Mark Knopfler: London, Royal Albert Hall


Superstars, die den Stadien dieser Welt freiwillig den Rücken kehren, um wieder im intimeren Rahmen von Auftrittsorten wie der Royal Albert Hall zu spielen, verdienen eigentlich schon vor dem ersten Song einen Sonderapplaus. Wer nämlich auf den gigantischen Ego-Trip vor 15.000 flackernden Feuerzeugen verzichten kann, braucht neben der nötigen Bescheidenheit auch die Überzeugung, daß weniger Publikum nicht gleichbedeutend ist mit dem Abstieg ins Lager der Oldie-Truppen. Für Mark Knopfler ist diese Entscheidung so etwas wie eine Heimkehr, waren doch die Dire Straits, seine einstmals stadienfüllende Band, (gehobene) Pub-Rocker, denen der Stadionstatus nie so recht hat stehen wollen.

Aber das ist längst Geschichte. Mittlerweile hat Knopfler die Dire Straits sanft einschlafen lassen und seine Liebe zum keltischen Folk und zur Cajun-Musik entdeckt – was auf seinem ersten Soloalbum ‚Golden Heart‘ kaum zu überhören ist. Auch auf der Bühne hat Mark Knopfler neue Saiten aufgezogen – er läßt sich jetzt ab und an zu einem verhaltenen Grinsen hinreißen. Und: Er kann sich sogar selber auf die Schippe nehmen: Als ihn das Publikum nach der alten Dire Straits-Nummer ‚Sultans Of Swing‘ minutenlang mit Standing Ovations bedenkt, gibt er die verschmitzte Parodie des eisernen, emotionslosen Briten, um dann endlich doch noch ein trockenes „thank you“ in die Menge zu raunen, gerade so, als hätte ihm jemand den Fünf-Uhr-Tee gereicht. Überhaupt wirkt Knopfler wie der nette Kumpel von nebenan, der seinen Rock wahrscheinlich auch dann noch genießen würde, wenn nur ein paar besoffene Steuerberater im Pub-Publikum säßen.

Die Band ist brillant. Da sitzt jeder Trommelschlag, da kann der gemütliche Pianomann Jim auch mal in die Tasten eine Akkordeons drücken, Guy, der andere Keyboarder, zur Gitarre greifen und Gitarrist Richard zur Bouzouki. Die Fans können sich nicht beklagen. Auch nicht über die Dauer des Gigs: Satte zweieinhalb Stunden spielt sich Knopfler mit seinen Kollegen durch ein buntgemischtes Programm von alt (‚Romeo And Juliet‘ und ‚Money For Nothing‘) bis neu (‚Golden Heart‘ und ‚Done With Bonaparte‘). Dennoch: Irgendetwas stimmt hier nicht. Mark Knopfler auf technischer Seite kritisieren zu wollen, wäre ebenso sinnfrei wie zu behaupten, ein Volvo-Kombi hätte zu wenig Stauraum. Und doch… und doch läßt mich das Konzert auf seltsame Weise kalt. All die wohlüberlegten Soli und die makellosen Arrangements der häufig über zehn Minuten langen Stücke – sie berühren mich nicht. Vielleicht liegt das daran, daß bei Herrn Knopfler immer alles „schön“ ist, selbst die nachdenklicheren Songs. Das wirkt auf die Dauer bestenfalls beschränkt, über weite Passagen fast kitschig. Sogar die Ausgelassenheit ist bei Knopfler perfekt arrangiert. Bestes Beispiel: Der neue Song ‚Cannibals‘ eint Cajun mit einer Melodie, die auf die Zehen von Elvis‘ ‚Promised Land‘ tritt. Sowas müßte auf der Bühne doch zünden, sowas müßte doch aus voller Brust kommen, sowas müßte doch so richtig fies abgehen. Aber: Pustekuchen. Hier geht gar nichts ab. So viel „gepflegter Geschmack“ stimmt mich lustlos, flau und durstig. So kehre ich auf dem Heimweg in meinem Stamm-Pub ein, und erfahre doch noch eine musikalische Versöhnung. Da kredenzt ein mit schwarzem Leder und öligem Strähnenhaar bekleidetes Altherrentrio namens The Myth brachial-disharmonische Versionen von ‚2000 Light Years From Home‘ und ‚On The Road Again‘. Das ist die richtige Erholung für mich. Da fliegen die falschen Töne nur so durch die bierund rauchgeschwängerte Luft. Und siehe da: Die Lebensgeister kommen zurück.