrik. In „Graceland“ geht es zum Beispiel um das Phänomen, dass die Mitte, Ende 30-Jährigen heutzutage nicht mehr älter werden. Ich könnte darüber ein Sachbuch schreiben, aber ich schreibe Popsongs, in denen die Sätze einfach auch mal gut klingen müssen.

In „Graceland gibt es diesen Satz: „Man ist immer nur so alt, wie man sich liebt.“ Du spielst auch mit Plattitüden.

Natürlich, ganz bewusst. Ich könnte zwar jedes Problem von zwei Seiten dialektisch beleuchten, aber manchmal lass ich den Satz lieber brachial stehen. Jeder Satz hat für mich eine Bedeutung, und es gibt viel zu entdecken. Eineinhalb Stunden brauchte ich, um dir „Graceland“ Satz für Satz zu erklären. Das habe ich einmal mit meinem Bruder gemacht, auf der Fahrt von Berlin nach Hamburg, als wir da noch im Studio waren. Da hat er gesagt: „Ich wusste gar nicht, dass du so viel drauf hast, Marcus.“ (lacht)

Wie viel von dir selbst kann man in deinen Songs entdecken?

Das ist die Frage, die du einem Philip Roth stellst: Was hat die Kunst mit dem Leben des Künstlers zu tun? Die Protagonisten in meinen Songs bin nie ich, aber ich kann mich in sie hineindenken. Die größten Songwriter – Bob Dylan, Elliott Smith, Morrissey haben Songs über Dinge geschrieben, die sie nie erlebt haben, und wir finden es geil, weil wir uns darin spiegeln können. Es ist ein Trugschluss zu glauben, man müsste alles erlebt haben, worüber man singt. Manchmal merke ich aber auch eine latente Enttäuschung, wenn die Leute sagen: „WAS, ich dachte, das wärst du, der da aus dem Fenster sieht und den Vorhang zur Seite schiebt! Und den Vorhang gibt’s auch nicht? Ach Mensch ….'“ Aber: Ich lebe in einem der reichsten Länder der Welt, in meinem Leben spielen sich so gut wie nie Dramen ab. Wenn ich nur über mich singen würde, wäre meine Musik viel zu langweilig.

Deine Songs beleuchten oft Figuren mitten im Leben. Inwiefern siehst du einen Zusammenhang zwischen dem Privaten und Politischen ? Oder anders gefragt: Schreibst du politische Texte?

Ich bin kein Politiker und erstelle kein Forderungspaket. Ich stelle mich nur hin und sage, es stimmt was nicht. Es war von Beginn an unsere Intention, ein Album zu schreiben, das nicht einverstanden ist. Das sich nicht in neoliberale Jubelstürme mit einreiht und zeigt, dass man sich als Künstler anders positionieren will. Auf Sylt erleben verschiedene Protagonisten die Welt, und wir sehen durch sie hindurch, um mit ihren Augen Geschichten zu erzählen. Der Song „Würde“, in dem ein Typ mit 30 oder 35 wieder nach Hause zu seinen Eltern zieht, das ist z.B. ein Song über neoliberale Zumutungen. Der handelt auch davon, dass die Leute einfach nicht mehr können. Dass wir uns diesen Themen bewusst stellen, ist vielleicht unser Ansatz von politischer Musik.

Die erste Platte hieß Du und wie viele von deinen Freunden, die zweite Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen, die neue Sylt. Hat da eine Ökonomisierung und Verdichtung deiner Sprache stattgefunden ? In dem Song „Nacht“ vom letzten Album sagst du ja: „Ich kann die Welt in drei Wörtern erklären, wenn ich denn müsste.“

Das konnte ich nur in dem Song, (lacht) Sonst brauche ich immer tausend Wörter, um etwas zu erklären. Wir haben auf Sylt wieder richtige Textmonster. Von Ökonomisierung kann man da nicht sprechen.

Wie gut ist es euch nach eigenem Ermessen gelungen, auf Sylt Sprache und Musik zusammenzubringen?

Das ist die Urfrage, ob wir es geschafft haben. Ich habe in der Vergangenheit das Gefühl gehabt, dass die Musik bei Kettcar nicht dieselbe Würdigung erfahren hat wie die Texte. Nicht nur von den Medien, sondern auch von den Fans. Das erkennst du daran, dass die Fans gern alles sehr laut mitsingen. Das ist toll – wer bin ich denn, das nicht als Bestätigung zu empfinden? Aber natürlich bleibt die Musik dann ein bisschen hinten dran. Gerade bei diesem Album ist es mir wichtig, dass sich das ändert und wir eine musikalische Form gefunden haben, die die Texte wiederum spannender macht. Wir hatten drei Produzenten und waren extrem gut vorbereitet. Und wir haben uns so angestrengt mit Moses Schneider, Tobias Siebert und Swen Meyer. Wir hoffen, dass wir diesmal die Schere etwas schließen können zwischen Text und Musik. Vielleicht ist es aber auch das Wesen von Kettcar, dass den Texten grundsätzlich mehr Bedeutung gegeben wird. Vielleicht ist das einfach das Wesen deutschsprachiger Musik.

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